76 Jahre Osnabrücker Rundschau

Wie es zur ersten „Osnabrücker Rundschau“ kam …
… und warum sie damals schnell wieder aufgeben musste.

Bereits zum 75. Geburtstag am 1. März 2021 der Osnabrücker Rundschau hatte sich die Redaktion entschlossen, eine kleine Zeitreise in die Anfänge der Osnabrücker Zeitungsgeschichte nach der Befreiung vom Faschismus zu starten.
In dem Beitrag ging und geht es um das vergleichsweise kurze Leben der ersten OR, die nur ein gutes halbes Jahr bestehen sollte.

Auf diesen Artikel folgten vier weitere Beiträge, die sich mit den Journalisten befassten, die der alten OR einst ihren Stempel aufgedrückt hatten.

  1. Folge Josef Burgdorf
  2. Folge Karl Kühling
  3. Folge Hans Wunderlich
  4. Folge Bernhard Schulz

 

Auferstanden aus Ruinen …

4. April Osnabrück 1945: Britische Truppen besetzen die Stadt an der Hase. Osnabrück liegt in Trümmern. Beinahe zwei Drittel aller Gebäude der Stadt, rund 80% der Altstadt-Häuser, sind zerstört. Heimkehrer finden im Schutt der Straßen nur mühsam den Weg zu ehemaligen Wohnstätten. Zur Versorgung tragen „Schwarzmärkte“ bei, auf denen die letzten Habseligkeiten getauscht werden, um zu überleben. „Hamsterfahrten“ zu Landwirten des Umlands sorgen für ein Minimum an Brot, Butter, Fleisch oder Wurst. Weniger als 80.000 Menschen zählen noch zu den „Alt-Osnabrückern“. Rund 10.000 „Displaced Persons“ warten als ehemalige Kriegsgefangene oder Zwangsarbeiter auf die Rückkehr in ihr Heimatland und prägen das Straßenbild. Ebenso wie rund 3.000 deutsche Flüchtlinge und einige Tausend britische Soldaten. Osnabrücker, die den mörderischen Weltenbrand als Frontsoldaten überlebt haben und sich in ferner Kriegsgefangenschaft befinden, kehren erst allmählich wieder in ihre Heimatstadt zurück.

Kurzum: In den ersten Monaten nach der Befreiung gibt es zunächst andere Aufgaben als die Herausgabe von Zeitungen. In den kargen, oft provisorischen Behausungen hocken oft traumatisierte Menschen. „Der Osnabrücker (…) sitzt zu Hause, ohne Rundfunk, ohne Zeitung, ohne elektrisches Licht, ohne Gas, auch der Wasserhahn gibt nicht viel her“, schreibt Stadtschreiber Dr. Hans Glenewinkel in die offizielle städtische Kriegschronik.

Trotzdem wollen die Menschen inmitten der Trümmer ihrer Stadt unbedingt erfahren, was um sie herum geschieht. Deshalb informiert die Britische Militärregierung die Bevölkerung seit der Besetzung im April 1945 zunächst allein per Lautsprecherwagen, über Flugblätter und Plakate. Weil es an Papier, Druckerfarbe, aber auch Druckkapazitäten mangelte, ist an mehrseitige Zeitungen aber noch lange nicht zu denken. Die größten Druckereien liegen in Trümmern und können ihre Tätigkeit erst im Lauf des Jahres 1945 unter primitivsten Umständen wieder aufnehmen. Dies waren vor allem das Verlagshaus Fromm (Verleger der vormals katholisch-konservativen Osnabrücker Volkszeitung) sowie das Haus Meinders & Elstermann (zuvor Macher des Osnabrücker Tageblatts). Die Druckerei der Freien Presse, Anfang Februar 1933 von den Nazis verbotene SPD-Tageszeitung, hatten sich die Nazis sofort unter den Nagel gerissen. Der Verbleib der aus SPD-Mitgliederspenden finanzierten Maschinen sollte für immer ungeklärt bleiben.

Zudem müssen etliche Journalisten und Verleger, die sich aktiv im „Tausendjährigen Reich“ betätigt hatten, vor einer weiteren Betätigung auf ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus überprüft werden, was viel Zeit beansprucht.

Britische Geburtshelfer und deutsche Schreiber

Aber die Briten sind am Ende doch die entscheidenden Geburtshelfer, um vor Ort endlich wieder eine Zeitung an die Leserinnen und Leser zu bringen. Zuvor aus Oldenburg oder Bielefeld transportierte Blätter konnten an der Hasestadt mit ihrer reichen eigenen Pressetradition nicht überzeugen. Als Name des neuen, von der Militärbehörde herausgegebenen Blattes, wird der historisch unbelastete Titel „Osnabrücker Rundschau“ gewählt.

Diese Suche nach Redakteuren, die mit der örtlichen Situation vertraut sind, gestaltet sich zwar mühsam, ist am Ende aber erfolgreich. Das Blatt kann starten, kann aber aufgrund der Mangellage noch lange keine optimale Informationsquelle präsentieren. Papier ist mehr als knapp, was zu geringen Seitenzahlen und nur wenige Erscheinungstagen führt.

Dennoch: am 1. März 1946 erblickt die „Osnabrücker Rundschau“ das Licht der Welt. Zu haben ist sie jeweils am Dienstag und am Freitag und kostet 20 Pfennige. 120.000 abnehmende Haushalte in Stadt und Umland bilden für die folgenden drei Regionalausgaben ein beachtliches Leserpotenzial. Denn das Blatt soll nicht nur in der Hasestadt samt Umland, sondern auch in der Grafschaft Bentheim, in Meppen, Lingen, Aschendorf-Hümmling, Melle, Wittlage, Bersenbrück und auch Tecklenburg erhältlich sein. Gedruckt werden die Ausgaben in der provisorisch wieder hergerichteten Druckerei der Firma Meinders & Elstermann in der Möserstraße 6 – allerdings ohne Einfluss der vorgenannten Zeitungsmacher, denen die Briten aufgrund deren Wirkens in der NS-Zeit, wie im Übrigen auch gegenüber dem früheren Zeitungsverleger Fromm, erhebliches Misstrauen entgegenbrachten.

Als erfahrenen, nicht durch NS-Vorgeschichte belasteten Verlagsleiter verpflichteten die Briten Archilles Markowsky, der lange Jahre beim Berliner Ullstein-Verlag verbracht hatte und für dieses Haus zuletzt in Hamburg tätig gewesen war. Die Journalisten-Runde, die Markowsky um sich herum versammelte, ist politisch bunt und vielfältig: Am Redaktionstisch versammeln sich der Konservative Karl Kühling neben dem damaligen Kommunisten Josef Burgdorf (später ging er zurück in seine vormalige Partei SPD) bis hin zum Sozialdemokraten Hans Wunderlich. Sie legen trotzdem einträchtig los und präsentieren in naher Zukunft Weltnachrichten, Feuilleton, Kommentare und „Buntes“, Lokalberichte, Sport, eine gesonderte Seite „Welt der Frau“ sowie die in damaligen Notzeiten besonders vielgelesenen Anzeigen.
Nicht beklagen können sich die OR-Macher über mangelnden Zuspruch: Gleich die erste Nummer am 1. März 1946 weist auf der Frontseite die unterschiedlichsten Grußbotschaften auf. Darunter befinden sich der damalige Oberbürgermeister Dr. Kreft, Regierungspräsident Dr. Petermann, Bischof Berning, Superintendent Bünding, Philipp Münz als Vertreter der wieder entstandenen Israelischen Synagogengemeinde, nicht zuletzt örtliche Parteien wie SPD, CDU, KPD und die Niedersächsische Landespartei.

Streit um die Ausrichtung: Das Ende der ersten OR

Die Osnabrücker Rundschau wird sich jedoch nicht kritiklos auf dem regionalen Markt etablieren dürfen. Misstrauisch wird innerhalb der Leserschaft beäugt, dass britische Besatzer verantwortlich für Nachrichten sind, deren Wahrheitsgehalt zuweilen angezweifelt wird. Vor allem aus eher konservativen Landkreisgemeinden hagelt es viel Kritik an der inhaltlichen Ausrichtung. Die Sichtweise der städtischen „Arbeiterschaft“, mit anderen Worten: links verortete Positionen diktierten angeblich Nachrichten und Kommentare. Zu wenig kämen, so eine weitere Kritik, Belange der Landkreisbevölkerung zur Sprache. Aufsehen erregt auch die Kündigung des konservativen Redakteurs Karl Kühling. „Da ich“, schrieb er später in seinem Lebenslauf, „den Stil dieser Zeitung nicht für gut hielt und dem auch Ausdruck gab, wurde ich nach wenigen Monaten fristlos entlassen.“ 1947 wechselt er zur Volkszeitung nach Celle, die der – deutlich rechts von der CDU angesiedelten – erzkonservativen Deutschen Partei nahesteht. 1949 kehrt Kühling, der wie viele Gleichgesinnte später zur CDU findet, wieder dauerhaft nach Osnabrück zurück und sollte später, von 1964 bis 1972, dem Stadtrat angehören, bis zur Fusion zur Neuen OZ Lokalchef der christlich-konservativen Neuen Tagespost werden und nebenher zahlreiche stadtgeschichtliche Bücher schreiben.

Die Kritik an der Ausrichtung der Rundschau setzt sich auch in der Folgezeit immer heftiger fort. Vor allem konservativen Kräften erscheint das Blatt zunehmend SPD-nahe. Überdies wächst deutlich der Unwille gegenüber britisch verantworteten Blättern. Die Besatzungsbehörden kommen den Bedenken entgegen, indem sie umgehend Zeitungslizenzen an Deutsche vergeben. Dabei ist den britischen Besatzern im niedersächsischen Umland sehr daran gelegen, dass es zeitgleich mit zahlreichen, landesweit vertriebenen, neu mit deutschen Lizenzträgern ins Leben gerufenen SPD-nahen Blättern zunehmend auch solche mit konservativer Ausrichtung gibt. Die Tage der ersten „Osnabrücker Rundschau“ sind somit am 13. September 1946 gezählt. Sie hat keine sechseinhalb Monate existiert.

Wie es weiterging

Nachfolgeblatt wird das „Neue Tageblatt“, dessen erster Lizenzträger der vormalige OR-Treuhänder Archilles Markowsky wird. Noch eine kurze Zeit verbleiben nicht-konservative Redakteure wie SPD-Mann Hans Wunderlich beim neuen Blatt. Anfangs ist es auch optisch noch ähnlich wie die OR gestaltet. Doch schon im April 1947 wechselt Wunderlich, der zunehmend Einfluss auf Redaktionstexte besitzt, zur SPD-nahen, in Wilhelmshaven produzierten Nordwestdeutschen Rundschau, die auch einen Osnabrücker Lokalteil samt Lokalredaktion aufweist.

Im Neuen Tageblatt sind die Tage einer vielfältigen Ausrichtung bald tatsächlich gezählt: Ende des Jahres 1947 gibt es mit dem vormaligen und auch späteren CDU-Oberbürgermeister Dr. Adolf Kreft und Dr. Josef Kannengießer zwei entschiedene CDU-Parteivertreter als weitere Lizenzträger, die dem Blatt einen offen konservativen Kurs verpassen. Ab 1950 wird sich das Neue Tageblatt in „Neue Tagespost“ umbenennen, den Kurs aber strikt beibehalten. Konkurrenten dieser Tageszeitung werden in der Region bis 1967 das formal unabhängige Osnabrücker Tageblatt und die sozialdemokratische Freie Presse sein.

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