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Samstag, 13. Dezember 2025

Statt „Unterstrich“. Soll Osnabrück wieder eine „Villa Schlikker“ haben?

Ein kritischer Beitrag zur Namensdebatte für die Villa im Museumsquartier

Eine hitzige Debatte zur vollzogenen Namensgebung des Museumsgebäudes „Die Villa_Forum für Erinnerungskultur und Zeitgeschichte“  hält unvermindert an. Eiserne Anhänger*innen der historischen Figur Hans Calmeyers beharren unverändert auf die primär von der Osnabrücker CDU verfochtene Zielsetzung, die Villa nach dem offiziellen NS-Funktionsträger Hans-Georg Calmeyer zu benennen. Umgekehrt missfällt anderen der wahrlich seltsam klingende „Unterstrich“ im aktuellen Hausnamen. Wäre deshalb der überlieferte Traditionsname „Villa Schlikker“ eine glaubwürdige Alternative? Auf keinen Fall, sagt dazu der Autor dieses Beitrags.


Gerhard Schlikker: ein „durch und durch anständiger Mensch“?

In seinem, im Rahmen der OR-Serie „Täter, Hetzer, Profiteure“ veröffentlichten OR-Beitrag zur Person Dr. Gerhard Schlikker schlussfolgert Thorsten Heese aus dem Studium ihm vorliegender „Persilscheine“.  

Versucht man, die einzelnen Aussagen zu einem Gesamtbild zusammenzufügen, so erzeugten die Zeug:innen von Gerhard Schlikker das Bild eines grundsätzlich durch und durch anständigen Menschen.

Zweifellos: Heeses Schlussfolgerung ist eine sehr legitime historische Sichtweise – nimmt man, wie von Heese ausgiebig zitiert, primär die sogenannten „Persilscheine“ von Entlastungszeugen aus Schlikkers „Entnazifizierungsakte“ zur Grundlage einer Gesamtwertung. In der Tat kann danach als sehr wahrscheinlich gelten, dass Schlikker, zumindest in den letzten Jahren der NS-Diktatur, eine deutliche Distanz zum Regime demonstriert hat. Dies verdient zweifellos Respekt.

Weitaus kritischer muss man die Person allerdings würdigen, indem primär hinterfragt wird, warum Dr. Gerhard Schlikker bereits vor 1933 ein rundum überzeugter Nationalsozialist gewesen ist. Zumal spätestens seit Erscheinen des Hitler-Buches „Mein Kampf“ und beim kritischen Studieren der NS-Verlautbarungen klar gewesen sein muss, welchen Weg die Partei einschlägt. Schlikker war also längere Zeit nicht nur Beobachter, sondern zugleich aktiver Förderer – und als Unternehmer mit abhängig Beschäftigten, denen ihre Arbeitnehmerrechte von den Nationalsozialisten brutal genommen wurden, auch Profiteur nationalsozialistischer Politik.

Schlikkers Selbstbekenntnis als Nationalsozialist am 24. Februar 1933. Abgedruckt im täglich erscheinenden NS-Blatt "Osnabrücker Zeitung"
Schlikkers Selbstbekenntnis als Nationalsozialist am 24. Februar 1933. Abgedruckt im täglich erscheinenden NS-Blatt „Osnabrücker Zeitung“


Nazi Schlikker 1933: Ein Zeitungsfund gibt Auskunft

Wie dachte also Schlikker anno 1933? Seine Haltung von 1933 spiegelt ein ganz offizielles Zeitdokument wider: Am 24. Februar 1933 veröffentlichte „D. Schlikker“ (das „D“ dürfte sich mit hoher Sicherheit auf „Doktor“ beziehen) im täglich erscheinenden NS-Kampfblatt „Osnabrücker Zeitung“ einen ganzseitigen Aufsatz mit dem eindeutigen Titel „Warum ich Nationalsozialist wurde“.

Zu jenem Zeitpunkt zeichnet sich bereits konkret ab, welche Ziele die am 30. Januar 1933 von Reichspräsident Hindenburg eingesetzte Reichsregierung unter Kanzler Adolf Hitler verfolgt – und was NS-Gegner fortan von ihr zu befürchten haben. Ein Beispiel verdeutlicht alles. Exakt einen Tag vor Schlikkers NS-Bekenntnis, am 23. Februar, war in Osnabrück (wie auch andernorts) eine SPD-Tageszeitung, hier die „Freie Presse“, verboten worden. Seit dem 4. Februar hätte Schlikker die Verordnung des Hitler-Kabinetts „Zum Schutze des deutschen Volkes“ kennen können, in deren Folge etliche demokratische Aktivitäten schrittweise kriminalisiert wurden.

Speziell kommunistische wie sozialdemokratische Formen öffentlicher Auftritte, dies muss auch Schlikker mit offeen Augen gesehen haben, werden zunehmend unmöglich. Spätestens nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar werden kommunistische Aktivitäten vollends, sozialdemokratische schrittweise kriminalisiert und Parteiverbote wie Verhaftungen von Parteiaktiven zur Regel. Der Wahlkampf zur Reichstagswahl am 5. März wird, öffentlich in jeder Ecke des Reiches sichtbar, zur reinen Terrorveranstaltung werden. Linksparteien sind in den letzten Wochen alle öffentlichen Auftritte bei Strafe verboten. Die Republik ist tot, obwohl offiziell noch Wahlen stattfinden.

Ein bekennender Nationalsozialist wie Schlikker muss also eindeutig gewusst haben, für wen er in jener Zeit öffentlich Partei nimmt. Und sein bereits 1932 vollzogener Schritt, die eigene, pompös anmutende Villa der Osnabrücker NSDAP kostenlos und unter Inkaufnahme hoher Mietverluste zur Verfügung zu stellen, bleibt schließlich ein unzweideutiger Beweis, wie sehr Gerhard Schlikker die Todfeinde der Republik hofiert und ihnen, speziell in Osnabrück, den Weg bereitet.


Was Schlikker verlautbarte

In seinem erwähnten Bekennerartikel vom 24. Februar legt Schlikker den Schwerpunkt auf „Die nationalsozialistische Wirtschaftsauffassung – klare Fronten, ganze Entscheidungen“, wie es im Untertitel formuliert ist.

Der Verfasser prügelt zunächst, voll im Duktus der Nationalsozialisten, mit harschen Worten auf Deutschlands politische Linke ein. Zunächst beklagt er „das Aufkommen und ständige Anwachsen der marxistischen Bewegung, die (…) das Privateigentum glatt verneint.“ Für Deutschland stellt Schlikker fest, dass „die Linke seit dem Zusammenbruch einen vielfach ausschlaggebenden Einfluss auf die Führung der Staatsgeschäfte ausübte, zunehmender Wirtschaftsverfall und bedenklich um sich greifende Korruption“ sei die Folge.

Weiter heißt es: „Und all dem gegenüber sitzt der ‚liberale Mensch‘ wie gebannt, rat- und tatlos auf die rote Flut starrend, wie sie höher schwillt und an den Grundsätzen des Bestehenden nagt.“ Schlikker wäre kein  bekennender Nationalsozialist, wenn er nicht als Konsequenz seine eigene Partei als Retter vor der politischen Linken sähe. Originalton, im Originalartikel besonders hervorgehoben:

Da stemmt sich – in zwölfter Stunde – der Nationalsozialismus als Hüter und Retter der abendländischen Kultur gegen den drohenden Umsturz. Er verkündet für die Wirtschaft: keine öde Gleichmacherei und Beseitigung der naturbedingten Ungleichheit der Menschen, aber Milderung dieser Unterschiede, wo sie ein zu schroffes Maß angenommen haben; keine Abschaffung des Privateigentums, dessen Idee zutiefst in der menschlichen Natur ist, (…).


Jubelarie auf das faschistische Italien

Es folgt eine Jubelarie über Italiens brutalen Diktator Benito Mussolini. Jenem wiederum war in Italien bereits im Oktober 1922 durch König Viktor Emanuel III. – nach dem „Marsch auf Rom“ – die Macht übertragen worden. Spätestens seit 1924 besaß der Faschist die Mehrheit der Parlamentssitze. Und dann? In Deutschlands noch demokratischen Medien war es deutlich zu vernehmen: In Italien erfolgte das Verbot aller Parteien und Gewerkschaften. Unzählige politischer Gegner – darunter der populäre sozialistische Abgeordnete und Antifaschist Giacomo Matteotti – sind ermordet, gefoltert oder inhaftiert worden. Schlikker rührt dies alles offenkundig nicht. Er textet:

In der Gegenwart bildet bei der großen inneren Verwandtschaft der NSDAP mit dem italienischen Faschismus das Italien Mussolinis, wie es unter seiner starken Hand aufgeblüht ist und der Weltwirtschaftskrise gegenüber eine bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit zeigt, eine Erscheinung, die auch den fanatischen Gegner der NSDAP zur inneren Einkehr veranlassen sollte.

Schlikkers Schlussfolgerung: „Dem Bürger bleibt nur die bange Wahl zwischen Kollektivismus auf der einen und Nationalsozialismus auf der anderen Seite. Sie sollte nicht schwerfallen.“ Angetan ist der Unternehmer offenkundig vom Auftreten der NSDAP. Das Maßgebende von deren Bewertung sei „die gesamte geistige Haltung der Partei.“ Er schreibt:

Dass aber diese, vergleicht man sie mit ihren Mitbewerbern, um die Seele der Deutschen, in ihrer Opferwilligkeit, ihrem Enthusiasmus, ihrer Einigkeit und in der Reinheit ihres Wollens sich nur günstig abhebt, wird kein unbefangener Beurteiler in Abrede stellen können.

Nicht „in Abrede stellen“? Ist Schlikker mit geschlossenen Augen durch Berlin, Osnabrück und durch die Grafschaft gegangen? Kannte Schlikker etwa nicht die SA- und SS-Schläger, die Deutschlands Straßen, Plätze und Versammlungsorte bereits seit Jahren terrorisierten? Zumindest theoretisch hätte der begeisterte Nationalsozialist bereits am 19. November 1932 in der sozialdemokratischen Osnabrücker Tageszeitung „Freie Presse“ eine ganzseitige Erinnerungstafel mit der Überschrift „Gedenke der Toten!“ zur Kenntnis nehmen können. Diese Anzeige wurde reichsweit auch in anderen Städten veröffentlicht. Aufgelistet sind dort namentlich allein 166 (!) sozialdemokratische Mordopfer der Nationalsozialisten. Unterzeile der Überschrift: „Politischer Mord ist die Waffe der Faschisten. Das Blut erschlagener Proletarier färbt ihren Weg.“

Nachträglich erstellte Collage. An einer Mauer prangt eine ganzseitige Zusammenstellung der Freien Presse über NS-Opfer aus SPD-Reihen: Schon lange vor der Machtübergabe wusste jedermann, der es wissen wollte, was die Nazis mit ihren Gegnern machen wollten. Collage: Heiko Schulze
Nachträglich erstellte Collage. An einer Mauer prangt eine ganzseitige Zusammenstellung der Freien Presse über NS-Opfer aus SPD-Reihen: Schon lange vor der Machtübergabe wusste jedermann, der es wissen wollte, was die Nazis mit ihren Gegnern machen wollten. Collage: Heiko Schulze

Auch mit der im Februar 1933 deutlich sterbenden Republik rechnet Schlikker rückblickend ab:

Es stände anders und besser um unser armes Vaterland, wenn nicht jahrein-jahraus nach dem Kriege bewusster roter Internationalismus, verbunden mit nationaler Lauheit und pazifistischen Utopistereien weiter bürgerlicher Kreise, dem deutschen Volk seinen inner- und außerpolitischen Stempel aufgedrückt hätten. In der Hitlerbewegung erlebt das deutsche Volk seine nationale Widergeburt. Schon dieser Umstand allein reiht sie den Großtaten deutscher Geschichte würdig an.

Bemerkenswert ist auch Schlikkers Sichtweise auf die Novemberrevolution von 1918/1919, wo es angeblich die ultrarechten Freikorps waren, die Deutschland und seine damalige Regierung „vor dem Spartakismus gerettet“ hätten. Er schreibt: „Die Rettung kam von rechts, von Freiwilligenformationen, die sich aus Elementen zusammensetzten, die heute fast restlos der NSDAP angehören.“

Im letzten Punkt hat Schlikker durchaus recht: Die Brigade Erhard, die bereits 1920 durch den Kapp-Putsch eine rechtsextreme Regierung errichten wollten, pinselte sich bereits vor ihrem Putsch Hakenkreuze auf die Helme. Das Freikorps Lichtschlag – genannt „Totschlag“ – des Osnabrücker Hauptmanns Otto Hasenclever dürfte in der Caprivikaserne ähnlich gedacht haben.  Und das Freikorps Epp, das in München nach der gescheiterten Räterepublik blutige, für jeden sichtbare Mordexzesse unter Arbeitern vollzogen hatte, agierte in der Tat als Keimzelle der späteren NSDAP.

Kurzum: Dr. Gerhard Schlikker wusste im Februar 1933 als denkender Mensch sehr wohl, wem er freudig seine Villa zu Nutzung übergab. Und er wusste exakt, wen er mit seinem Bekenntnisartikel in der Osnabrücker Zeitung unterstütze: Es waren eigene Parteigänger, die das Morden bereits freudig gewohnt waren. Es waren politische Freunde, welche aktiv die Republik bekämpften und mit Italiens Faschisten eine allseits bekannte Blaupause für die eigene Machtübernahme besaßen.

Dass Thorsten Heese in seinem Aufsatz durchweg glaubwürdige Zeugenaussagen präsentiert, die den Eindruck vermitteln, Schlikker sei später von NS-Positionen abgerückt, ist glaubhaft, legitim und zählt zur sauberen Reflektion eines Historikers.

Trotzdem bleibt Dr. Gerhard Schlikker jemand, der offen zu den Wegbereitern des Faschismus zählt – wie auch zu den Profiteuren, denn Gewerkschafter und Betriebsräte, mit denen er in seinem eigenen Unternehmen Tarife oder Arbeitsbedingungen aushandeln musste, gab es schließlich nicht mehr. Vor 1933 war dies ein Sehnsuchtswunsch etlicher, NS-zugewandter Unternehmer.

Kurzum: Einen antifaschistischen Erinnerungsort wie die Villa im Museumsquartier nur deshalb mit dem Namen Schlikker zu schmücken, weil Gerhard Schlikkers kapitalkräftiger Vater, immerhin allein reich geworden durch die Ausbeutung seiner Arbeiter, die Villa einst im Museumsquartier errichten ließ, wäre mindestens ebenso zweifelhaft wie eine Benennung nach dem „ambivalenten“ Hans Calmeyer.

„Villa im Museumsquartier“ wäre, schlicht ausgesprochen und rundheraus ohne „Unterstrich“, die völlig ausreichende Bezeichnung eines Lernorts für Erinnerungskultur und Zeitgeschichte, der Demokratie und Antifaschismus verpflichtet ist.

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