Heikos Rückblende: „Sachsen-Anhalt, halt!“

Gedanken zu einer denkwürdigen Landtagswahl

Die Wahl ist gelaufen, Plakate dürfen entsorgt werden, grottige Kugelschreiber gelangen zurück in die Wiederverwertung. Der solide CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff darf sich wie CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet entspannt zurücklehnen und sich über sensationelle 37,1% Stimmen freuen. Es geht also weiter so – ganz gleich, mit welchem Juniorpartner aus geschrumpfter SPD, zwergenhaften Grünen oder der wieder im Landtag vertretenen FDP. Dieses „Weiter so“ ist das eigentliche Ergebnis der Wahl. Weiter so?

Um es vorweg zu sagen: Dass ein gutes Fünftel die in diesem Bundesland besonders rechtsextreme AFD mit ihrer nationalistischen Hetze gewählt haben, ist natürlich furchtbar. Natürlich ist jedes Kreuz dieser Ritterkreuz-Partei eines zu viel! Natürlich ist diesen Menschenverächtern, Rassisten und Geschichtsleugnern die rote Karte zu zeigen. Aber sollte man nicht allmählich den Fokus auf jene Dreiviertelmehrheit richten, die unter demokratischen Parteien ausgewählt haben?

Kaum eine Talkshow verging, in der nicht eine einzige Frage das Monopol der gesamten Debatte bestimmte: Wird die CDU oder die AFD stärker? Ist es da nicht beinah logisch, dass ein Normalo-Konsument dies als eigentliche Wahlentscheidung für nur zwei Alternativen sah?

Für die politische Kultur in diesem Staate ist so etwas verheerend. Denn so viel Schaden, den derartige Diskussionsmonopole anrichten, kann nicht einmal das AFD-Gehetze aus brauner Brühe zutage fördern. Diskutierte etwa jemand über klassische Landesthemen wie Kitas, Schulen, Hochschulen, über Förderprogramme für eine lädierte Infrastruktur mit Rekord-Auswanderung? Über tariflich abgesicherte Arbeitsplätze oder öffentliche Arbeitsmarktförderung? Über Landesinitiativen für einen besseren Mieterschutz? Über eine nachhaltige Forst- und Landwirtschaft? Über besseren Nahverkehr in abgelegene Gemeinden?

Es nutzt nichts mehr, laut über derartige Themen, die doch eigentlich eine Wahlentscheidung bestimmen sollten, zu lamentieren. Lanz, Maischberger, Plasberg oder Illner, Kommentierer in Tageszeitungen, selbst die Szene in den neuen sozialen Medien ließen sich lieber über das Wettrennen zwischen Union und AFD aus. CDU hat gewonnen, Kopfnicken, weiter so. Punkt.

Die Hände reiben konnten und können sich fortan vor allem jene, die in Berliner Regierungszentralen die Politik der Republik bestimmen. Wer stellt eigentlich noch eine Kanzlerin infrage, die ihre Geschäfte zunehmend im Stil einer Steuerinspektorin für Bewegungen im Wasserglas versieht? Wo sind die Debatten? Über Immobilien-Hai Jens Spahn etwa, an dessen Dauerpannen und Leer-Ankündigen sich die Öffentlichkeit langsam gewöhnt? Über Seehofer als Minister in Altersteilzeit? Über Scheuers Andi, dessen Fähigkeiten, Maut-Geld in Gullis zu versenken, Guinness-verdächtig sind? Über den obersten Wirtschaftsmann Peter Altmeyer, der seine Zeit lieber in Talkshows verbringt, als sich um Staus bei Corona-Hilfen zu kümmern?  Über Frau Klöckner als Verlautbarungsministerin der Agrarverbände? Über Frau Anja Maria-Antonia Karliczek, deren Beitrag für Bildung und Forschung später einmal erforscht werden sollte?

Kurzum: Weit schneller als mit der von Scheuer verfemten Höchstgeschwindigkeit von 130 rast derzeit Armin Laschet als Triumphator über Söder und als Experte für programmatische Nullnummern über die Regierungsbahn. Wer soll ihn aufhalten?

Vor einiger Zeit dachte man noch, spätestens die Spendenskandale der Unionsparteien, die Eingeweihten stets auch den Blick auf gut gefüllte FDP-Brieftaschen ermöglichten, würden dem Spuk des „Weiter so“ ein Ende machen. Pustekuchen! Stattdessen versteht es die Unions-freundliche investigative Szene vortrefflich, jeden nicht ordentlich angezeigten Einnahme-Euro einer drohenden Kanzlerin Baerbock wie eine Monstranz in die Höhe zu halten. Endlich wirkt dann auch, dass sie eine Rabenmutter sei, die ihre Kinder dahin darben lässt und auf ihrer Homepage fälschlicherweise zwei Mitgliedschaften in Organisationen, die niemand kennt, aufführen ließ. Ach ja, ihr Studium ist offenbar ja auch zu kurz gewesen.

Dass sich solche Unions- und FDP-Abgeordnete sich zur gleichen Zeit die Tür in die Klinke des Bundestages geben, die teils monatlich Bezüge ergattern, welche Baerbock in Jahren verdiente, wird dabei schnell vergessen. Sorry, keine Zeit. Weiter so!

Weiter so? Schreit diese Republik nicht längst nach Veränderungen, deren Notwendigkeit schon ein Kind erkennen könnte? Endlich echte und wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz, endlich eine Bürgerversicherung, die Zweiklassenmedizin wie Absicherungen in Not und Alter lindert? Endlich der Kampf gegen prekäre Jobs, Alters- und Kinderarmut? Endlich eine wirksame Besteuerung der Reichen, Spekulanten und Boni-Empfänger, die sich in den letzten beiden Jahrzehnten – auf Kosten der Ärmeren – dumm und dämlich verdient haben?

Ich denke: Statt „Weiter so“ sind schnellstens echte sozial-ökologische Fortschritte gefragt! Und massive Investitionen in Digitalisierung, Bildung, Radwegebau bis hin zum öffentlichen Nah- und Fernverkehr! Dabei muss zwingend die Generallinie stimmen: klare Perspektiven zum grundlegenden Wandel – und Mut, sich der neoliberalen Politik der letzten Jahrzehnte – inklusive dem Geist der unseligen und enttäuschenden Schröder-Zeit – aktiv zu widersetzen. Investitionen für die Zukunft – statt drohenden weiteren Sozialabbau zur Einhaltung der in den USA und in Japan unbekannten Schuldengrenze! Europa als Chance für Frieden und demokratische Teilhabe statt unter der Knute alles kontrollierender Finanzaufsicht!

Last, but not least muss die Parole endlich wieder Abrüstung statt Aufrüstung heißen. Jeder Zweifler darf gern auf die im Vergleich gigantischen Aufrüstungszahlen der NATO blicken, die das völlig unabhängige Stockholmer SIPRI-Institut alljährlich ermittelt. Der Kalte Krieg ist vorbei, Putins und Chinas Menschenrechtsdrangsalierung kann anders als durch Raketen angegangen werden. Die Welt braucht keine aufgedonnerten High-Tech-Armeen, sondern Maßnahmen gegen Hunger und Umweltzerstörung.

Menschen brauchen Perspektive und ein Riesenstück Begeisterung – um auch Dritte von derartigen Zielen zu überzeugen. Dann, aber nur dann, könnte es doch noch klappen.

Dass dies mit einem „Weiter so!“ in Gestalt von Regierungen, an denen Union oder FDP auch nur beteiligt sind, niemals funktioniert, sollte eigentlich nachvollziehbar sein. Deutschland braucht ein doppelrot-grünes Bündnis. Es ist überfällig! Klar kann dieses Bündnis auch scheitern und enttäuschen. Aber es bleibt die einzige Chance dieser Republik, Neoliberalismus wie Rechtsextremismus gleichzeitig auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen.

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