Das DREI STUFEN-Projekt: Reisen mit der jüdischen Seele

Ausstellung auf den Spuren jüdischer Kultur in Lettland in der Volkshochschule

17 Stunden ist Janis Proms, Bürgermeister der lettischen Samtgemeinde Višķi, mit dem Bus unterwegs gewesen, um an der Eröffnung der Ausstellung über das DREI STUFEN-Projekt in der Volkshochschule Osnabrück teilzunehmen. Peter Befeldt weist im Namen des Vereins DREI STUFEN auf die Grenzlage von Višķi hin: 70 Kilometer von Russland, angrenzend an Belarus. Man sei froh, heißt es, die offenen Grenzen innerhalb Europas für solche Besuche nutzen zu können. Für die Besucher aus Lettland sind offene Grenzen keine Selbstverständlichkeit. Bis 1991 war Lettland eine Sozialistische Sowjetrepublik.

Die Ausstellung in der Volkshochschule zeigt historische Aufnahmen und die aktuelle Arbeit des DREI STUFEN-Projekts. Es erinnert an das jüdische Leben in Višķi in Lettland, das nach der deutschen Besetzung beim Überfall auf die Sowjetunion 1941 vernichtet wurde. Der Besuch aus Višķi sei ein Besuch bei Freunden, sagt der Generalvikar des Bistums Osnabrück, Ulrich Beckwermert. Durch das Projekt sind viele Kontakte zwischen der Region Osnabrück und dem Landkreises Daugavpils entstanden. Anwesend sind auch TeilnehmerInnen der von der Gedenkstätte Augustaschacht organisierten Reise für Multiplikatoren, die Anfang September mit Baruch Chauskin zusammen in Litauen und Lettland waren. Hasbergens Bürgermeister Adrian Schäfer, zugleich Vorsitzender des Vereins DREI STUFEN, ist 2022 schon in Višķi gewesen. Es bestehen Kontakte mit der Alexanderschule Wallenhorst und den berufsbildende Schulen in Haste. Daneben gibt es auch wirtschaftliche Kontakte der Amazone-Werke mit der Landwirtschaftsschule in Lettland. Studentinnen der Hochschule in Osnabrück beschäftigen sich in einer Masterarbeit mit dem Projekt.

Baruch Chauskin mit NIHZ-Duo Bobby Rootveld & Sanna van Elst
Baruch Chauskin mit NIHZ-Duo Bobby Rootveld & Sanna van Elst. Foto: OR

In Lettland fanden unmittelbar nach der Besetzung des Landes Massenmorde statt. Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD begannen zusammen mit litauischen Kollaborateuren mit der Ermordung von Juden und Kommunisten. Bis 1941 lebten in Višķi mehr als vierhundert jüdische Menschen. Doch innerhalb von zwei Tagen hörte das überwiegend von jüdischen Familien bewohnte Shetl Višķi auf zu existieren. Die jüdischen Einwohner wurden in das Ghetto nach Daugavpils gebracht. „Erschossen worden sind nur die, die den Weg ins Getto nicht mitgehen konnten.“ Diese Aussage, bleibt nach einem Film über das DREI STUFEN-Projekt schmerzhaft lange auf der Leinwand stehen. Schmerzhaft auch, weil sie nicht wahr ist. Auch die Menschen im Ghetto wurden bei Massenerschießungen in den umliegenden Wäldern ermordet.

Für Baruch Chauskin, seit 2012 Kantor der Jüdischen Gemeinde Osnabrück, geht es dabei auch um seine eigene Familiengeschichte. Seine 1912 geborene Großmutter Haja Kovnats entkam mit ihrer Tochter der Vernichtung, weil sie das Shtetl als 16jährige verlassen hatte und nach Riga gegangen war. Bei einem Besuch auf den Spuren seiner Familie fand Baruch Chauskin 2012 keine Spuren jüdischen Lebens in Višķi mehr, bis auf einen Friedhof und drei Stufen im hohen Gras einer Wiese, die einst zur Synagoge geführt hatten. Nach diesen Stufen hat er sein Projekt benannt, das die Geschichte jüdischen Lebens in Lettland lebendig erhalten soll: Eine Aufgabe, die uns alle angeht, wie es bei der Ausstellungseröffnung in der Volkshochschule hieß. Tatkräftig unterstützt wurde er dabei von Višķis Bürgermeister Janis Proms. Bis zu Baruch Chauskins Besuch hatte Proms wie viele seiner Generation nichts von der jüdischen Geschichte des Ortes gewusst.

Der 2017 gegründete Verein DREI STUFEN setzte sich zunächst für die Errichtung einer Gedenkstätte ein. Eine Gedenktafel mit Informationen informiert mittlerweile über die einstige Jüdische Gemeinde des Ortes. Seit diesem Jahr erinnern großformatige Bilder am Ortseingang und von dem Künster Valdis Grebežs geschaffene Wegweiser an die vergessene Geschichte, die Baruch Chauskin mit seinem Engagement wieder sichtbar gemacht hat. Dabei hatte er auch in Osnabrück viel Unterstützung, und wird sie auch in Zukunft haben. Er werde sich noch oft mit Chauskin treffen, versichert Ulrich Beckwermert „um mit dem ihm gemeinsam Verantwortung zu übernehmen“. Besonders wertvoll ist auch die Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Augustaschacht, deren Geschäftsführer Michael Gander zusammen mit Baruch Chauskin und Janis Proms das Projekt im September beim internationalen Kongress „Jewish Life in the Baltic Region Before, During, and After the Holocaust“ in Riga vorstellte, wo es auf viel Interesse stieß.

Bürgmeisterin Birgit Strangmann, die die Ausstellung eröffnete, im Gespräch mit Baruch Chauskin und Bürgermeister Janis Proms. Foto: OR
Bürgermeisterin Birgit Strangmann, die die Ausstellung eröffnete, im Gespräch mit Baruch Chauskin und Bürgermeister Janis Proms. Foto: OR

Der Verein, der auch Konzerte veranstaltet, hat heimisches Handwerk aus den Flechtwerkstätten in Višķi und Musik aus Ladgalen zur Veranstaltung in der Volkshochschule mitgebracht. Vija Petrovan, Lehrerin der Musik- und Kunstschule Špoģi, spielt auf der Kokle, einem alten Zupfinstrument, eine beeindruckende Komposition mit ungewöhnlichen Tönen. DREI STUFEN will mit dem internationalen Projekt „Mit Musik Grenzen überwinden“ ein Zeichen der Verständigung und der Hoffnung setzen. Baruch Chauskin trägt mit dem niederländischen Duo NIHZ stimmungsvolle jiddische Lieder vor. Die Konzertreihe zeige, dass das jüdisches Leben in Deutschland lebendig sei, sagt Peter Befeldt, der zu den Organisatoren der Solidaritätswache vor der Osnabrücker Synagoge gehört. Wie lebendig jüdisches Leben in Osnabrück ist, zeigt sich, als die auf Anregung von Holger Elixmann entstandene mitreißende jiddische Version der VfL-Hymne aufgeführt wird. Wer sich das Video mit Baruch Chauskin, Bobby Rootveld und Sanna van Elst vom Duo NIHZ bei Youtube ansieht, in dem sie dem VfL „einen schönen Aufstieg“ wünschen, wird der Zeile aus einem Lied zustimmen, das Baruch Chauskin anschließend singt: „Jeden Tag soll sein Jiddischkeit!“

Auch wenn bei der Veranstaltung in der Volkshochschule wie bei jedem Gottesdienst in der Synagoge Polizei vor der Tür Wache hält, stellt Baruch Chauskin fest, er fühle sich sicher in der Friedensstadt, wo er sagen und singen kann: “Ich bin ein Jid!“

 

Wichtige Termine

Die Ausstellung ist bis zum 20.12.2024 zu sehen.

Am Sonntag, den 17. November 2024, 14 Uhr lädt der Verein DREI STUFEN zu einem musikalischen Nachmittag unter der Überschrift „Mit der jüdischen Seele unterwegs“ mit Baruch Chauskin und dem Duo NIHZ in die VHS Osnabrück ein. Der Eintritt ist frei.

Am Dienstag, den 3. Dezember 2024, 19 Uhr findet in der VHS Osnabrück ein Vortragsabend zum Thema „Auf den Spuren jüdischen Lebens in Lettland“ mit Dr. Michael Gander, dem Geschäftsführer der Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht, statt.

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