Donnerstag, 2. Mai 2024

Józef Janek Szlajfsztajn (später Josef Schleifstein) feiert heute in New York seinen 83. Geburtstag

Er war vier, als die Amerikaner ihn aus Buchenwald befreiten – und hat heute Geburtstag

Józef Janek Szlajfsztajn, 1941 in Sandomierz im Südosten von Polen geboren, war von seinen Eltern Izrael und Ester versteckt worden, während sie selbst nach der Auflösung des Ghettos von Sandomierz in verschiedenen Fabriken Zwangsarbeit leisten mussten. als die HASAG-Munitionsfabrik in Tschenstochau im Januar 1945 nach Deutschland verlegt wurde, deportierte man die drei – Ester nach Bergen-Belsen, Izrael und Józef nach Buchenwald. bei der Ankunft und anschließenden „Selektion“ gelang es Izrael, seinen kleinen Sohn in dem Sack mit seinen Arbeitswerkzeugen und Kleidungsstücken zu verstecken und an den Wachen vorbei unbemerkt ins Lager zu schmuggeln.

Hier versteckte ihn sein Vater mit Hilfe zweier deutscher Antifaschisten weiter, aber schließlich wurde Józek doch entdeckt. die SS-Wachen fanden den dreijährigen „putzig“, nannten ihn „Jupp“ und machten ihn zu ihrem „Maskottchen“. sie ließen ihm eine kleine KZ-Uniform nähen und ihn bei Morgenappellen die Wachen grüßen und Bericht erstatten: „Alle Häftlinge vollzählig angetreten!“ Bei offiziellen Inspektionen musste er aus dem Blickfeld verschwinden, wurde ansonsten aber in Ruhe gelassen, wohl auch, weil die Wachmannschaften auf die Handwerkskunst seines Vaters angewiesen waren. der war Sattler und reparierte ihre Sättel und Geschirre.

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am 12. april 1945 befreite die us-army unter george patton das lager buchenwald. sie fanden noch etwa 21.000 gefangene vor, darunter fast eintausend minderjährige, die meisten aber deutlich älter als józek. die amerikaner schickten die beiden szlajfsztajns zur medizinischen behandlung in die schweiz, doch sie kehrten nach einigen monaten zurück nach deutschland, um józeks mutter zu suchen. sie fanden sie schließlich im lager dachau wieder, das nun „displaced persons“ beherbergte.

1948 wanderte die familie in die usa aus. zuvor, 1947, hatte izrael szlajfsztajn in dachau noch im buchenwald-prozess vor einem us-militärtribunal ausgesagt und hier hatte das jewish joint distribution committee auch die aussagen zu den obigen ereignissen protokolliert – wie izrael seinen sohn ins lager geschmuggelt und versteckt und wie der kleine sich gefreut hatte, dass er sich nun nicht mehr verbergen musste und es jetzt viel mehr zu essen gab und vor allem, dass die amerikanischen soldaten ihn auf ihren panzern und jeeps mitfahren ließen. der junge selbst konnte sich später nur vage an die details aus aus dem lager erinnern, aber daran, dass man ihn in dachau in seiner lageruniform für fotos posieren ließ, dass er das nicht wollte und geweint hat.

józef szlajfsztajn (nun joseph schleifstein), der bis heute in new york lebt, und bis zur rente bei einer telefongesellschaft beschäftigt war, hat zwei kinder, denen er nie von seiner vergangenheit erzählt hat. bis 1999, bis roberto benignis tragikkomödie „la vita è bella“ in die amerikanischen kinos kam, einem archivar die ähnlichkeit der geschichte mit den joint-dokumenten von 1947 auffiel, schleifstein ausfindig gemacht wurde und sich den film angesehen hat. auch ihm fielen die parallelen sofort auf, nur sagte er in einem interview: „aber das war eine komödie und was passiert ist, war definitiv keine“. er halte es noch immer nicht im dunklen aus, habe noch immer alpträume und todesängste, aber sich mit der vergangenheit ausgesöhnt.

es ist nicht sicher, ob józef szlajfsztajn tatsächlich die inspiration für den jungen in „das leben ist schön“ war, wie vielerorts zu lesen ist, auch wenn es nicht viele solcher geschichten gibt (eine kennen wir von jurek becker und eine aus bruno apitz‘ „nackt unter wölfen“ über stefan jerzy zweig, der ebenfalls als vierjähriger in buchenwald befreit wurde). 98 prozent aller kinder wurden unmittelbar nach der ankunft in den lagern ermordet und die meisten der wenigen überlebenden hat man erst nach dem erscheinen des films „aufgespürt“ oder sie haben sich erst da zu wort gemeldet. es ist anzunehmen, dass benigni und seine berater aus allen möglichen erlebnisberichten geschöpft haben, wie denen der geschwister anna und tatiana bucci, die als vier- bzw. sechsjährige aus auschwitz befreit wurden, denen von benignis eigenem vater, und in puncto schwarzen humor aus denen des überlebenden rubino romeo salmoni. und vielleicht war auch ein wenig józef szlajfsztain dabei. masl tow, józek, bis 120!

Judith Kessler
Judith Kessler
Judith Kessler ist Sozialwissenschaftlerin, Redakteurin und Autorin mit den Schwerpunkten jüdische Migration, Gegenwartskultur und Biografieforschung.
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