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Freitag, 19. September 2025
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Konservative am Schalthebel

Nach der EU-Wahl: Droht ein Rechtsaußen-Europa?

Bedeutung und Nachwirkungen der Europawahl vom Sonntag hat Rolf Wortmann in seinem gestrigen OR-Beitrag bereits treffend auf den Punkt gebracht: Die Grünen sind (fast) überall Wahlverlierer – und die große Ausgangsfrage bleibt, für welche Ausrichtung sich Europas Konservative unter Führung Manfred Webers und Ursula von der Leyens entscheiden.

Siegestrunken erscheinende Konservative besitzen derzeit in der Tat allerorten einen Schalthebel in der Hand: Wollen sie sich tatsächlich in „Große Koalitionen“ – Sozialdemokraten und Grüne eingeschlossen – begeben oder suchen sie das Heil im Andocken bei Rechtsaußen?

Angesichts einer AfD, die sich in Deutschland aktuell als Putin-Fans oder als Befürworter einer Massen-Ausweisung unblonder Deutscher höchstpersönlich ins rechtsextremistische Abseits befördert, vermag man die Unions-Orientierung schnell als unproblematisch ansehen. Als Bündnispartner eines künftigen Merz-Kabinetts erscheinen AfDler derzeit außerhalb der Debatte. Nur: Bleibt das noch lange so? Auch nach kommenden Kommunal- wie Landtagswahlen? Und wie wird es in Europa sein?


Programmatische Schnittmengen

Betrachten wir es einmal nüchtern programmatisch. Von der Leyens ehemals gefeierter Green Deal soll nach dem Willen einer riesigen Mehrheit der stramm Konservativen ohnehin das Ende bereitet werden – kosmetische Überblendungen eingeschlossen. Womöglich bleibt sogar der Name. Botanisch wäre es aber eine Trockenblume.

Sozial- und menschenrechtspolitische Vorgaben gelten für Konservative wie Rechtsaußen eh als Hemmnis der Wirtschaftsoberen. Mindestlohn? Vergabegesetz? An Standards orientierte Zuschüsse aus dem Europäischen Sozialfonds? Absicherung von erkämpften Tarifen? Konzern-Lobbyisten haben ihre Streichlisten für die Zuarbeiter der EU-Kommission längst erstellt. Die Wahl vom Sonntag hat die Türen noch weiter geöffnet als zuvor.

Europäisches Asylrecht? Hier dürften Konservative weiter ihrer Devise folgen, dass allein arme Länder die rund 100 Millionen Geflüchteten dieser Welt aufnehmen müssen. Das medial bombastisch verkaufte „Ruanda-Hotel“ dürfte als Wahrheit verkauft werden. Ein Asylrecht von Demokratien, letzter Hoffnungsanker für Verfolgte und Bedrängte in aller Welt, droht endgültig eine historische Fußnote zu werden.

Klimaziele? Konservative wie Neoliberale vertrauen bekanntlich darauf, dass die „freie Wirtschaft“ diese völlig allein ohne parlamentarisch beschlossene Vorgaben hinbekommt. Jahreszahlen zur Umsetzung von Klimaneutralität werden als Bürokratie-Beschleuniger an den Pranger gestellt. Verbrenner-Aus für Benzin- und Ölstinker? Energie- wie Auto-Konzerne werden alles daran setzen, ihre Interessen als das der „kleinen Leute“ und des Erhalts von Arbeitsplätzen zu verkaufen und einer Befristung den Garaus zu machen.

In einer Welt, in der alles auf Putins Ukraine-Krieg und auf das brutale Gemetzel im Gaza-Streifen blickt, erscheint die Klimakatastrophe eh schon als nicht mehr so wichtig. Kurzum: Regional begrenzte Kriege verstellen den Blick auf den real existierenden Weltkrieg um den Klimawandel. Augen zu und durch!

Es fällt dem Verfasser dieser Zeilen schwer, dies nüchtern einzugestehen: Betrachtet man die genannten Politikfelder, trennen die Konservativ-Neoliberalen wahre Universen von Grünen, Sozialdemokraten wie anderen Linken. Bei Rechtsextremen gibt es diese Schranken keineswegs. Ganz im Gegenteil: Rechtsaußen halten Klimawandel ohnehin für eine Fake-News und wollen besser gestern als heute alle Sozialstandards wie Steuerbelastungen Reicher abschaffen.


Blick über Deutschlands Landesgrenzen

Angesichts der fortwährenden „Brandmauer“ der Union zur AfD könnte man trotzdem versucht sein, eine fiktive Annäherung untereinander als Panikmache zu geißeln. Nur: Sollten wir angesichts der gerade beendeten Europa-Wahlen nicht viel mehr auf das Geschehen in anderen Staaten gucken?

Nehmen wir Frankreich: Anlässlich der kommenden Parlamentswahl könnte die Alternative drohen, dass sich gutbürgerlich gerierende Le-Pen-Aktivisten des Rassemblement National im Bündnis mit ganz Rechten, aber auch mit den konservativen Alt-Gaullisten der Republikaner (es könnten entscheidende 7 Prozent mehr zur Macht sein) nach zwei Wahlgängen in eine Parlamentsmehrheit hineinkämpfen. Nachdem sich Macrons Liberale durch neoliberalen Sozialabbau zu Recht selbst ins Abseits manövriert haben, bleibt im Nachbarland die einzige Chance eine – wieder mit Frankreichs Sozialisten – erstarkte Linke. Nur sie könnte den Rechtsaußen durch Wahlkreisbündnisse linker Parteien im zweiten Wahlgang einen Riegel vorzuschieben. Konservative spielen keine Rolle – es sei denn, als Steigbügelhalter für Le Pen.

Und Italien? Die siegestrunkene Postfaschistin Giorgia Meloni rasiert gerade mit der Komplettabschaffung des Sozialstaats, der Abschaffung des Asylrechts sowie der Rechte queerer Minderheiten und drohender Einschränkung von Justiz wie Pressefreiheit ehern erscheinende Werte des italienischen „Verfassungsbogens“. Jener hatte früher alles, von Christdemokraten bis hin zu Kommunisten, gegen die Faschisten geeint. Jetzt ist die CDU-Schwesterpartei „Forca Italia“, tatkräftige Wahlkampfhilfe leistete ihr CSU-Mann Manfred Weber, fester Teil der Rechtsregierung. Von der Leyens „beste neue Freundin“ Meloni buhlt um Kooperation mit der EVP. Hält jene diesem Drängen stand?

In Spanien konnte kürzlich nur hauchdünn ein Wahlsieg des Bündnisses von konservativer Volkspartei und Franco-faschistischer Vox-Partei verhindert werden. In Regionen, in denen die Rechten regieren, bereiten sie jedem sozialen, ökologischen wie zivilgesellschaftlichem Fortschritt den Garaus. Vorstufe für Spanien und Europa?

In Österreich droht, wie bereits in den Niederlanden, eine Rechtsaußen-Regierung. In der Alpenrepublik wäre dies erstmals die unter einem FPÖ-Bundeskanzler – mit tatkräftiger Hilfe der CDU-CSU-Schwesterpartei ÖVP.

Selbst im stabil erscheinenden Skandinavien gerieren sich Rechtsextreme längst als gern gesehene Steigbügelhalter für gemeinsame Regierungen mit Konservativen und Christdemokraten. In Schweden und Finnland mussten sich viele Menschen bereits mit Grausen daran gewöhnen, dass ihr altbewährter, sozialdemokratisch geprägter Wohlfahrtsstaat mittlerweile auf der Kippe steht.


Neue Formationen in Straßburg und Brüssel

Das rechtsextreme Quartett mit direkter oder indirekter Regierungsfunktion ist im heutigen Europa kaum noch zu übersehen. Zu Victor Orban könnte sich bald – beinahe schon in alter KuK-Tradition des seligen Österreichischen Kaiserreichs – Herbert Kickl von der FPÖ im Kanzlerstuhl gesellen. Im Norden winkt Geert Wilders aus den Niederlanden. Im Süden grüßt Frau Meloni. Den Arm um alle könnte – als Führerin dieses Quintetts – bald noch eine französische Regierungschefin Marine Le Pen legen. Kurzum: Im mächtigen EU-Rat der Regierungschefs droht ein Bollwerk von amtierenden wie künftigen Rechtsaußen-Regierungen. Wäre Von der Leyen wirklich in der Lage, dieser starken Front zu trotzen?

Hinzu tritt die Schwäche der progressiven Seite. Macron, egal, wo man ihn mit seinem speziellen Neoliberalismus einordnet, dürfte bald Vergangenheit sein. Warum er bei der Verkündung einer Neuwahl nicht auch gleich seinen Rücktritt angekündigt hat, bleibt sein taktisches Geheimnis. Ein Kanzler Olaf Scholz, ohnehin permanent ramponiert durch einen liberalen Koalitionspartner, für den jeder soziale Fortschritt Teufelswerk ist, droht spätestens nach der nächsten Bundeskanzlerwahl durch einen rechtskonservativen und ultraneoliberalen Regierungschef Friedrich Merz ersetzt zu werden. Rasieren von Renten und Bürgergeld, Erhöhung des Rentenalters, Abschaffung von Sozial- und Umweltstandards, Rückkehr zur menschenverachtenden Kernenergie und Ausrufung der Allgemeinen Wehrpflicht drohen zur deutschen Regierungspolitik zu werden. Ein roter oder grüner Koalitionspartner, der all dies schluckte, gäbe sich auf und machte seine Formation überflüssig.

Hinzu kommt die Drohkulisse aus den USA: Kehrt der Anti-Demokrat Donald Trump an die Macht zurück? Wird er plötzlich allein deshalb Europa-Fan, weil da seine Freunde den Ton angeben? Panikmache? Es wäre zu schön, um wahr zu sein.

Die Krise des progressiven Lagers dürfte sich auf EU-Ebene sogar noch verschärfen, sobald von der Leyens und Webers Konservative den Sozialdemokraten neoliberale Programme wie ein scharfes Messer an den (symbolischen) Hals setzen. Motto: „Friss unser Programm, wähle unsere Ursula zur Kommissions-Chefin – oder wir gehen mit Melonis Freunden!“ Kaum noch etwas bliebe von sozialdemokratischer Identität.

Kurzum: Es sieht düster aus in Deutschland wie Europa. Demonstrationen gegen Rechts, mutige Arbeitsniederlegungen, eine lebendige Zivilgesellschaft, eine engagierte Medienlandschaft, die dagegenhält: All dies könnte, wenn alles glimpflich verläuft, irgendwann in der Zukunft die Basis für eine Wende zum Besseren werden. Allein machen sie uns ein. Geben wir nicht auf! Die OR ist dabei.

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