„Im Westen nichts Neues“ im Kino: In Osnabrück kein Thema?

Neuverfilmung des Remarque-Romans erreicht Heimatstadt des Bestseller-Autors

Das Erbe Erich Maria Remarques zählt eigentlich zu den tragenden Säulen der Friedenskulturstadt Osnabrück. Das gleichnamige Friedenszentrum mitsamt Archiv am Markt zählt ebenso zu den Erinnerungsposten an den großen Sohn der Stadt wie der nach ihm benannte Friedenspreis, eine Schule, ein Hotel, eine Straße sowie ein Erich-Maria-Remarque-Haus als Landesaufnahmestelle für Geflüchtete.

Der wichtigste Roman des Autors mit dem Titel „Im Westen nichts Neues“ zählt nicht nur zu den meistgelesenen und vielfach übersetzten Romanen der Literaturgeschichte. Er gilt außerdem als Standardlektüre im Deutschunterricht. Nicht zuletzt ist das Buch ein epochales Werk, das immer wieder mit Osnabrück als Heimatstadt des Protagonisten Paul Bäumer zu tun hat, der wiederum zahllose biografische Bezüge zum jungen Remarque aufweist.

Umso verwunderlicher ist es jetzt, dass die spektakulär vermittelte Neuverfilmung des Romans in Osnabrück eher still vonstattenging. Warum eigentlich? In Wahrheit verdient das Filmwerk des Regisseurs Edward Berger sehr wohl eine eingehende Besprechung.

Als OR übernehmen wir deshalb gern den Aufschlag, etwas lauter über den neuen Streifen zu reden, der im Cinema-Art-House gezeigt wird. Diese Filmbesprechung ist allein deshalb berechtigt, weil sich die Neuverfilmung mit einem renommierten Vorläufer messen kann. Die wohl bekannteste Version war zweifelsfrei die US-Version „Im Westen nichts Neues“ aus dem Jahr 1930, die seinerzeit zwei Oscars für den besten Film und die beste Regie gewann. Regisseur Lewis Milestone und die Hauptdarsteller Lew Ayres und Louis Wolheim schufen seinerzeit ein unvergessenes Epos, das, in Deutschland lange Zeit umstritten und vielfach zensiert, zu dem Meisterwerken der Filmgeschichte zählt. Bislang folgte zuletzt 1979 ein Remake als Fernsehproduktion, das aber nie an das Standardwerk Milestones heranreichte.


Warum man den neuen Streifen sehen sollte

Diese Empfehlung nehme ich vorweg: Wer dem Schauer realitätsnaher, auch im Detail perfekt inszenierter Kriegsszenen etwas abgewinnen kann, sollte allein schon deshalb das Kinoticket lösen.

Bereits der Auftakt des Filmes lässt erahnen, was ihn durchzieht: schonungslos dokumentiertes Schlachtengeschehen als sinnentleertes Inferno. Pausenlose Kriegsakkustik in Gestalt von Schreien, Kanonen- und Granateinschlägen, permanenter Dreck im Umfeld, auf Leibern und Gesichtern, Blutlachen, zerfetzte Körper, seelenlose Gestalten und eine massenhaft zerstörte menschliche Psyche. Alles macht sich bereits am Filmauftakt fest. Zuschauende werden Zeugen eines höllischen Recycle-Systems: Elendig krepierten Soldaten werden, ehe sie in massenhaft herangeschafften Särgen bestattet werden, ihre Helme, Schuhe und Uniformen entrissen. Alles wird in Folgesequenzen akribisch in Extraräumen fern des Kampfgeschehens gesäubert, um das nachfolgende menschliche Kanonenfutter wieder, mit der Ausstattung von Toten, mit dem nötigen soldatischen Outfit zu versehen.

Sehenswert sind auch die schauspielerischen Leistungen. Zum großen Ensemble zählen Felix Kammerer als Hauptfigur Paul Bäumer, Albrecht Schuch, Aaron Hilmer, Edin Hasanovic, Daniel Brühl, Devid Striesow, Sebastian Hülk, Anton von Lucke, Moritz Klaus und Andreas Döhler. Alle Szenen des Films wurden in Deutschland, Belgien und Tschechien gedreht.


Woran es hapert

Unverkennbar bleiben andererseits auch Defizite, die trotz eines positiven Gesamteindrucks nicht verschwiegen werden sollen.

Kritikwürdig ist vor allem ein massives Abweichen von der Romanvorlage und das Ausblenden von Romansequenzen, die unbedingt auch filmisch aufgenommen gehören: Nichts kommt beispielsweise vor über die bei Remarque sehr ausgiebig erzählte Rekrutenausbildung unter der Fuchtel des furchterregenden Ausbilders Himmelstoß. Eine filmisch nachempfundene Caprivi-Kaserne hätten dem Streifen also gutgetan. Gänzlich fehlte auch jener Fronturlaub des Protagonisten Paul Bäumer, bei dem sich in besonderer Weise das Front- und Heimatgeschehen kontrastieren lassen und bei dem Bäumers endgültige seelische Veränderung dokumentiert wird.

Restlos fort von Remarque führt eine Parallelhandlung in der zweiten Filmhälfte. Hier spielt Daniel Brühl vorzüglich jenen deutschen Staatssekretär Mathias Erzberger, der am 11. November 1918 mit seiner Delegation in einem Eisenbahnwaggon im Wald von Compiègne den Waffenstillstand unterzeichnet. Es ist zweifellos ein ordentlich dokumentiertes historisches Geschehen. Nur: Bei Remarque kommt das überhaupt nicht vor!

Dass die Filmemacher den Tod Paul Bäumers auf die letzten Kriegsminuten legen, nachdem sich unter deutschen wie französischen Kameraden zuvor bereits Friedenseuphorie verbreitet hat, ist Geschmackssache. Ein von Devid Striesow vortrefflich in Szene gesetzter General, der offenbar Hindenburg (oder soll es Ludendorf sein?) darstellen soll und einen merkwürdigen Befehl zu einem letzten Angriff gibt, hat ebenfalls gar nichts mit dem Remarque-Roman zu tun. Gut mag dies für die historischen Bezüge sein, die man sichtbar vermitteln will. Für die Freundinnen und Freunde der Romanvorlage ist es eine unschöne Weitererzählung.


Enttäuschte Osnabrück-Erwartungen

Abschließen soll diese Besprechung mit Film-Defiziten, die wahrscheinlich nur in Osnabrück wehtun. In den wenigen Straßenszenen hat sich niemand die leiseste Mühe gemacht, Ähnlichkeiten an das alte Osnabrück zu wecken. Bäumers Bildungsstätte ist ein klassisches Gymnasium und hat nichts mit jener Präparandenanstalt für angehende Lehrer zu tun, die Remarque selbst, irgendwie ja doch das Alter Ego Paul Bäumers, besucht hat. Die fehlende Caprivikaserne als Ausbildungsort mit dem Ex-Postboten Himmelstoß als Oberdriller jungfräulicher Rekruten wurde bereits oben erwähnt.

Nur ein einziges Mal ertönt der Begriff „Osnabrück“: Ausgerufen wird die Stadt als Herkunftsort eines umgekommenen Soldaten, dessen Namen ein ziviler Bürokrat von einer „Erkennungsmarke“ eines „gefallenen“ Soldaten aus der Hasestadt abliest.


Was bleibt

Wann immer es gelingt, einen Krieg realistisch und ohne fragwürdiges Heldentum darzustellen, verdient dies Unterstützung. Insofern steckt in einer solchen Zielsetzung immer ein Stück Remarque und wird seinem großen Erbe gerecht. Denkt man an das aktuelle Kriegsgeschehen in Europa, besitzt der Film sogar eine beängstigende Aktualität. Es gibt kein wohliges Schaudern mehr über überwundene Zeiten. Jede Tagesschau zeigt aktuelle Fortsetzungen.

„Im Westen nichts Neues“ wird bei der Oscar-Verleihung 2023 in der Kategorie Bester Internationaler Film als deutscher Eintrag ins Rennen gehen. Trotz aller Kritik: Wünschen wir dem Film dafür alles Gute. Er hat es verdient.

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