Mittwoch, 8. Mai 2024

Historisches Leiden und der Brückenschlag zum Heute

Kooperationsprojekt des Vereins Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht e.V., terre des hommes und dem Lions-Club

Krieg in der Ukraine und Erinnerungen an das Schicksal von Menschen, die vor 1945 Zwangsarbeit erlitten haben: Passt das etwa zusammen? „Ja!“, sagen selbstbewusst die Initiatoren eines einmaligen neuen Projekts. Der Verein „Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht“ sowie das Kinderhilfswerk terre des hommes haben es soeben, unterstützt vom Lions-Clubs Heger Tor, gestartet und der Öffentlichkeit präsentiert. Angesprochen werden künftig vorwiegend junge Menschen, vor allem solche, die einen persönlichen Bezug zum aktuellen Krieg besitzen.

 

Der Hintergrund: das „Arbeitserziehungslager“ in der Hüggelschlucht

Verständlich wird die Kooperation vor allem im Hinblick auf die Geschichte des Augustaschachtes. Dr. Michael Gander, Leiter der Gedenkstätte, ging auf jene Tradition bereits zu Beginn seiner Darstellung ein. Während der Zeit des Nationalsozialismus, so Gander, sei das Gebäude in der Hüggelschlucht zunächst ab 1940 als Kriegsgefangenenlager der Wehrmacht genutzt und im Jahr 1943 in ein Lager für zwangsarbeitende Frauen und Männer, insbesondere ausländische Zwangsarbeiter, umgewandelt worden. Unter der Leitung der Osnabrücker Gestapo sei die Einrichtung dann aber zwischen Januar 1944 und April 1945 in eine KZ-ähnliche Folterstätte umgewandelt worden. Gedient habe es fortan als „Arbeitszuchtlager“, in dessen Inneren Jugendliche und Männer, die sich im Nazi-Sinne „auffällig“ verhalten hatten, geschlagen und gedemütigt, oft auch ermordet wurden. Menschen aus der früheren Sowjetunion, zu der Russen wie Ukrainer zählten, gehörten laut Gander zu den besonders stark vertretenen Opfergruppen.
Vor allem dies mache klar, warum Themen und Projekte, die von Aktiven des Gedenkstättenvereins initiiert werden, stets Menschen aus Deutschland, besonders aber auch solche aus Russland, der Ukraine wie auch aus Weißrussland immer wieder zusammenführe.
Derartige Kooperationsformen besitzen beim Gedenkstättenverein laut Gander überdies eine langjährige Tradition. Immer wieder habe es auf dem Areal der Einrichtung Workshops und auch Workcamps gegeben, die vorwiegend junge Menschen aus mehreren Ländern zu historischen wie aktuellen Themen zusammengeführt hätten. Ziel sei es auch jetzt, den Betroffenen in Workshops die Möglichkeit zu geben, ihre Erfahrungen im Rahmen einer Erinnerungskultur zu reflektieren und darauf aufbauend friedliche Formen des Zusammenlebens zu finden.

 

Interviews, Videos und ein Theaterstück

Das direkt auf den Ukraine-Krieg bezogene Projekt, das jetzt anstehe, soll eine per Video aufgezeichnete, lebensgeschichtlich ausgerichtete Interview-Reihe sein. Gefragt als Gesprächspartner sind in erster Linie junge Menschen aus der Ukraine, die entweder direkt aus dem Kriegsgeschehen in die Region geflohen sind oder sich sogar noch in ihrer Heimat aufhalten. Danach soll  – abhängig von der Entwicklung des Krieges und unter Einbezug erneut der Betroffenen – der Einbezug politisch verfolgter Menschen und ggf. ihrer zivilgesellschaftlichen Organisationen aus Belarus und Russland, die die russische Kriegspolitik ablehnen, konzipiert werden.

Ein weiteres gemeinsames Projekt ist laut Gander ein Theaterstück, das der historischen Figur des Peter van Pels, aus Osnabrück stammendes KZ-Opfer und im gemeinsamen Amsterdamer Versteck ein Schicksalsgefährte von Anne Frank, gewidmet ist. Im weltberühmten Tagebuch Anne Franks gab die Autorin ihm noch den Namen „Peter van Daan“. Das gemeinsam mit dem Musiktheater Lupe organisierte, zunächst noch virtuelle Auftakttreffen per Zoom soll vom 8. bis 10. Juli stattfinden. Angesagt sind dabei Kennenlernen, Inputs und der Theaterworkshop. Das Theater-Workcamp wird vom 13. bis 31. August sein. Die Aufführungen sollen am letzten Augustwochenende in der Gedenkstätte Augustaschacht stattfinden. Anmeldungen nimmt die Gedenkstätte gern jederzeit entgegen. Nach der Sommerpause könne das entstandene Video unter anderem für Bildungszwecke verwandt werden.

 

Junge Menschen als künftige internationale Friedensbotschafter

Für Birgit Dittrich, Projektverantwortliche beim Kinderhilfswerk terre des hommes, biete das Peter van Pels gewidmete Theaterprojekt aufgrund seines zunächst historisch erscheinenden Stoffs die große Chance, Brücken der Zusammenarbeit zu bauen, was im Falle aktueller Themen, die oft eher trennen als zusammenführen, schwerer sei. tdh verfüge allein bei Themen wie Irak oder Afghanistan über intensive Projekterfahrungen, die aktuelle Kooperationen sinnvoll machen und sich oft auch auf den Ukraine-Krieg anwenden lassen. Mehr als 250 Projekte in 37 Ländern, darunter auch in zahlreichen Bürgerkriegsregionen, dokumentierten hier eine große Erfahrung.

Die Einbeziehung vor allem junger Menschen garantiere dabei so etwas wie einen Nachhaltigkeitsfaktor: „Trotz aller traumatischen Kriegserfahrungen sind es Kinder und Jugendliche, die die Chance für ein friedliches Miteinander bekommen müssen. Wir wollen vor allem den Friedenswillen aufrechterhalten. Wir brauchen nach einem möglichen Kriegsende so viele Menschen wie möglich, die Hass überwinden und zum Frieden beitragen.“

Dr. Stefan Breer, Präsident des Lions-Clubs Heger Tor, hat nach eigenen Worten sehr gern dazu beigetragen, die Zusammenarbeit von Gedenkstättenverein und tdh mit 15.000 Euro Spendengeldern zu unterstützen. Breer zitierte dazu das traditionelle Lions-Motto: „Du kommst nicht sehr weit, bis du beginnst, etwas für andere zu tun.“ Sobald es sich um Projekte mit jungen Menschen handelt, falle die Kooperation einem Lions-Club besonders leicht.

 

Erfahrungen aus Russland und aus der Ukraine

Zwei Akteurinnen werden bei den Projekten dabei sein, die jeweils einen ukrainischen oder russischen Hintergrund besitzen. Yelizateva Siviets ist eine mittlerweile in Osnabrück lebende ukrainische Journalistin, die sich mit ihren Erfahrungen insbesondere den Interviews widmen möchte. Augustaschacht-Mitarbeiterin Rita Zimmermann übersetzte den Siviets-Beitrag: „15 bis 25-jährige junge Menschen werden bislang als Zielgruppe im Ukraine-Krieg kaum wahrgenommen und verdienen ein Forum, um mit eigenen Problemen und Sichtweisen gehört zu werden“, betonte die Ukrainerin. Zahlreiche Kontakte seien auch mit ihrer Hilfe bislang schon hergestellt worden. Die Suche der Beteiligten ginge aber noch weiter und erstrecke sich über die Osnabrücker Region hinaus bis nach Polen und in die Ukraine hinein.

Dr. Tatjana Safronova ist eine russische Historikerin und Archivarin, die in die anstehende Projektarbeit vor allem persönliche Erfahrungen aus der Arbeit der in Russland inzwischen verbotenen Organisation „Memorial“ einbringen möchte. Erfolgreich habe Memorial bis zum Verbot dazu beigetragen, dass menschliche Erfahrungen mit Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit ebenso aufgearbeitet worden seien wie jene der stalinistischen Gewaltherrschaft. Die offizielle russische Kriegsaufarbeitung habe bis dahin stets nur sogenannten „Heldengeschichten“ gegolten. Bewegt zur Mitarbeit bei den Projekten habe Frau Safronova vor allem ein Ziel: „Es ist eine Investition in die Zukunft, bei dem ich hoffe, dass auf allen Seiten Verständnisräume geschaffen werden.“

Es verblieb Michael Heuer, Pressereferent von terre des hommes, auf seine persönliche Hoffnung für das Projekt hinzuweisen: „Ich bin mir sicher, dass wir auf eine gute Resonanz stoßen und hoffe dann natürlich auf möglichst viel Nachahmung in anderen Orten.“

Foto: ORFoto: OR

 

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