forx. Forken, die still nach Frieden schreien – Teil 1: bei Tageslicht

Trieb-Installation vor dem Rathaus fördert Lust zum Debattieren

Wer sich dieser Tage von weitem, eher nichtsahnend, dem Osnabrücker Rathaus nähert, nimmt von Ferne eine Art weiße Bugwelle wahr, die gegen das Gebäude zu schwappen droht. Wer danach auf dem Markt vor dem Rathaus steht, sieht es natürlich besser. Zu studieren sind insgesamt 1648 weiß angestrichene Mistgabeln mit aufgespießten, ebenfalls weiß gehaltenen Holzstücken. Alles wird sorgsam durch ein Gerüst mit Betonsockel, am Ende durch unzählige Kabelbinder zusammengehalten und nennt sich „pitchforks for peace“. Ein wichtiges Ziel hat Künstler Volker Johannes Trieb mit seiner markanten und hoch aufragenden Installation, die offiziell am Sonntag vorgestellt wurde, bereits jetzt erreicht: Passantinnen und Passanten fragen und diskutieren leidenschaftlich über diese ungewöhnliche Variante von Kunst im öffentlichen Raum.


Ein Nein zur Macht der Stärkeren

Wenn der Anlass nicht so todernst wäre, könnte man über eine Art „Gabelfernsehen!“ schmunzeln. Allerdings sind Installation und Beweggründe alles andere als humoristisch. Bereits eine kurze Zeitspanne, in der wir aufmerksam Mediennachrichten verfolgen, sollte ausreichen, um Triebs Empörung zu unserer eigenen zu machen: Sollen menschenverachtende Kriege in der Ukraine, im Jemen, in vielen Teilen Afrikas, ebenso wie Hunger- und Umweltkatastrophen von uns täglich schulterzuckend zur Kenntnis genommen werden? Und das auch noch in der Friedensstadt Osnabrück im 375. Jubiläumsjahr des Westfälischen Friedens? Dass der Künstler diese Frage mit einem lauten Nein beantwortet, ist für alle, die ihn kennen, keine Überraschung.

Eine Ursache weltweiter Konflikte ärgert Trieb, wie sie uns eigentlich alle täglich ärgern sollte: die Macht von Eliten, die Schwächere früher wie heute zu Opfern machen. Der Künstler drückt dies in seinem Flyer so aus: „In Zeiten von Flucht, Hunger, Angst und Ausgrenzung auf der Welt muss sich eine Gesellschaft bewusst gegen den evolutionären Gedanken des Siegs des Stärkeren entscheiden, der von immerwährendem Wachstum und vordergründigem Erfolg geprägt ist.“


Triebs Weg zur Gabel

Es bedarf also zwingend einer Solidarität der Schwächeren, um dem Triumph der Stärkeren Einhalt zu gebieten. Und welche Waffe besaßen jene Schwächeren bereits in vergangenen Jahrhunderten, die sich keine kostspieligen Waffen leisten konnten? Man ahnt es: Heu- oder Mistgabeln.

Trieb scheint mit jenem Garten- und Feldwerkzeug exakt jenes Symbol gefunden zu haben, das wehrhaftes Verhalten in Geschichte und Gegenwart vereint. Erklärt wird alles, indem man sich die Botschaft des Event-Künstlers durch das Studium mitgelieferter Informationen zu Gemüte geführt. Wörtlich betont er darin:

„Die größte menschliche Katastrophe des 30-Jährigen Krieges waren nicht die Toten auf den Schlachtfeldern, sondern die Toten bei Plünderungen, Brandschatzungen und Vergewaltigungen in der Zivilbevölkerung, durch Soldaten. Wenn überhaupt, konnte sich diese Bevölkerung, zumal auf dem Land, nur mit Gegenständen des Alltags wehren, nicht zuletzt Heugabeln. Heugabeln in der Landwirtschaft. Dass sie zu Waffen werden, geschieht nur in größter Not. Aber noch heute ist es wie damals: Auch der Hunger wird als Waffe eingesetzt. (…) Zugleich herrscht ein Krieg gegen das Klima, das durch die reichsten Länder der Erde massiv geschädigt wurde. Die meisten Menschen, die durch dieses Verbrechen sterben, sterben in den ärmsten Ländern. Die Heugabel ist bis heute in diesen Ländern oft das einzige Mittel, sich gegen die Gier der Machthabenden zur Wehr zu setzen – wenn Gegenwehr überhaupt möglich ist.“

Trieb wäre nicht Trieb, wenn er bei seinem Werk nicht jede Verbindung zu Gewalt abgeblockt hätte. Und zwar mit jahrhundertealten Holzblöcken, die fest auf den Gabeln aufgespießt sind und ihnen damit die Bedrohung nehmen.

Wie produktiv-ansteckend ein derartiges Projekt sein kann, zeigt die beispiellose Zusammenarbeit und Unterstützung, welche Triebs Idee von Beginn an entfacht hat. Aktiv dabei waren nicht nur der Fachbereich Kultur der Stadt und altbewährte Sponsoren aus der Wirtschaft wie die Egerland-Stiftung. Tatkräftig dabei waren ganz entscheidend auch die gemeinnützige Organisation „Die Brücke“ in Bramsche, last, but not least die hiesige Maler- und auch Dachdeckerinnung, die jeweils für den weißen Anstrich sorgten beziehungsweise den schwindelfreien Aufbau in stolzen Höhen garantierten.

Die tiefe Sehnsucht nach grenzenloser Solidarität, Frieden, Toleranz und Demokratie prägt nun jeden Millimeter des beeindruckenden Gemeinschaftsprodukts. Trieb formuliert seine persönliche Vision der Zukunftsgesellschaft, auch mit Verweis auf den Osnabrücker Weltliteraten Remarque, so: „Wir brauchen eine wehrhafte pazifistische Demokratie, um den derzeitigen Krisen und Katastrophen entgegenzutreten.“

Um es zusammenzufassen: Die Bugwelle aus weiß gepinselten Mistgabeln, die sich dem Rathaus bedrohlich zu nähern scheint, sollte mit ihrer zeitlosen Botschaft unbedingt als Meisterwerk in die Annalen vergänglicher Kunst im Osnabrücker Stadtraum eingehen. Empfehlenswert ist es, das schöne Wetter noch schnell zur Veranschaulichung des Kunstwerks zu nutzen. Wer es nicht so bald schafft, darf sogar ein wenig warten. Die „pitchforks for peace“ sind noch bis zum 31. Oktober vor dem Rathaus der Stadt zu sehen.

Wer mehr wissen möchte, darf sich gern in die virtuelle Welt begeben.

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