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Judith Kessler erinnert an Coco Chanel, die heute vor 141 Jahren geboren wurde …

Vom „kleinen Schwarzen“ zur „kleinen Braunen“?

#coco chanel (*19.8.1883) war zweifellos die innovativste und einflussreichste modeschöpferin des 20. jahrhunderts. ob die erfinderin des „kleinen schwarzen“ auch eine „kleine braune“ war, wie „der spiegel“ einst in eine frage verpackt titelte, wage ich nicht zu beurteilen. dazu ist über ihre politischen motive zu wenig bekannt. dass coco chanel sich unverhohlen den nazis anbiederte, ihnen etliche liebesdienste erwies und mit ihrer hilfe versuchte, ihre schäfchen ins trockene zu bringen, ist ind­es gewiss.

1928

cc war mit ihren kontakten für die besatzer eine interessante figur. ende der 20er jahre war sie die geliebte des herzog von westminster gewesen und seitdem bis in die höchsten kreise der britischen gesellschaft vernetzt; winston churchill zählte zu ihren freunden und in paris verkehrte sie unter intellektuellen, künstlern und reichen industriellen.

nachdem die deutschen 1940 in paris einmarschiert waren, wohnte coco chanel, da bereits eine ikone der modewelt, bald wieder im noblen hotel ritz. dort, wo auch die erste riege der besatzer ihr hauptquartier bezogen hatte und wo ihre handlanger verkehrten. einer war hans günther von dincklage, sonderbeauftragter des reichssicherheitshauptamts in der propagandaabteilung der deutschen botschaft und ein bekannter playboy mit englischen wurzeln. cc’s karriere vom waisenkind zur königin der „haute couture hatte von anfang an durch die betten wichtiger männer und frauen geführt. nun wird dincklage ihr liebhaber. er ist 13 jahre jünger als cc („von einer frau in meinem alter kann nicht erwartet werden, dass sie sich seinen pass ansieht, wenn sie die chance auf einen liebhaber hat“) und ein ideales bindeglied zu den neuen machthabern. man nützt sich gegenseitig.

im august 1941 reist sie an der seite des v-manns baron louis de vaufreland zum ersten mal für die deutschen nach madrid. sie soll ihre guten kontakte zu britischen botschaftskreisen nutzen, um an informationen zu kommen. seitdem ist sie in den akten als agentin f-7124 vermerkt. cc’s biograph hal vaughans („sleeping with the enemy“, 2012) hat in archiven hunderte dokumente der deutschen abwehr gefunden mit informationen von cc (codenamen „westminster“) über emigranten und „deutsch-feindliche“ aktivitäten.

ein mögliches motiv ihres tuns war, dass cc ihren in einem lager inhaftierten neffen andré freibekommen wollte, ein sicheres war ihre gier: cc hatte 1924 ihr parfum-haus und die verwertungsrechte für „chanel nr. 5“ (das von dem russischstämmigen chemiker ernest beaus kreiert worden war) an die jüdischen brüder pierre und paul wertheimer verkauft, und besaß nur noch 10% des unternehmens. jetzt wollte sie alles zurück. schließlich gehörte chanel n° 5 inzwischen zu den meist verkauften parfums weltweit. in dutzenden schreiben verweist sie auf die arisierungsgesetze, beklagt in einem brief an die ss, dass trotz deutscher besatzung „les parfums chanel‘ immer noch „im besitze von juden“ sei, und verlangt die enteignung der brüder. doch die in die usa geflohenen wertheimers waren schneller gewesen: sie hatten ihren besitz pro forma dem flugzeughersteller félix amiot übertragen. doch cc gab nicht auf. 1943 versuchte sie es noch einmal und stellte den antrag, die übertragung der anteile an amiot als scheingeschäft zu stornieren und ihr die anteile zu übergeben. sie scheiterte wieder (siehe stéphane benhamous dokumentarfilem „the n° 5 war“ von 2017).

Foto: Bundesarchiv

inzwischen hat sie aber auch ein neues ziel. im herbst 1943 reist cc nach berlin und trägt dem chef des auslandsgeheimdienstes, ss-brigageführer walter schellenberg, einen plan vor. sie will, im auftrag himmlers, der schon seit etwa einem jahr heimlich seine fühler in richtung westalliierte ausgestreckt hatte, zu ihrem freund, dem britischen botschafter sir samuel hoare nach madrid reisen und über ihn einen kontakt zu churchill herstellen, mit dem ziel, einen „separatfrieden zwischen deutschland und großbritannien“ auszuhandeln. das klingt irre, aber schellenberg lässt sich darauf ein. im dezember 1943 macht sich cc mit einem deutschen passierschein auf den weg ins neutrale spanien, übergibt den brief und wartet auf ein reaktion aus london. doch die kommt nicht. churchill hat sich auf dem rückweg von seinem treffen mit roosevelt und stalin in teheran eine lungenentzündung eingefangen und liegt in tunesien mit fieber darnieder. cc reist nach einer woche unverrichteter dinge wieder ab. noch ende dezember fährt sie nach berlin, um bei schellenberg rapport über die mißglückte mission „modellhut“ zu erstatten und 1944 noch einmal nach madrid, um eine große geldsumme von einem gestapo-offizier entgegenzunehmen (schellenberg bestätigte diese angaben, als er 1945 vom britische auslandsgeheimdienst mi6 verhört wurde).

1921

zwei wochen nach der befreiung von paris wird cc als kollaborateurin verhaftet, kommt aber schnell wieder frei (möglicherweise durch intervention von churchill) und wird auch nicht wie andere frauen mit deutschen liebhabern mit geschorenem kopf durch die straßen gejagt, denn sie flieht mit ihrem geliebten dincklage nach lausanne, wo sie bis 1954 lebt. cc unterstützte dincklage und den bei den nürnberger prozessen verurteilten schellenberg auch weiter großzügig finanziell, nachdem der aus der haft entlassen worden war und übernahm später die kosten für seine bestattung. gleichzeitig hatte sie sich damit sein schweigen erkauft. als er starb und seine witwe seine memoiren veröffentlichte, fehlte darin jedes wort über cc. aber ohnehin wollte es nun keiner mehr so genau wissen, nicht mal die brüder wertheimer, die nach dem krieg einen neuen günstigen vertrag mit ihr ausgehandelt hatten.

Judith Kessler
Judith Kessler
Judith Kessler ist Sozialwissenschaftlerin, Redakteurin und Autorin mit den Schwerpunkten jüdische Migration, Gegenwartskultur und Biografieforschung.
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