28. Oktober 1849 in Osnabrück: Urquell für Sport, Bildung und Sozialdemokratie

Was Schuchts Arbeiterbildungsverein auf die Beine stellte

Kann das sein? Ein einziger Tag, an dem Volksbildung, Gewerkschaften, Sozialdemokratie und Turn- wie Sportbewegung zugleich entstanden sind? Es kann! Vor 175 Jahren gründete der wandernde Tischlergeselle Johann Heinrich Schucht in Osnabrück, später auch in Orten des Umlandes, einen Arbeiterbildungsverein. Jener bildete so etwas wie den Urquell sozialen und demokratischen Fortschritts. Am kommenden Dienstag, 29.10., 19 Uhr, ist zum Thema in der Volkshochschule mehr zu erfahren. Referent ist Buchautor und OR-Redakteur Heiko Schulze.

Eine OR-Serie hatte das damalige Geschehen bereits ausführlich dargestellt.

Offiziell gegründet wird der Zusammenschluss im 28. Oktober 1849 im Gasthaus Dreinhöfer. Als Initiator und Gründungsvater macht sich der aus dem Dorf Holzthalleben im heutigen Thüringen zugewanderte Tischlergeselle Johann Heinrich Schucht einen Namen. Was ohne Wissen um die historischen Abläufe zunächst unspektakulär klingt, ist für die damalige Zeit ein sehr außergewöhnliches Ereignis: Erstmals erleben Menschen aus der Arbeiterschaft, sehr häufig auch Handwerksgesellen, in ihrer Freizeit einen großen Kanon an Fächern: Das Spektrum zieht sich vom kaufmännischen Rechnen über Schönschreibung, Musik, Geografie bis hin zu politischer Bildung.


Erste Partei, erste Gewerkschaft, erster Turnverein – und jede Menge Bildung

Erstmals engagieren sich Menschen aus dem „einfachen“ Volk auf diese Weise für demokratische Ideale, die ihren Ursprung in der Revolution von 1848 besitzen. Erstmals gibt es in Osnabrück in Gestalt der Deutschen Arbeiterverbrüderung den Anschluss an einen parteiähnlichen Zusammenschluss, der Strukturen der späteren Sozialdemokratie aufweist. Erstmals engagieren sich Arbeiter und Handwerksgesellen, aber auch Lehrer oder progressive Unternehmer für eine politische Teilhabe der ärmeren Bevölkerungsgruppen innerhalb der ersehnten Demokratie.

Erstmals werden einzufordernde Arbeitnehmerrechte wie Koalitionsfreiheit, Streikrecht bis hin zu selbstverwalteten Hilfskassen zum Thema des Zusammenschlusses. Selbst der Osnabrücker Sport besitzt mit der Konstituierung des Arbeiterbildungsvereins ein Gründungsdatum: Erstmals wird in Gestalt eines parallel gegründeten Arbeiter-Turnvereins der hart arbeitenden Bevölkerung eine Möglichkeit eröffnet, sich spielerisch und turnerisch zu betätigen. Zum ersten Mal wird auch ein Arbeitersängerbund aus der Taufe gehoben, der ärmere Gruppen der Bevölkerung ebenso an überliefertes musikalisches Kulturgut heranführt wie auch eigenes Liedgut kreiert.


Osnabrück als demokratische Hochburg

Das mit 12.500 Seelen überschaubare Osnabrück bildet eine echte Hochburg der 48er-Revolution – und besitzt mit dem Osnabrücker Tageblatt sogar ein eigenes Mitteilungsblatt.
Blickt man auf das Stadtpanorama, springt umgekehrt die Not, etwas zu verändern, schnell ins Auge: Die Stadtwege verbergen Enge, Krankheit und Tod. Mitten durch die Straßen ziehen sich Kloaken in Gestalt von Abwassergräben. In unmittelbarer Nähe gesellen sich Frischwasserbrunnen, die sich allzu oft mit den Abwässern vermengen. Die meisten Straßen sind nur grob gepflastert und verbergen eine üble Mischung aus Misthaufen, Schlamm, Tier- wie Menschenfäkalien.

Insbesondere in den Häusern der Armen herrscht eine unbeschreibliche Enge. Ein Osnabrücker Arbeiterleben währt im Schnitt 29,6 Jahre. Unter den Toten Osnabrücks bilden unter fünfjährige Kinder eine tragische Quote von 48%. Das Bildungsangebot spiegelt die Klassenlage: Kinder der Reichen besuchen im Genuss üppigen Schulgelds das evangelische Ratsgymnasium oder das katholische Carolinum. Das einfache Volk hat sich mit Kirchspielschulen für die Kleinen und Bürgerschulen für bis zu 14-Jährige zu bescheiden.


Johann Carl Bertram Stüve: Mitakteur einer Gleichschaltung 

Gegen all dies begehrt der ABV-Gründer Johann Heinrich Schucht (1826-1908) auf. Zwei Jahre später wird er als Demokrat wie Sozialist verfolgt und aus Osnabrück, dem Königreich Hannover wie aus Preußen ausgewiesen. Annuliert werden eine zuvor geschlossene Ehe, sogar Schuchts Meisterprüfung im Tischlerhandwerk wird für null und nichtig erklärt. Seine Flucht wird in London enden. Die junge demokratische Arbeiterbewegung wird allerorten – auch unter aktivem Zutun des vorherigen Innenministers und folgenden Osnabrücker Bürgermeisters Johann Carl Bertram Stüve, brutal zerschlagen.

VHS-Link

Dozent:in: Heiko Schulze
Beginn: Dienstag, 29.10.2024
Uhrzeit: 19:00–21:15 Uhr
Ort: vhs I OS / VHS-Link zur Veranstaltung
Gebühr: Eintritt frei

 

 

 

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