Heute vor einem Jahr: Jüdischer Sport: VfL-Fans gestalten historischen Abend

Virtuell, informativ – und nachdenklich stimmend

Reichhaltig wie seit Jahren ist auch in diesem Jahr das Veranstaltungsprogramm, welches das Osnabrücker Bündnis „Tradition lebt von Erinnerung“ rund um den 27. Januar, dem Auschwitz-Gedenktag, veranstaltet. Wie immer beteiligt sind Aktive aus dem VfL-Museum, der Fanabteilung, des Fanprojekts und der Ultra-Gruppe Violet Crew.

Im Mittelpunkt des Angebots steht neben anderen Aktivitäten auch ein historischer Vortrag. In den Vorjahren stand dabei das Thema „Lila-weiß in brauner Zeit“ im Vordergrund. Diesmal ging es um einen besonders markanten Aspekt deutscher wie Osnabrücker Sportgeschichte: „Verehrt, verstoßen – und lange vergessen! Die Geschichte jüdischer Sportler in Deutschland bis 1945 und ihre späte Wiederentdeckung“ war das Thema, dem sich Dr. Henry Wahlig, Mitarbeiter des in Dortmund angesiedelten DFB-Museums, stellte.

 

Pionierarbeit jüdischer Fußballer

Obwohl der geschichtliche Stoff aus Pandemie-Gründen in digitaler Runde vermittelt werden musste, erfuhren die Teilnehmenden aus erster Hand markante Informationen – die zugleich auch viel Nachdenklichkeit produzierten. Unbekannt war vielen bis dahin, dass Menschen jüdischer Religionszugehörigkeit insbesondere in den Anfangsjahrzehnten des deutschen Fußballs zentrale Pionierfunktionen für einen neu aufkommenden Mannschaftssport einnahmen. Entfalten musste der sich allerdings in erbitterter Konkurrenz zur streng deutschnational und oft auch antisemitisch ausgerichteten deutschen Turnerschaft. Jüdische Sportler wählten darum nicht selten den Fußball, um sich als Spieler oder Förderer einzubringen. Wahlig: „Ohne Juden wäre der Aufstieg des Fußballs in Deutschland bis 1933 undenkbar gewesen.“

Walter Bensemann

Beispielhaft nannte der Referent den DFB-Geburtshelfer und Gründer der Zeitschrift „Kicker“, Walter Bensemann. Nicht minder einen Namen machten sich in den Pionierjahrzehnten Nationalspieler wie Julius Hirsch oder Gottfried Fuchs. Erst in jüngster Zeit ist es, so Wahlig, gelungen, den bis zur NS-Machtergreifung und unmittelbar nach dem Kriege beim FC Bayern München als Präsident amtierenden Kurt Landauer zu ehren, in dessen Ägide es der Club, ausgestattet mit jüdischen Kickern als Leistungsträger, anno 1932 seine erste deutsche Meisterschaft einfuhr. Auch zahlreiche weitere Traditionsvereine verdankten ihren sportlichen Aufstieg Kickern wie Förderern jüdischer Religionszugehörigkeit.

 

Rausschmiss durch Nationalisten – Gründung des VfL

Fritz Frömbling

Osnabrück, so Wahlig, bildete oftmals ein exaktes Spiegelbild des Reichsgeschehens. Bereits 1924, bereits neun Jahre vor der Machtübergabe an die Nationalsozialisten, sei es der vom Seifen-Fabrikanten Fritz Frömbling geführte Osnabrücker Turnverein (OTV) gewesen, der jüdische Aktive aus seinen Reihe ausschloss. Betroffen davon waren großzügige Vereinsförderer wie Felix Löwenstein, Philipp Nussbaum (Vater von Felix) und Siegfried Flatauer, aber auch aktive Turner und Sportler wie Lea Levy. Auch erklärte Anti-Nationalisten wie der Sozialdemokrat Ernst Sievers zählten offenkundig zum Feindbild der Frömbling-Führung. Komplett aus dem OTV gedrängt worden sei im gleichen Jahr sogar die vollständige, durchaus erfolgreiche Fußballabteilung „Spiel und Sport“. Pikant: Letztere etablierte sich nach einer Fusion mit dem lila-weiß gedressten „Osnabrücker Ballspielvereins von 1899“ unter Leitung von Sievers ein gutes Jahr später als der heutige „Verein für Leibesübungen“ (VfL).

 

Sport als Schutzraum –Verbot des sozialistischen Arbeitersports

Am Beispiel des Fußballers Carl Meyer stellte Dieter Przygode dar, dass nicht wenige jüdische Sportler, die sich aus antisemitisch aufgestellten Stammvereinen gelöst hatten, auch andere Wege beschritten. Meyer engagierte sich danach zunächst noch in Vereinen wie Ballsport Eversburg. 1932 wurde ihm die Ehrennadel des Westdeutschen Spielverbandes, zu dem damals noch Osnabrück zählte, verliehen.

insbesondere nach 1933 bis zu seiner zwei Jahre später vollzogenen Emigration nach Argentinien engagierte sich Meyer auch in eigenständigen jüdischen Zusammenschlüssen. Przygode hat den von ihm umfangreich recherchierten Lebensweg Meyers in einem Buch nachgezeichnet.

Carl Meyer (rechts) und die Elf von Ballsport EversburgCarl Meyer (rechts) und die Elf von Ballsport Eversburg

Vor allem die infolge der Geschehnisse in diesem Jahr zwangsweise vom nationalen Sportgeschehen isolierten Vereine haben, so Henry Wahlig, noch wenige Jahre ein durchaus lebendiges Vereinsleben geführt. „Der Sportplatz“, so der Referent, „wird für jüdische Sporttreibende zum Schutzraum vor äußerer Verfolgung“. Während in den eigenständigen jüdischen Vereinen, die in zwei Dachverbänden organisiert waren, im Jahre 1933, zusammen gerechtet, erst rund 5.500 Mitglieder organisiert waren, sind dies, folgte man Wahligs Schaubild, 1935 bereits 40.500 gewesen.

Makkabi-Sportfest im Bremer Weserstadion 1934Makkabi-Sportfest im Bremer Weserstadion 1934

Mit Machtantritt der Nationalsozialisten nach dem 30. Januar 1933, dies klang bei der Aussprache zu Wahligs Vortrag zwischendurch ergänzend an, wurde der sozialistische Arbeitersport bereits komplett verboten und seine Funktionsträger wie Mitglieder – wie diejenigen der gesamten sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiterbewegung – politisch verfolgt. Mit der brutal zerschlagenen, größtenteils sozialdemokratischen Sportbewegung des „Arbeiter-Turn- und Sportbundes“ (ATSB), dem reichsweit immerhin 1,4 Millionen Mitglieder angehörten, fehlte auch jüdischen Sporttreibenden gegen die Nazi-Machthaber somit ein wichtiger Bündnispartner.

 

Levy und Löwenstein

Lea Levy (rechts)

Am Beispiel der jüdischen Sportlerin Lea Levy machte auch die Osnabrücker Historikerin Martina Sellmeyer deutlich, wie wichtig derartige Zusammenschlüsse vor allem für das Selbstvertrauen und die Identität ihrer Mitglieder gewesen seien. Sellmeyer wie Wahlig, dies berichteten beide anschaulich, sei es vor Jahren noch vergönnt gewesen, Frau Levy, die später in Israel lebte, persönlich kennenzulernen und ausgiebig zu befragen.

Heiko Schulze ergänzte am Beispiel des 1945 im KZ Sandbostel zu Tode gekommenen VfLers Felix Löwenstein, dass manche jüdische Aktive noch kurze Jahre in ihren vertrauten Vereinen verbleiben konnten. Schließlich hätten aber auch Menschen wie Löwenstein, dem die Nazi-Machthaber noch zusätzlich seine berufliche Existenzgrundlage geraubt hatten, resignieren müssen. Sie seien, wie dies ja auch reichsweit durch Druck seitens der NS-Regierung geschehen sei, aus ihren Vereinen ausgeschlossen worden.

Dass mittlerweile ein längerer Weg rund um das VfL-Traditionsstadion Bremer Brücke nach Felix Löwenstein benannt worden ist, zählt mittlerweile für viele Engagierte des Bündnisses als wesentlicher Erfolg jahrelanger Bemühungen.

 

Stationen bis zur Zerschlagung

Es oblag Henry Wahlig, die weiteren Stationen zur Entwicklung jüdischen Sports in Deutschland zu erläutern. Systematisch seien immer mehr Vereine bereits von sich aus und völlig freiwillig dazu übergegangen, jüdische Mitglieder auszuschließen. Eine nur etwas tolerantere Phase habe es noch bis zu den Olympischen Spielen 1936 in Berlin gegeben, als NS-Deutschland rein äußerlich vor aller Welt im Rahmen einer riesigen Propagandashow demonstrieren wollte, wie friedliebend und weltoffen das Regime angeblich sei. In Wahrheit seien die jüdischen Vereine spätestens danach zunehmend drangsaliert und ihrer Sportstätten beraubt worden. Vielfache Auswanderung von Sportlerinnen und Sportlern hat sich, folgt man dem Referenten, zusätzlich negativ auf das allgemeine jüdische Vereinsleben ausgewirkt.

SA-Sportfest auf dem OTV-PlatzSA-Sportfest auf dem OTV-Platz

Sein endgültiges Ende im Deutschen Reich erfolgte, folgt man Wahlig, nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938. Im Land oder in besetzten Gebieten lebende jüdische Sport-Aktive wurden größtenteils später, wie die Osnabrücker Felix Löwenstein, Siegfried Flatauer und die Familie von Felix Nussbaum, von Nazi-Schergen in Konzentrationslagern ermordet.

 

Neuaufbruch in Nachkriegsdeutschland

Viele neue Einblicke gewannen die Zuhörenden durch Wahligs Darstellung, wie sich der jüdische Sport in Nachkriegsdeutschland mit notgedrungen wenigen Aktiven gleichwohl neu konstituierte.

Immerhin: 1965 kam es zumindest zur Wiedergründung des Makkabi Deutschland e.V., dem heute, so Wahlig, wieder 32 Vereine und ca. 3.000 Mitglieder angehören. Weitere aus den Reihen der überlebenden jüdischen Sportler engagierten sich wiederum, wie der kurzfristig als Bayern-Präsident wiedergewählte Kurt Landauer, in ihren traditionellen Vereinen.

„Das Gedenken an Felix Löwenstein, zuletzt das von Lehrern, Schülerinnen und Schülern realisierte Mahnmal zugunsten der im OTV ausgeschlossenen jüdischen Sporttreibenden sind aber aktuell hervorragende Beispiele dafür, dass beharrliche Erinnerungsarbeit sehr erfolgreich sein kann“, würdigte Wahlig abschließend Osnabrücker Initiativen antifaschistischer Erinnerungskultur.

 

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