Samstag, 27. April 2024

Stadtgeschichte im Dunkeln

Besuchsgruppe erwanderte Gertrudenberger Höhlen

Im Inneren eines Berges kann es so ähnlich aussehen wie tief unter der Erdkruste. Dies erfuhr jüngst eine Erkundungsgruppe, die sich mit Osnabrücks traditionsträchtigster Höhle vertraut machte. Wilfried Kley, Vorsitzender des Vereins Gertrudenberger Höhlen Osnabrück e.V., führte per Leuchte durch das Höhleninnere unterhalb des Bürgerparks und des Areals unterhalb des Ameos-Klinikums.

Die Besuchsgruppe mit Organisator Andreas Hölter (Mitte) und „Höhlenführer“ Wilfried Kley (3. von rechts). Foto: OR

Dass eine derartige Tour nur schwer mit Sandalen oder gar Stöckelschuhen zu meistern ist, wurde allen Teilnehmenden recht schnell klar. Auch der Nutzen eines Helmes wurde manchem Zeitgenossen, der mit dem Kopf an Decken und Stürze schrammte, schnell deutlich. Löcher, Risse, Steinhaufen, feuchte Flächen und unterschiedliche Tiefen machten es überdies trotz mitgeführter Laternen nicht leicht, einen sicheren Weg zu finden. Dass alle Teilnehmenden die Erkundung am Ende unbeschadet überstanden, lag naturgemäß an der sachkundigen Führung, aber auch am geistigen Erkenntniswert zur Osnabrücker Stadtgeschichte. Diese vermittelte Wilfried Kley stets anschaulich anhand einiger Höhlenorte. Was man vorweg wissen sollte: Es handelt sich unter dem Gertrudenberg nicht um natürliche Höhlen, sondern um einen unterirdischen Steinbruch, dessen einzelne Hohlräume im Laufe der Geschichte unterschiedlich genutzt wurden.


Problemböden und Füllmengen

Der Boden unter den Füßen verdeutlichte allen ein Problem, das vor allem für die Qualität des örtlichen Grundwassers für die gesamte Stadtgesellschaft ein erhebliches Risiko darstellen könnte. Vor Jahrzehnten wurde am Boden eine Schlackemasse eingelassen, deren chemische Bestandteile offenkundig ernstliche Probleme aufwerfen. Kley: „Was das ganz genau für eine Masse ist und was diese Bodenbeschichtung ausmacht, ist bis heute unklar. Wir vom Verein empfehlen, dies im Interesse der Allgemeinheit schnellstens zu untersuchen.“ Erste wichtige Erkenntnisse seien bereits in der jüngsten Vergangenheit von Experten gewonnen worden, die bereits Erfahrungen im Ruhrgebietsbergbau gewonnen hatten.

Nicht minder gefahrvoll sind Verdichtungen etlicher Höhlen mit chemisch belasteten Füllmengen (siehe OR-Foto oben), die dort offenbar in den 50er-Jahren, mutmaßlich sogar massenhaft per LKW aus einem Gelsenkirchener Unternehmen, angefahren worden seien und bis heute den Zugang zu etlichen Stollen unmöglich machen. Im Vergleich dazu mutete es die Besuchenden vergleichsweise harmlos, aber ebenfalls ärgerlich an, dass seinerzeit große Mengen an Bauschutt durch Öffnungen in die Höhlen gelangten. Überreste der Traditionsgaststätte „Friedenshöhe““ ruhen ebenfalls unübersehbar in einzelnen Gängen.


Ausflüge in die Stadtgeschichte

Noch leben in Osnabrück Menschen, welche die Gertrudenbergerhöhlen während der letzten Kriegszeiten als Großbunker aufsuchen mussten. Geziegelte Mauerwände, phosphoreszierende Bemalungen (siehe OR-Foto unten) für den Fall aufkommender Finsternis, Kabelreste, verrostete Eimer und Wandhalterungen, Notdurfträume bis hin zu einer kleinen Raumecke für Entbindungen bilden stille Zeugen einer Bunkerwirklichkeit, in der sich vor Kriegsende oft bis zu 6.000 verängstigte Menschen aufhalten mussten.

Bruchsteinmauern kündeten wiederum von einer eher angenehmen Geschichte. Ab 1832 nutzten unterschiedliche Brauereien die Stollen als Bierkeller. Auch Osnabrücker Bierbrauer wie der Fabrikant Richter bedienten sich der kühlen Höhlen, um dort Unmengen von Bierfässern zu lagern. „Die haben da auch mit illustren Gästen so manchen geselligen Umtrunk unternommen“, wusste Kley zu berichten.

Weit tiefer könnte man in die Stadtgeschichte eindringen, wenn die zahllosen Stollen noch zugänglich wären, die seit dem Spätmittelalter bis in die Vorwerke der Stadtbefestigung hinein angelegt wurden. Nach Kley gibt es Unterlagen, die belegen, dass insbesondere in den Gertrudenberger Höhlen Knotenpunkte bestanden, die eine Verbindung kilometerlanger Stollen dargestellt haben. Kley: „Es dürfte in Deutschland kaum eine vergleichbare Stadt wie Osnabrück geben, die derart viele Kilometer unterirdischer Gänge aufweist.“

Im ehemaligen Gertrudenberger Klosterarchiv, so Kley auf spätere Nachfrage gegenüber der OR-Redaktion, befand sich eine alte Urkunde. Sie besagte, dass 1492 auf dem Gertrudenberg eine Steingrube von dem Ziegelmeister auf dem Ziegelhofe Molting betrieben und nach ihm Moltings Steinkuhle genannt wurde.

Spätestens 1540, so Kley, begann die Stadt Osnabrück zum Zweck ihrer Festungsbauten einen ausgedehnten Kalkofenbetrieb am Gertrudenberg und an der eng benachbarten Meesenburg. Von 1628 bis 1633 sei hier Kalksteinabbau im Zusammenhang mit dem Bau der einstigen Festung Petersburg im Südosten der Stadt Osnabrück erwähnt, die allerdings bereits zu Zeiten des 30jährigen Krieges zerstört wurde. Die Beseitigung des Festungsbaus galt seinerzeit als geradezu befreiende Protestaktion einer Mehrheit protestantischer Stadtbürger gegen den unliebsamen katholischen Fürstbischof Franz Wilhelm von Wartemberg, der das Bauwerk als Zeichen seiner Autorität hatte errichten lassen.

Einer Legende nach sollen Osnabrücker Ratsherren anno 1633, inmitten des längsten Krieges der deutschen Geschichte, durch einen unterirdischen Tunnel zu den schwedischen Belagerern auf dem Gertrudenberg vorgedrungen sein, um eine gewaltlose Übergabe der Stadt auszuhandeln – was am Ende auch gelang.


Waren römische Kumpel am Werk?

Bekannt ist heute: Spätestens ab 1540 wurden die etwa 238 Millionen Jahre alten Trochitenkalkschichten im Kalkofen auf dem Gertrudenberg zu Kalk gebrannt. Man brauchte ihn damals für den Bau der städtischen Festungsanlagen. Die Gewinnung von Kalkstein und anderer Gesteinsarten zum Hausbau wurde in den Gertrudenbergerhöhlen offenkundig aber schon lange vor dem späten Mittelalter praktiziert. Einheimische Hausbauer der heimischen Region kannten zu jener Zeit noch gar nicht die Praxis, Hauswände mit Kalkmörtel hochzuziehen. Kley, der ähnliche Höhlen wie der unter dem Gertrudenberg auch schon in Italien besucht hat, formuliert hier eine Vermutung: „Wenn ich das handwerkliche Geschick, das hier bei der Gewinnung von Kalkstein an den Tag gelegt worden ist, berücksichtige, können das eigentlich damals nur Menschen gemacht haben, die das in der Zeit des Römischen Reiches so gelernt hatten. Althistoriker der Uni Osnabrück haben uns das auch schon bestätigt.“

Kurzum:  Es gibt zahllose gute Gründe, einmal in die Tiefen des Gertrudenbergs hinabzusteigen. Ist Neugierde aufgekommen? Möchten auch andere die Höhlen besichtigen? Man darf anrufen und mailen, um einen Termin zu vereinbaren. Persönlich beim Vereinsvorsitzenden Wilfried Kley unter der Nummer 0541/187527 oder per E-Mail: info@gertrudenberger-hoehlen-osnabrueck.de .

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