Drohgebärden gegen Anti-Rechts-Bündnis offenbaren bedenkliches Verständnis demokratischer Kultur
Der Osnabrücker CDU-Kandidat für den Bundestag, Dr. Mathias Middelberg ist, dies sei vorweggenommen, weder rechtsextrem noch jemand, der grundlegende Artikel des Grundgesetzes in Frage stellt. Aber sein jüngster Versuch, Organisationen, die sich an aktuellen Großdemonstrationen gegen rechts beteiligt haben, Finanzmittel zu entziehen, demonstriert eindeutig ein Demokratieverständnis, das eng begrenzt ist.
Middelberg besitzt offenbar überhaupt keine Skrupel, auf Instagram mit der Parole „Kommt alle zur großen Demo gegen links! Am 23. Februar in Deinem Wahllokal“ anzutreten. Es ist eine Parole, die bereits mehrere AfD-Gliederungen (Paderborn, Bamberg, Vogtland u.a.) verwendet haben. Eine gemeinsame Parole von Union und AfD dürften selbst konservativ-demokratische Wähler*innen ziemlich schräg finden. Eine auf Instagram öffentlich ergobene Forderung des SPD-Konkurrenten Thomas Vaupel, den gemeinsamen Slogan angesichts der klaren AfD-Urheberschaft unbedingt zurückzuziehen, war für Middelberg bislang nicht einmal ein Reaktion wert.
Im Wahlkampf war es wiederholt Vaupel gewesen, der deutliche Defizite in Middelbergs Demokratieverständnis aufgedeckt hat. Besonders eklatant ist die Weigerung des CDU-Kandidaten, zentrale Demokratie-Fördermaßnahmen des Bundes, die, vorwiegend im Bildungs- und sozialpädagogischen Bereich, ebenfalls gegen rechtes Gedankengut gerichtet sind, künftig ersatzlos zu streichen. Middelbergs Drohgebärden gegen alles, was er für links hält, besitzen also durchaus eine konsequente und durchdachte Linie.
Ein Rückblick auf überliefertes CDU-Handeln
Eines muss man Middelberg allerdings zugute halten: Er propagiert jenes sehr eingeschränkte Demokratieverständnis, dem führende Christdemokraten schon seit ihrer Parteigründung anhingen. Denn schnell waren politische Vorfahren Mittelbergs immer wieder aktiv dabei, wenn es darum ging, Demokratie einzuengen, sobald es für Konservative unbequem wurde – und der Gegner links stand.
Ein Urvater dieser Strategie war CDU-Mitbegründer Konrad Adenauer. Der machte es zu seinem Markenzeichen, dass er seine Feinde primär links verortete – und Wirtschaft wie Verwaltungen zugleich wieder rasend schnell für alte Nazis öffnete. Teilweise integrierte er Alt-Nazis und Befürworter der NS-Rassegesetze wie Hans Globke als „Verfassungsschützer“ sogar in sein eigenes Bundeskabinett. Andere nutzte Adenauer als Chefs von Nachrichtendiensten zur Verfolgung auch sozialdemokratischer Gegner – wie dies Reinhard Gehlen zu Adenauers Gefallen praktizierte.
Schon 1951 sorgte der unbeirrt verehrte CDU-Mitgründer Adenauer dafür, dass die Freie Deutsche Jugend, Nachwuchsorganisation der Kommunistischen Partei, verboten wurde. Den restlichen KPD-Mitgliedern ging es 1956 so: Büros und Verlage wurden geschlossen. Rund 10.000 Kommunistinnen und Kommunisten wurden verhaftet und inhaftiert. Zugleich trafen sie oftmals auf haargenau dieselben Richter und Staatsanwälte, sogar auf Gefängniswärter, die sie schon in der NS-Zeit eingebuchtet hatten.
Begleitet wurden die Verbote mit einer Hetzjagd gegen linkes Denken, der sogar ein angesehener gewerkschaftlicher Ökonom wie Viktor Agartz zum Opfer fiel. Nach 1968, spätestens in den 70er-Jahren waren es vor allem Verantwortliche aus der CDU-CSU, die für Berufsverbote gegen linksgerichtete Menschen eintraten, die daraufhin wegen ihrer Gesinnung nie eine Stelle in der Schule fanden, wozu sie zuvor ausgebildet worden waren.
1973, kurz nach dem faschistischen Putsch eines Massenmörders wie Augusto Pinochet in Chile, dem Tausende linker Demokrat*innen zum Opfer fielen, sagte der Kanzlerkandidat der Union anno 1980, Franz-Josef Strauß: „Angesichts des Chaos, das in Chile geherrscht hat, erhält das Wort Ordnung für die Chilenen plötzlich wieder einen süßen Klang“.
Führende Unionspolitiker pflichteten Strauß auch in der Rückschau bei und offenbarten ein ähnlich autoritäres Demokratieverständnis. Bis in die frühen 80er-Jahre ließen CDU-Ministerpräsidenten wie Ernst Albrecht oder Gerhard Stoltenberg allzu gern Gummiknüppel, Tränengas und Gummigeschosse auf Menschen niedersausen, die gegen Atomkraftwerke demonstrierten.
An Universitäten machten und machen es Mitglieder des Unions-Studierendenverbandes „Ring Christlich Demokratischer Studenten“ zu einer Art schwarzem Volkssport, linke Mitglieder aus demokratisch gewählten Studierendenvertretungen zu verklagen, weil sie das „Allgemeinpolitische Mandat“ wahrgenommen hätten. Hintergrund waren zumeist Stellungnahmen gegen Berufsverbote, Chiles Faschisten, Südafrikas Rassisten oder gegen Fans der Aufrüstung.
In Osnabrück brachte der langjährige CDU-Chef Fritz Brickwedde 1976 und 1978 zwei wichtige Denunziationsschriften wie das „Rotbuch“ zur Linken in Osnabrück heraus, in dem aktive Linke namentlich mit realen oder vermeintlichen Zitaten aufgeführt wurden, um sie des Linksextremismus zu bezichtigen. Der Autor dieses Beitrags wurde ebenfalls mehrmals erwähnt. Etliche der Genannten bekamen im späteren Leben Probleme in ihrem beruflichen Werdegang.
Bis in die heutige Zeit hinein denunzieren Unionsvertreter allzu gern Sozialistinnen und Sozialisten, welche die Vision eines Demokratischen Sozialismus vertreten, als Verfassungsfeinde. Denn Verfassungsfeindschaft der Unionsparteien fängt für die Christdemokratie sehr oft bereits dort an, wo der Kapitalismus in Frage gestellt wird. Der wiederum ist gemäß parteipolitischem Katechismus so etwas wie der glücklich erreichte Endzustand der Menschheitsgeschichte.
Wozu dieser historische Ausflug?
Er zeigt auf, dass bei Middelberg, ebenso in den Unionsparteien ein ramponiertes Demokratie-Bild gewachsen ist, für die Middelbergs aktueller Einschüchterungsversuch nur eine kleine Variante darstellt.
Denkt man sich die christdemokratische Einengungsversuche der Demokratie weiter, sind weitere Drangsalierungen von Interessenvertretungen, Medien, Wohlfahrtsorganisationen bis hin zu Kirchen keinesfalls eine böse Utopie. Alles kann einmal damit beginnen, dass man Geldquellen versiegen lässt. Dann ist es eben, wie bereits anno 2014 „erfolgreich“ im Falle der globalisierungskritischen Organisation attac geschehen, nicht mehr möglich, eine Spende von der Steuer abzusetzen.Und öffentliche Zuschüsse im Sozial-, Sport- oder Kulturbereich lassen sich ja auch auf willfährige Empfänger reduzieren.
Noch besitzen die folgenden Befürchtungen keine konkreten Grundlagen. Wird es für Konservative wie Middelberg aber künftig noch unbequemer, kann es dann fiese Stiche gegen Medien mit komplizierten Paragrafen geben, die kleine Verlage oder Info-Netze schnell in die Knie zwingen? Oder ist das linke Panikmache? Aus Erfahrung wissen wir allerdings auch dies: Zuweilen könnte man im Sinne von Helmut Kohl gute Netzwerke mit Medien-Potentaten nutzen, um „unten“ in den Redaktionen jede Kritik an herrschenden Verhältnissen zu unterbinden. Panik? Die NOZ und das interne Gebaren von Chefredaktion und Verlagsleitung wären eine kritische Nachfrage wert. Näheres steht in unserer KOZ-Post.
Bislang galt es als undenkbar, dass konservative Demokraten in Deutschland so agieren wie Viktor Orbán in Ungarn oder die PIS-Partei in Polen. Noch werden keine unabhängigen Medien drangsaliert. Noch gibt es keine breit flankierten Versuche, kritische Journalist*innen mundtot zu machen, willfährige Staatsmedien (dies hatte sich Adenauer einmal mit dem ZDF vorgenommen) zu schaffen und die unabhängige Justiz zu schleifen.
Es wäre im Interesse einer auf Toleranz und Fairness aufgebauten Demokratie schön, Middelberg und Merz hier auf der Gegenseite zu sehen. Nur: Darf man dies dauerhaft annehmen? Demokratieabbau kann schnell beginnen. Denkbar sind Betriebs- oder Personalräte, die sich in ihrer Position nicht mehr frei äußern dürfen. Denkbar sind Rechtsbeschneidungen oder gar Abschaffungen von Studierendenvertretungen durch Änderung der Landeshochschulgesetze, wie es seinerzeit schon Bayern und Baden-Würtemberg vorgemacht haben.
Denkbar sind Revivals der Berufsverbote gegen linke Lehrer*innen und Hochschulangehörige. Vorstellbar sind Berrufsverbote, zumindest gestrichene Fördergelder für engagierte Wissenschaftler*innen bis hin zu Künstler*innen, die der Union nicht passen. Denkbar sind finanziell riesige Hürden als Lizenzgebühren für unabhängige Medien und existenzielle Risiken bei Verstößen gegen schikanös umgestaltete Lizenzbestimmungen.
Der Fantasie von Akteuren, die eine Illiberale Demokratie nach ihrem Wortschöpfer Viktor Orbán im Auge haben, sind notfalls keine Grenzen gesetzt. Es darf nicht vergessen werden, dass jener Viktor Orbán jahrelang zu den Ehrengästen und Impulsgebern von christdemokratischen Zusammenkünften, beispielweise solchen der CSU unter Horst Seehofer, gezählt hat.
Was besonders bedrohlich erscheint
In beinahe ganz Rest-Europa (in Österreich ließ es sich bislang gerade wohl noch abwenden) befinden sich Schwesterparteien der CDU-CSU bereits in engen Bündnissen mit rechtsextremen Demokratiegegnern. Siehe Spanien, Frankreich, Italien, Belgien, Finnland, Schweden. Im EU-Parlament sind gemeinsame Absprachen, beispielsweise mit der italienischen Postfaschistin Meloni, an der Tagesordnung.
Das Verhältnis zu Trump wie zu den Republikanern in den USA, die offen vor allem die AfD als ihre deutschen Bündnispartner ansehen, ist seitens der Union allenfalls unklar. Ein CDU-Haudrauf wie Jens Spahn, wohlbetreuter Gast auf dem Wahlparteitag der Republikaner, lässt mit seinen freundlichen Tönen zur Trump-Partei bereits heute Böses erahnen.
Um es noch einmal klarzustellen: Mathias Middelberg ist nicht Alice Weidel. Er ist erst recht kein Gesinnungsgenosse des AfD-Bosses Tino Chrupalla, welcher der SPD vor nicht allzu langer Zeit „das Schafott“ androhte. Aber wissen wir sicher, dass die „Brandmauer“ der Union zur AfD dauerhaft hält? Warum erleben wir sonst dermaßem heftige Einschüchterungsversuche gegen Mitgliedsorganisationen des Osnabrücker Anti-rechts-Bündnisses?
Wir sollten also alle aufpassen. Ohne Panik und hoffend, dass CDU-Kandidaten wie Middelberg verlässliche Demokraten bleiben. Aber gesunde Skepsis kann und darf nicht schaden. Zu jeder Minute. Vor allem gilt der bewährte Grundsatz: Wehret den Anfängen!