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Montag, 31. März 2025
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Es war das Wort für Brot

Winterliche Kurzgeschichte erinnert an einen wichtigen Osnabrücker Literaten

Im Jahre 1960 verfasste der unübertroffene Meister der Osnabrücker Kurzgeschichten, Bernhard Schulz (1913-2003), die unten aufgeführte Erzählung. Kurz, aber sehr prägnant wird darin angedeutet, was Soldatentum bedeutet – und welche persönlichen Erlebnisse dahinter stehen können. Ganz nebenbei entdeckt man viele Bezüge zum tragischen Krieg, der derzeit im Osten Europas tobt.
Die OR hatte in ihrer Anfangszeit bereits eine regelmäßige Serie mit Schulz-Werken präsentiert. Schulz selbst wurde auch bereits umfassend mit seiner eindrucksvollen Vita, in der er sogar kurzzeitig Redakteur bei der ersten OR 1946 gewesen ist, beleuchtet.
Lassen wir den Meister der Kurzgeschichten nun aber – unbedingt – persönlich zu Wort kommen.

Die Kleine, mit der ich ausging, hieß Morgen, Anny Morgen, Anny mit Ypsilon. Aber sie war nicht die Tochter des amerikanischen Millionärs. Wir waren damals versessen darauf zu heiraten, nur um eine Adresse zu haben für den Urlaub oder um Briefe zu bekommen. Ein Soldat, der keine Post empfing, war einsam.

Es war Krieg, aber noch nicht richtig Krieg, sondern Krieg mit Wacheschieben, Sockenstopfen, Gewehrreinigen, Appell in Kragenbinden, Unterricht über Verhalten bei Bauchschuss, Belehrung über Spionageabwehr, Diebstahl von Kartoffeln auf Bauernhöfen und Liebschaften mit Verkäuferinnen in Fleischerläden. Abends gingen wir mit den Mädchen in die Tanzlokale, in denen es kein richtiges Bier und keinen richtigen Kaffee gab. Es war gut, dass die Mädchen mitgehen wollten, obwohl sie nichts anzuziehen hatten.
Anny habe nie anders als in einem Kleid aus schwarzem Samt gesehen, das am Hals mit einem Kragen aus weißer Spitze abschloss. Immer kam sie zum Tanzen in diesem Kleid, das sie älter machte als sie in Wirklichkeit war. Siebzehn? Achtzehn? Vielleicht. Sie sah in diesem Kleid feierlich aus, so wie jemand feierlich aussieht, der mehr weiß als andere.

Wir hatten Urlaub nur bis zwölf Uhr, und um elf mussten wir das Lokal verlassen, um die Mädchen nach Hause zu bringen und rechtzeitig im Quartier zu sein. Hatten wir uns amüsiert? Oh, wir hatten getanzt und Dünnbier getrunken.

Wir wussten nichts Lustiges. Uns fiel nicht einmal ein Witz ein. Jeder Abend, jeder Tanz, jeder Kuss konnte der letzte sein in unserem jungen Leben.
Einmal sagte Anny, und sie sagte es ohne Zusammenhang: „Woina heißt Krieg. Willst du wissen, was Brot heißt und Ei und Milch?“
„Was Ist das für eine Sprache,“ fragte Ich.
„Russisch.“

„Aber du bist doch Verkäuferin im Krefelder Seidenhaus“, wandte ich ein „wozu brauchst du da Russisch?“
„Ich weiß, warum“, sagte sie.

Niemand an unserem Tisch lachte. Aber es glitt uns eiskalt über den Rücken. Dieses Mädchen lernte Russisch. Diese Anny mit Ypsilon. Diese Verkäuferin mit ihren Krawatten. Während wir unsere Stiefel wienerten und Gewehrschlösser ölten und von Kartoffeln lebten, lernte Anny russische Vokabeln auswendig. Woina, der Krieg.

Sie ging zweimal in der Woche zum Unterricht, nach Geschäftsschluss, nach dem Krefelder Seidenhaus, nach dem Handel mit Krawatten und Taschentüchern und sie erfuhr, was Ei und Haus und Kind und Brot heißt.
Manchmal legte sie ihr Übungsheft auf den Tisch, auf dem das Dünnbier stand, das Heft mit den kyrillischen Buchstaben und mit dem Satz: Die Russen sind unsere Freunde.

Als der Tag kam, an dem es losging im Westen, sagte Anny: „Hast du je daran gedacht, mich zu heiraten? Jetzt ist es zu spät. Ich werde dir schreiben. Hast du dir ein paar Worte eingeprägt? Weißt du noch, was Brot heißt? Chleba..
„Es geht nach Frankreich“, sagte ich.

Anny schüttelte den Kopf: „Ich habe dir gesagt, wo es hingeht. Dort sagen sie Chleba. Es heißt Brot. Vergiss es nicht.“

Ich habe Anny Morgen nicht wiedergesehen und es kam auch niemals ein Brief an. Aber in der Gefangenschaft in Russland habe ich an sie gedacht, und ich habe kein Wort so oft gehört wie dies: Chleba.
Es war das Wort für Brot.

Im Rahmen ihrer gemeinsamen redaktionellen Tätigkeit arbeitete Schulz immer mit dem legendären Osnabrücker Zeichner Fritz Wolf zusammen. Dieses Werk von Wolf schmückt den Jahreskalender der Fritz-Wolf-Gesellschaft 2025 - aktueller könnte das Motiv nicht sein.
Im Rahmen ihrer gemeinsamen redaktionellen Tätigkeit arbeitete Schulz immer mit dem legendären Osnabrücker Zeichner Fritz Wolf 1918-2001) zusammen. Dieses Werk von Wolf schmückt den Jahreskalender der Fritz-Wolf-Gesellschaft 2025. Aktueller könnte das Motiv nicht sein.
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