Judith Kessler: Am 14. Dezember 1962 gründet die DDR ihre Handelsorganisation „Intershop GmbH“

Betrat man als Ossi einen „Intershop“, der gern in einer Baracke untergebracht und von außen meist verschämt schmuck- und schaufensterlos war, öffneten sich einem die Tore zum Paradies …

… die Regale vollgestopft mit bunten Waren, die der Grau und Mangel gewöhnte DDR-Bürger nur aus der Werbung oder aus Westpaketen kannte; und all die Herrlichkeit umwabert von einem einzigartigen Gerüche-Mix. Die Faszination ist heute, wo jeder „ALDI“ ein größeres Sortiment als damals der „Intershop“ hat, kaum noch nachvollziehbar. Es war wohl das Unerreichbare oder Seltene, der Genuss eines echten zuckervollen Bounty-Schokoriegels, der Duft, der aus den Persilkartons stieg und sich mit dem von „After Eight“, Blasenkaugummis, Jacobs-Kaffee und Lego-Plastikteilen im Regal daneben mischte, die grellfarbigen Verpackungen (wer bitte hat nicht die leergetrunkenen „Bols blau“-Flaschen aufgehoben und die Schachteln der Matchbox-Autos!), die Casio-Uhr mit Digitalanzeige, die geile Polaroid-Sofortbildkamera, die man nur vom Hörensagen kannte, der schicke Kassettenrecorder, mit dem man „Lord Knut“ hätte aufnehmen können, die echte „Levis“, mit der man der absolute King in der Klasse (voller Jumo-Jeans-Träger) gewesen wäre – all das, was im Osten nicht zu bekommen war oder nur zu minderer Qualität, Dinge, deren Preise, anders als der krumme DDR-EVP á la 27,35 Mark, allesamt auf „99“ endeten – 599 oder 89,99 D-Mark; ulkig fand man das, aber kaufen konnte man eh meist nur die Kinkerlitzchen zu 1,99 …

Für viele DDR-Bürger war der „Intershop“ ein Sehnsuchtsort, für den Staat war er der Devisenbringer schlechthin, denn bezahlt werden durfte hier nur mit freikonvertierbaren Währungen und anfangs nur von Westbesuchern oder Durchreisenden aus dem „kapitalistischen Ausland“, die in den 365 Tage im Jahr geöffneten „Intershops“ an Flughäfen, Bahnhöfen und Transitstrecken gern zugriffen und preiswerter als zu Hause zollfrei Schnaps oder Zigaretten bunkerten. Nachdem die DDR das Verbot für ihre Bürger aufgehoben hatte, Valuta zu besitzen, durften auch sie ab 1974 im „Intershop“ einkaufen und Vater Staat ihre Devisen überlassen (am Ende gab es 470 Intershops in bald jeder Klitsche der DDR und die hatte allein seit 1971 über 14 Milliarden D-Mark damit verdient, deutlich mehr als durch Westkredite und Häftlingsfreikäufe).

Für Durchschnittsbürger*innen waren die Intershop-Preise allerdings exorbitant. Wer keine West-Oma hatte, die ihm ab und zu einen Schein zusteckte, war gezwungen, sich das Westgeld auf dem Schwarzmarkt einzutauschen, zu einem Kurs, der sich zwischen 1:5 und 1:10 bewegte, in der Provinz teilweise auch weit darüber hinaus. 1979 führt Schalck-Golodkowskis „Forum HG“ dann noch die Forumschecks ein, um schneller an die gehorteten Devisen der DDR-Bürger zu kommen; die mussten ihre D-Mark oder Dollars nun in dieses „Monopoly-Geld“ umtauschen, um weiter im „Intershop“ einkaufen zu dürfen.

Von denen, die nicht an Westgeld herankamen, aber gut bei Kasse waren, holte sich der sozialistische Staat die Kohle über die „Exquisit“- und „Delikat“-Läden, die ein ähnliches Sortiment wie die Intershops hatten, deren überteuerte Bückware aber mit DDR-Mark bezahlt werden konnte. Für Menschen mit spendabler West-Verwandtschaft gab es schließlich noch die „Genex“-Geschenkdienst GmbH. Die Ideologiereiter wussten genau, woran es in ihrem Land mangelte und was das Bürgerherz begehrte und so bildete das Genex-Angebot das Zweiklassensystem und die Geldmacherei des „besseren deutschen Staates“ besonders augenscheinlich ab. Im Genex-Katalog, aus dem Tante Frieda in Osnabrück ihrem Neffen Franz in Karl-Marx-Stadt gegen Valuta beglücken lassen konnte, stammten fast alle Artikel aus DDR-Produktion, waren dort aber nicht oder nur nach ewiger Wartezeit zu bekommen: Autos, Motorräder, Zement, Fliesen, Möbel, Computer, Luftgewehre, Swimmingpools oder Fertighäuser (das billigste für 96.000 D-Mark). weniger hochpreisig und dinglich, aber genauso rar und begehrt waren andere Genex-Angebote, die man den Ostverwandten spendieren konnte, so den Fahrschulkurs oder die „Festival-Flugreise“ zu den Leningrader „weißen Nächten“. „Money-Fest“ vs „Manifest“.

Dass so etwas nicht überall gut ankam, zeigt exemplarisch für die Stimmung im „Vitamin D“-losen Teil der Bevölkerung der Brief einer Coswigerin an den Genossen Honecker von 1988:

„Die DDR ist ein sozialistischer Staat, in dem die Privilegien bestimmter Menschen abgeschafft sein sollten. Desto mehr bin ich empört über die Intershops in diesem Land. Wie kann man in der DDR sogenannte Forumschecks erhalten oder sonstige Zahlungsmittel für Intershops, durch gute Arbeit im Betrieb oder durch andere gute Leistungen? Leider habe ich noch nichts davon gehört. Bleibt es nur den Bürgern vorbehalten, dort einzukaufen (Waren, die es teilweise in HO- oder Konsum-Verkaufsstellen nicht gibt), die Geldgeber im kapitalistischen Ausland haben? Was soll man den Kindern erklären, die gern Matchbox-Autos oder ähnliches haben möchten, ihre Eltern ihnen es aber in Ermangelung des entsprechenden Geldes nicht kaufen können? Sie werden es nicht verstehen, dass es andere besitzen und sie nicht, ich kann es auch nicht verstehen. Diese Intershops bleiben also Leuten vorbehalten, die Devisen geschenkt bekommen. Das ist doch wohl eine sehr ungerechte Sache in einem sozialistischen Staat. Man kann noch so ein guter Arbeiter oder DDR-Bürger sein, aber ohne Westbeziehung wird man sich diese Sachen nicht kaufen können. Ist das nicht ein arger Widerspruch in dieser sozialistischen Gesellschaft? Selbst wenn solche Verkaufsstellen dem Staat Devisen bringen, ist so eine Ungerechtigkeit nicht einzusehen!“

 

Judith Kessler
Judith Kessler
Judith Kessler ist Sozialwissenschaftlerin, Redakteurin und Autorin mit den Schwerpunkten jüdische Migration, Gegenwartskultur und Biografieforschung.
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