Freitag, 17. Mai 2024

„Wir werden immer mehr!“

Mutmachende Resonanz bei der Osnabrücker Mai-Demo

„Wir werden immer mehr!“ Diesen spontanen Kommentar formulierte Osnabrücks DGB-Sekretär Olaf Cramm, nachdem die gestrige Mai-Demo eindrucksvoll angewachsen war. Hatten Ordnungskräfte zu Beginn des Umzuges noch 550 Teilnehmende geschätzt, wurden am Ende stolze 1.200 gezählt. Eine Ermutigung in schwierigen Zeiten: Solidarität besitzt auch in der Friedensstadt eine gute Basis.

Traditioneller Auftakt war kurz nach 10:00 Uhr eine Kundgebung mit Redebeiträgen. Bewährter Treffpunkt war wieder der Kollegienwall, unweit des Standorts des ehemaligen, 1933 von Nazi-Horden gestürmten Gewerkschaftshauses.

Mahntafel am Standort des Gewerkschaftshauses bis 1933. Foto: OR
Mahntafel am Standort des Gewerkschaftshauses bis 1933. Foto: OR

DGB-Sekretär Olaf Cramm erinnerte an die lange traditionsreiche Geschichte des internationalen Tages der Arbeit. Auch die OR hatte jene Historie vor dem 1. Mai wiederholt in Erinnerung gebracht. https://os-rundschau.de/rundschau-magazin/heiko-schulze/heraus-zum-1-mai-er-ist-kein-feiertag-wie-jeder-andere/

Einmal mehr verwies Cramm auf die Geschehnisse von 1933, die auch in Osnabrück zur kompletten Zerschlagung der Arbeiterbewegung geführt haben. Fünf Stolpersteine für ermordete Gewerkschafter und ein Kranz unter der Erinnerungstafel des heutigen Gebäudes sollen nachhaltig daran erinnern, dass, so Cramm, „sich so etwas niemals wiederholen darf.“


„Mehr Lohn, Freizeit, Sicherheit!“

Hauptrednerin Marion Hackenthal, Bezirksleiterin der Gewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie (BCE) aus Ibbenbüren, fand die richtigen Worte, um alle auf das diesjährige Mai-Motto der DGB-Gewerkschaften einzustimmen.

„Mehr Lohn, Freizeit, Sicherheit“, so Hackenthal, „drücken exakt aus, was den Kolleginnen und Kollegen aktuell am meisten auf den Nägeln brennt.“ Immer mehr Arbeitsverträge fielen aus der Tarifbindung. Inflation, überhöhte Mieten und Reallohnverluste aus der Vergangenheit führten zu erheblichen Problemen in Arbeitnehmerhaushalten. Unbedingt müsse ein Zeichen für eine Tarifwende gesetzt werden. In allen gewerkschaftlichen Handlungsbereichen müssten lange Jahre bescheidener Tarifentwicklungen in eine positive Richtung umgekehrt werden. Starke Gewerkschaften seien die einzige Chance, dass Beschäftigungsverhältnisse ohne Tarifbindung offensiv angegangen werden.

Marion Hackenthal, Bezirksleiterin der Gewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie (BCE) aus Ibbenbüren. Foto: OR
Hauptrednerin: Marion Hackenthal, Bezirksleiterin der Gewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie (BCE) aus Ibbenbüren. Foto: OR

Wörtlich sagte sie: „Schluss muss damit sein, dass Arbeitgeber Tarife boykottieren und die Wahl von Betriebsräten verhindern. Zugleich fahren viele Konzerne weiterhin Milliardengewinne ein. Wir lassen niemanden ins Bergfreie fallen“, zitierte sie ein Traditionsmotto aus der Bergarbeiterbewegung. Die Bundesregierung sei gut beraten, auf jene gewaltigen Investitionen zu schauen, mit denen aktuell in den USA – mit immensen Kreditaufnahmen – erfolgreich für einen ökologischen Strukturwandel gesorgt werde. Zugleich müssten vor allem in Deutschland Arbeitsplätze in enegieintensiven Betrieben gesichert werden. „Wir brauchen dringend eine Reform des Energiemarktes!“, forderte die Rednerin eine Entlastung energieintensiver Betriebe.

Hackenthal betonte ausdrücklich, dass die Schuldenbremse defacto eine Investitionsbremse sei, die das Land lähme und grundlegende Verbesserungen verhindere. Jenseits solcher selbst auferlegter Grenzen sei in Deutschland ein anderes Ziel an der Tagesordnung: „Wir brauchen einen massiven Ausbau regenerativer Energien und einer nachhaltigen öffentlichen Infrastruktur. Wir brauchen eine staatliche Investitionspolitik und grüne Wachstumsstrategie!“ Kein öffentliches Geld dürfe andererseits in solche Wirtschaftsbereiche fließen, die eine Standortabsicherung ebenso verweigern wie tarifgebundene Arbeitsplätze.

Klare Worte fand die Gewerkschafterin gegen aktuelle Debatten aus Union und FDP, um Renten und Bürgergeld zu senken: „Wir müssen endlich damit aufhören, Menschen mit Bürgergeldbezug gegen solche auszuspielen, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Die Profiteure des Sozialabbaus sind völlig andere.“ Eine „Kampfansage an den sozialen Frieden“ sei es, wenn vor allem aus Unionsparteien und FDP wiederholt das Streikrecht eingeschränkt werden soll. Angesichts der für den 9. Juni angesetzten Wahlen zum Europaparlament forderte Hackenthal ein klares Signal gegen Rechts und für ein demokratisches Europa. Die Gewerkschaftslinie sei hier klar: „Wir waren und sind ein Bollwerk gegen rechte Ideologie, Rassismus  und Hetze.“

Stimmungsvolle Demo

Im losziehenden Demonstrationszug gab es einen, den diese Bemerkungen besonders gefreut haben dürften: Tiemo Wölken, SPD-Abgeordneter im Europaparlament und Stammgast bei derartigen gewerkschaftlichen Zusammenkünften, gab am Rande der Demonstration gern und vielfach Auskunft darüber, wie sich die Rechtswende bereits jetzt im aktuellen Europaparlament zeigt. Wölken auf Anfrage zur OR: „Wir müssen alles tun, dass sich anbahnende Kooperationen zwischen Konservativen und Rechtsextremisten nicht noch weiter fortsetzen.“

Rot, bunt – und völlig ohne Nationalfahnen

Der Demonstrationszug war vielfältig und bunt wie in den vergangenen Jahren. Aus den Parteien waren zahlreiche Mitglieder von SPD, Linkspartei und Grünen vernehmlich erkennbar. Nationalflaggen waren auf verständlichen Wunsch der Veranstalter natürlich nicht unter gezeigten Fahnen- welch Wunder an einem international gefeierten Tag der Arbeit! Auffallend viele junge Teilnehmende sorgten für fantasievolle Transparente, Schilder und Parolen. Nicht zu kurz kam, gerade bei ihnen, eine grundlegende Kapitalismus-Kritik. Vielen, die darüber nachdachten, wurde schnell klar, dass auch dieses Grundproblem für die Zukunft verstärkt in den Blick genommen und klar benannt werden muss. Prägend waren andererseits, wie könnte es anders sein, Losungen gegen Rechts. Schon im Osnabrücker DGB-Text hatte es wörtlich geheißen:

„Gemeinsam positionieren gegen Krieg und Faschismus, Hass und Hetze! Von ganz Rechts wird die Menschenwürde verunglimpft. Dagegen begehren wir auf. Wir wollen Ausgrenzung, Armut und jeden Rassismus benennen und bekämpfen. Das demonstrieren wir. Wir wollen Meinungsvielfalt. Das ist unsere Freiheit, die mit Respekt voreinander gezeigt wird. Wir definieren diese Freiheit – nicht Populisten! Auch deswegen sind Nationalfahnen (nationalstaatliche Symbole) oder entsprechend nationalistisch orientierte Aussagen auf der Demo nicht erwünscht!“

Passend zum 75. Jahrestages des Grundgesetzes. Grundrechtspyramide - aufgebaut von den OMAS GEGEN RECHTS. Foto: OR
Passend zum 75. Jahrestages des Grundgesetzes. Grundrechtspyramide – aufgebaut von den OMAS GEGEN RECHTS. Foto: OR

Come-together zum Finale

Ab 11:00 Uhr fand das traditionelle Familienfest am Gewerkschaftshaus statt. Köstlichkeiten zum Essen, Trinken, Hören und Sehen verschönerten das Wiedersehen. Infostände von Einzelgewerkschaften, Bündnissen, Kultur- und Jugendorganisationen rundeten das Informationsangebot ebenso ab wie Büchertische und das legendäre „Druck-Fahrrad“ des Künstlers Manfred Blieffert. Seine Plakatkreation mit dem Slogan „Unter der Haut sind wir alle gleich. Herz statt Hetzte“ traf die Empfindungen der allermeisten auf den Punkt. Auch eine Hüpfburg für die Kleinsten, die hoch hinaus wollten, fand ebenso regen Zuspruch wie Flächen zum Bauklotzbau. Gewerkschaftliche Solidarität kann zusammenschweißen. Dies bleibt angesichts nicht leichter Zeitumstände eine gute Botschaft.

spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
Follow by Email
Facebook
Youtube
Youtube
Instagram
Spotify