Donnerstag, 2. Mai 2024

Charles M Graham aus New York wurde vor 202 Jahren das erste Patent für Zahnersatz erteilt

Falsche Zähne aus Holz oder Knochen gab’s schon bei den Phöniziern. die hatten allerdings nur ästhetische Funktion, weil sie einfach mit Golddraht an die anderen gesunden Zähne angebunden wurden. Auch der Talmud kennt schon Zahnersatz, der שן תותבת schen totevet („herausnehmbarer Zahn“) war aus Gold oder Silber und bei einfachen Leuten aus Holz. Die Römer benutzten dann Elfenbein oder Menschen- und Kalbszähne, die genauso mit Golddraht an den Nachbarzähnen befestigt wurden.

Auch „Zahnbürsten“ kannte man schon sehr früh (in manchen Gegenden kaute man bestimmte Holzarten, in China wurden Schweinsborsten zum Putzen verwendet und schon um 500 v. u. Z. eine Art Zahnpasta).

Als Ursache für Zahnschmerzen und Zahnausfall galten in allen Kulturen Zahndämonen, Zahnwürmer oder „Humor“ (unausgeglichene Körperflüssigkeiten), nachzulesen u. a. auf einer Schrifttafel im alten Ninive und in chinesischen Aufzeichnungen. Daher waren die Zahnbehandler auch Priester, die dafür entsprechende Gebete hatten.

Der erste namentlich erwähnte Zahnarzt war ein Ägypter namens Hesi-Re; die Inschrift in seiner Grabkammer besagt, er sei „der größte von denen, die sich mit Zähnen befassen und von den Ärzten“ gewesen. Ein anderer Fund, der Papyrus Ebers, beschreibt das zahnmedizinische Wissen um 2000 v. u. Z. – erwähnt sind u. a. von Priestern gebraute Mittel aus Weihrauch und Myrrhe gegen Zahnschmerzen.

Auch im Code Hamurabi um 1900 v. u. Z. kommen Zahnärzte vor. In der Zeit wurde die Ärzteschaft einschließlich der Zahnklempner von einer Zentralregierung reguliert, ebenso ihre Preise, die nach dem Rang und der Position des Patienten ermittelt wurden. Ebenso waren hier Strafen für Fehlverhalten oder erfolglose Behandlung festgelegt. Die Höchststrafe für einen Pfuscher war die Amputation seiner Hand.

Aus dem alten Rom (30 v. u. Z.) ist ein Bericht von einem Arzt namens Celsus überliefert, der als erster eine Füllung (aus Blei) anbrachte – allerdings nicht, um Zähne zu retten, sondern um zu verhindern, dass sie brechen, wenn er sie zog. Und weil sich im Jahr 249 u. Z. die heilige Apollonia in Alexandria alle Zähne ziehen ließ, galt sie von da an als Schutzpatronin der Zahnmedizin …

Einer der frühesten Funde in Mitteleuropa stammt aus einer slawischen Siedlung bei Demmin aus dem 12. Jh. hier waren es erst Mönche, später Barbiere und Friseure (nachdem die Kurie Mönchen verboten hatte, Operationen und zahn Extraktionen durchzuführen), die chirurgische Eingriffe übernahmen.

Dass es Würmer sind, die Karies und Zahnausfall verursachen, wurde in der westlichen Zivilisation über viele Jahrhunderte fraglos hingenommen. Erst der französische Arzt Pierre Fauchend, er gilt als Vater der modernen Zahnmedizin, räumte 1728 in seinem Werk „le chirurgien dentiste“ erfolgreich mit den Märchen auf (sein einziger Rückfall ins Mittelalter betraf sein Rezept zur Antisepsis: nach dem sollte man sich den Mund morgens und abends mit ein paar Löffeln seines eigenen frischen Urins ausspülen). Der Engländer Hunter glaubte zu dieser Zeit noch, dass ein frisch gezogener Zahn nur genügend schnell bei einem anderen Patienten eingesetzt werden müsse, um erfolgreich anzuwachsen. Er ließ Anzeigen drucken, auf denen er um arme Leute warb, die sich für ein paar Pence ihre gesunden Zähne ziehen ließen, die er dann sofort betuchten Leuten wieder einsetzte. Es war auch üblich, Zähne aus Leichenschauhäusern oder von Schlachtfeldern mitgehen zu lassen und sie den Barbieren zu verkaufen. In der Schlacht bei Waterloo z. B. fielen zig Tausende junge Männer; das Ausmaß des Handels mit ihren Zähnen spiegelt sich im englischen Begriff „Waterloo teeth“ und in Victor Hugos „les misérables“ wider, wo die arbeitslose Fantine ihre Schneidezähne verkauft, um an ein bisschen Geld zu kommen.

1775 kamen in Frankreich aber auch schon die ersten Porzellangebisse auf. Die Franzosen waren auch die ersten, die Zahnbürsten propagierten. Zehn Jahre später stellte John Greenwood die ersten Porzellangebisse in den USA her. Er war der Zahnarzt von George Washington und hat ihm eine berühmt gewordene Prothese gebaut, die aber nicht aus Porzellan, sondern aus nilpferdstoßzahn geschnitzt war. Greenwood erfand 1790 auch den ersten bekannten zahnärztlichen Fußmotor, indem er das Fußpedal vom Spinnrad seiner Mutter umbaute, um seinen Bohrer in Bewegung zu setzen. Der Italiener Giuseppangelo Fonzi wiederum wurde 1815 berühmt, weil es ihm gelungen war, Porzellanzähne mittels Metallstiften fest mit einer Prothesenbasis zu verbinden.

Tatsächlich gut funktionierenden Zahnersatz ermöglichte aber erst im 19. Jahrhundert der neue Rohstoff Kautschuk, bevor dann Kunststoffe und Keramik zum Einsatz kamen …

 

Judith Kessler
Judith Kessler
Judith Kessler ist Sozialwissenschaftlerin, Redakteurin und Autorin mit den Schwerpunkten jüdische Migration, Gegenwartskultur und Biografieforschung.
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