Von Mahlen und Bewirten zum ökologischen Lernort
Fällt im heutigen Osnabrück das Stichwort „Nackte Mühle“, denken Unwissende womöglich an eine ungewöhnliche Ortsbezeichnung. Eingeweihte wissen um einen einzigartigen ökologischen Lernort an der Nette. Früheren Generationen war das Gebäudeensemble entweder als Sägemühle oder als beschauliche Gastlichkeit ein Begriff. Grund genug, der Geschichte des Ortes auf den Grund zu gehen.
Mühlentradition über viele Jahrhunderte
Die Zeitreise führt uns in das Jahr 1235. Damals begann nach ältesten Überlieferungen der Bau der Wassermühle. Woher die Bezeichnung „Nackte Mühle“ stammt, gilt als nicht exakt überliefert. Oftmals beziehen sich solche Namen auf historische Gegebenheiten oder lokale Gegebenheiten. Mühlen waren in der Vergangenheit wichtige Einrichtungen zur Verarbeitung von Getreide, und der Zusatz „nackt“ könnte sich auf eine besondere Eigenschaft der Mühle beziehen, wie zum Beispiel das Fehlen eines bestimmten Gebäudeteils oder eine besondere Bauweise.
Über Jahrhunderte, etliche Jahre war die Haster Nackte Mühle im Besitz der Familie Böhne. Lange Zeit sollte sie eine reine Produktionsstätte bleiben. Um 1786 gab es sogar noch neben der damals üblichen Getreidemühle eine Öl-, Boke- und Schnupftabakmühle. Ab 1900 wurde der einer Sägemühle, die noch heute zu bestaunen ist. Das Wasserrad der Sägemühle wurde 1938 durch eine Francis-Schachtturbine mit liegender Welle ersetzt.
Beliebtes Ausflugslokal – mit eher kurzer Dauer
Anno 1929 eröffnete August Böhne das unmittelbar am Mühlenteich gelegene Garten-Restaurant „Nackte Mühle“ am Östringer Weg 18. Schnell wurde alles zum beliebten Ausflugslokal mit Kind und Kegel. Herum sprach sich vor allem die Möglichkeit, Natur unter schattigen Bäumen zu erleben – und Kinder konnten bei warmem Wetter in und an der flachen Nette spielen.
Selbst der spätere Papst Pius XII. hat sich am 26. Juli 1926 in der Gästeliste verewigt. Als Haste 1939 in das Stadtgebiet eingegliedert wurde, führte dies kurzzeitig durchaus zu mehr Gästen aus dem Stadtkern, die den neuen Stadtteil besuchen wollten. Mit dem Kriegsende 1945 hatte es jedoch mit der Gastlichkeit ein Ende. Familie Böhne und die Mitarbeitenden widmeten sich fortan nur noch dem Mühlenbetrieb und auch dem Landhandel. 1967 wurde die Sägemühle stillgelegt. Zu stark war offenkundig die industrielle Konkurrenz.
Entwicklung zum ökologisch-sozialen Lernort
Im Jahre1988 pachtete der Verein für Jugendhilfe e.V. die Mühle von der Familie Böhne. Mit viel Unterstützung wurde alles restauriert und schrittweise zu einem Lernort umgestaltet. Nach der erneuten Inbetriebnahme von Turbine, Transmission und Sägegatter 1995 wurden zudem verschiedenste Restaurierungsmaßnahmen wie solche an der Brücke, auf dem Holzlagerplatz sowie am Gebäude durchgeführt. Seit 1996 hat sich hier der Technisch-ökologische Lernort Nackte Mühle etabliert.
Engagierte Mitarbeitende und ein ausgefeiltes Angebot für unterschiedliche Zielgruppen von Groß und Klein demonstrieren in Osnabrücks einziger Sägemühle ein Stück Kultur- und Technikgeschichte. Zudem können auf dem 2,5 ha großen mühlengeprägten Gelände die eng miteinander verzahnten Lebensräume entdeckt und erspielt werden. Für Schulklassen, Kindergartengruppen etc., aber auch im Freizeitbereich werden ganzjährig spannende Umweltbildungsveranstaltungen angeboten. Seit Jahren hat der Verein Lega S die Einrichtung übernommen und engagiert ausgebaut.
Vor allem die emotionale Verbindung der Kinder und Jugendlichen zur Natur wird immer wieder neu fantasievoll hergestellt. Zum Angebot zählen ein Besuch auf dem Bauernhof, eine Begegnung mit Hühnern oder Ziegen. Mit nackten Füßen können Besuchende bei gutem Wetter in einen Bach steigen. Gemeinsam können sie kochen – vegetarisch und nur mit Zutaten aus biologischem Anbau. Die wortwörtliche Berührung mit Natur stellt auch die emotionale Bindung her – und schafft jede Menge an Multiplikator*innen.
Um alle Angebote attraktiv zu halten, verfügt die Nackte Mühle über hilfreiche Einrichtungen und Möglichkeiten: naturnahes Gelände, Zugang zu artgerechter Tierhaltung, Obst- und Gemüseanbau im Garten, Stromerzeugung mit Wasserkraft und sogar eine Komposttrenntoilette. Die Wissensaneignung erfolgt mithilfe von Forscheraufträgen, Spielen, Literatur und Gesprächen.
Die Arbeit hat mittlerweile dermaßen viel Anerkennung erfahren, dass man im Verein eine ganz besondere Urkunde vorzeigen kann. Sie stammt vom Generalsekretär der Deutschen Unesco-Kommission, Roman Luckschneider. Die „Nationale Auszeichnung – Bildung für nachhaltige Entwicklung“ würdigt Lehr- und Lernangebote, die zeigen, wie Nachhaltigkeit in der deutschen Bildungslandschaft verankert werden kann, heißt es auf der Homepage der Lega-S-Jugendhilfe. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung und die Deutsche Unesco-Kommission hatten seinerzeit über 24 Organisationen geehrt.
Ist die Neugierde geweckt, den einzigartigen Ort zu erleben? Wollen Lehrpersonen oder Betreuer*innen von Gruppen gar eine Unterrichtseinheit mit gemeinschaftsfördernden Erlebnissen außerhalb des Klassen- oder Gruppenraumes erleben? Wollen auch OR-Lesende erfahren, wie man Natur und Technik zugleich näher kommen kann? Dann sollten Neugierige schlichtweg auf diesen Link mit einer gut gemachten Homepage klicken.