Samstag, 18. Mai 2024

Klaus Lang: Rolf Wortmann hat auf meinen Beitrag geantwortet. Ich will mich auf einige mir wesentliche Punkte konzentrieren …

Anmerkungen zu Rolf Wortmanns Beitrag vom 29.08.23 

01. In der Beurteilung eines durch Söldnertruppen im Auftrag Russlands geführten Krieges stimmen wir ja überein. Für mich ist aber das aber auch eine entscheidende Aussage über Russland. Einer Meinung sind wohl wir auch, dass die politische Konzeption Egon Bahrs und Willy Brandts wenig bis nicht mit dem zu tun hat, was später Gerhard Schröder und Angela Merkel mit ihrer Russland-Politik machten.

02. Auch wenn „Der Spiegel“ und die „Die Zeit“ Herrn Colby ausführliche Interviews und ganz Seiten widmen, hindert mich das nicht, in Colby die intelligente Neuauflage oder Fortführung einer isolationistischen Tradition in den USA zu sehen. Das hat sicher einen wichtigen Stellenwert. Gerade wenn man, wie R. Wortmann das m.E. zu Recht fordert, Europa ein größeres Gewicht geben will, dann muss eine europäische Position auch selbstbewusst im atlantischen Bündnis vertreten werden. Auch wenn „kaum ein Amerikaner zustimmen“ kann, so Wortmann, bin ich fest überzeugt, dass ein Sieg Russlands eine Niederlage Europas und der USA wäre, die die Ausgangslage in der Auseinandersetzung mit China zu Lasten des Westens nachhaltig verschlechtern und erst recht viele Staaten dazwischen zu einer Abkehr von einem erfolglosen Westen bringen würde. Ich sehe die Unterstützung der Ukraine und der westlichen Position bei weitem nicht so negativ wie Wortmann. Noch am 23. Februar 2023 fordern 141 von 193 Staaten den Rückzug Russlands aus der Ukraine. Auch hier gibt es wieder die mir unverständliche Tendenz, uns kleiner zu machen als wir sind. Für hunderte von Millionen Menschen auf der Welt sind nicht Russland oder China die Orte ihrer Hoffnung auf mehr Freiheit und besseres Leben, sondern Europa und die USA.

03. Die Außenpolitik der Sowjetunion war nur deshalb auf den Status quo der Weltordnung ausgerichtet, weil sie angesichts der ökonomischen, militärischen und politischen Macht der USA/Nato keine Chance hatte, etwas anderes zu erreichen. Vom Grundsatz her war die Politik der Sowjetunion bis an die von außen gesetzten Grenzen kommunistisch-imperialistisch. Die Sowjetunion hat immer versucht, ihr Machtgebiet und ihre Einflusssphäre zu erweitern, ist aber immer an Grenzen gestoßen

04. Zu China: Auch dieser Staat hat die Charta der Vereinten Nationen von 1945 und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 mitunterschrieben, wird ja auch nicht müde, sich immer wieder auf diese Prinzipien zu berufen. Als muss sich China auch daran messen lassen. Europa und die USA sind wirtschaftlich mit China eng verflochten. Uns kommt zugute, dass China von den USA und der dort hergestellten Technologie, zumindest genauso abhängig ist, wie wir von China als Exportmarkt. Ich halte für keineswegs plausibel anzunehmen, dass China nicht den Anspruch hat, in Amerikas Fußstapfen zu treten. China sieht sich als älteste heute noch existierende Kulturnation der Welt und will das 21. Jahrhundert zum chinesischen Jahrhundert machen. Die geschichtlich aufgeladene kommunistische – warum ist diese Selbstbezeichnung „kontrafaktisch“? –  Ideologie, die von Xi Jinping mit Repression nach innen und Expansion nach außen wieder ins Zentrum gerückt wurde, verlangt geradezu vorrangige Weltmachtstellung. Die Seidenstraßen-Initiative und die gigantische Aufrüstung sprechen eher für das Bestreben Chinas im 21. Jahrhundert die führende Weltmacht zu werden als für das Gegenteil.

05. Nun zum zentralen Punkt: Welchen Charakter hat der Überfall Russlands auf die Ukraine? Hier widerspreche ich R. Wortmann entschieden, mit seiner Meinung es sei kein Krieg für oder gegen Menschenrechte. Es war von Anfang an ein Krieg gegen das Völkerrecht und gegen die Menschenrechte. Prof. Dr. Arnd Bauernkämper hat in einer Gesprächsrunde anlässlich der Verleihung des Courage-Preises an Volker Johannes Trieb am 22. September in Bad Iburg formuliert, der Krieg Russlands gegen die Ukraine habe nicht am 24. Februar 2022, sondern am 28. Dezember 2021 begonnen, dem Tag der Auflösung der Menschenrechtsorganisation „Memorial“ in Russland. Er stellt damit die richtige Verknüpfung einer gegen Menschenrechte gerichteten Repression nach innen und militärischen Aggression nach außen her. Russland geht es sicher um ein Imperium. Russland geht es aber darum, einen demokratischen Staat mit Gewaltenteilung und bürgerlichen Freiheitsrechten vor seiner Haustür zu verhindern W. Putin selbst hat, sicher ungewollt, schon viel früher die Gründe für diese Haltung genannt, als er die Dynamik beschrieb, die zum Zusammenbruch der Sowjetunion führte. In seiner bejubelten Rede im Deutschen Bundestag am 25.2022 führt er „die Ereignisse, die in Russland vor zehn Jahren stattgefunden haben“, und zum Ende der Sowjetunion führten: „Die Antwort ist eigentlich einfach: Unter der Wirkung der Entwicklungsgesetze der Informationsgesellschaft konnte die totalitäre stalinistische Ideologie den Ideen der Demokratie und der Freiheit nicht mehr gerecht werden. Der Geist dieser Ideen ergriff die überwiegende Mehrheit der russischen Bürger.“ Die Wiederholung dieser Dynamik fürchtet Putin und hat auch deshalb die Ukraine angegriffen.

06. All das Sterben und Elend, das dieser krieg verursacht, sind entsetzlich. Aber warum wird denn so selten, auch nicht von R. Wortmann, gesagt, dass es Putin in der Hand hat, das sofort zu beenden, die Vernichtung von Menschenleben, die Zerstörung von Wohngebäuden und Infrastruktur in der Ukraine, den Vormarsch der russischen Truppen zu stoppen. Damit wäre der Krieg für die Ukraine nicht gewonnen, aber niemand würde über russisches Gebiet herfallen oder russische Städte erobern und Menschen in Russland töten wollen. Warum wird denn diese simple Wahrheit so selten ausgesprochen. Es ist Annalena Baerbock und Wolfgang Scholz hoch anzurechnen, dass sie es tun.

07. In weiten Teilen der Argumentation R. Wortmanns geht es immer wieder um den Punkt, dass wir andere Wege beschreiten müssen, weil der Erfolg des jetzigen Weges nicht sicher ist, weil Russland/Putin den längeren Atem haben, weil es über mehr Menschen, die Soldaten werden können, verfügt, weil Donald Trump die Präsidentschaftswahlen in den USA gewinnen könnte, weil die schon mit Rissen versehene Einigkeit des Westens vollends zerbrechen könnte. Aber wird der längere Atem Putins, ein Wahlsieg Trumps, das Zerbrechen Europas in der Ukraine-Frage weniger wahrscheinlich, wenn wir in unserem gegenwärtigen Handeln, das alles vorwegnehmen? Ich sehe nicht, welche Alternativen R. Wortmann all seiner Skepsis gegenübersetzt. Wo und wodurch haben denn Verhandlungen, wo hat denn Diplomatie eine Chance über das hinaus, was wahrscheinlich soundso passiert, auch wenn es nicht öffentlich wird. Was sollte denn seiner Meinung nach passieren?  Ist weniger bis keine militärische, wirtschaftliche und politische Unterstützung die Lösung? Soll der Westen einen Teilungsplan für die Ukraine vorlegen oder das Versprechen, die Ukraine nie in die NATO aufzunehmen? Dies bleibt für mich das zentrale Rätsel: Zweifel allenthalben, ob der jetzige Weg richtig und erfolgversprechend ist, aber keine Alternative, die besser zu den Zielen führt, die auch R. Wortmann nennt.  Er formuliert am Ende seiner Antwort eine Reihe von Punkten, denen man nur zustimmen kann. Aber wie wir z.B. einer Reform der UNO, einem größeren Gewicht der Länder des globalen Südens, eine Veränderung der Vetorechte mit einer zerstörten Ukraine, einem als Verlierer geltenden Westen, einem mächtigeren Russland auch nur einen Millimeter näherkommen sollten, wie dann das glaubwürdigere Angebot des Westens oder Europas für eine sozial gerechte und zukunftsfähige Wirtschaftsordnung aussehen soll, bleibt mir vollends schleierhaft. Ist da nicht besser den beschrittenen Weg „durchzuhalten“, bis er zur Verhandlungsbereitschaft Russlands führt?

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