Freitag, 3. Mai 2024

Judith Kessler erinnert an die „stille Heldin“ Kläre Bloch, die heute vor 115 Jahren geboren wurde

Zweite Taxifahrerin Berlins und „stille Heldin“

Kläre Bloch wuchs in schmargendorf und halensee auf, wo ihre eltern, der kraftdroschkenkutscher friedrich begall und seine frau emma ein kleines taxiunternehmen hatten. sie war ein „sandwich-kind“ mit einer älteren schwester und einem jüngeren bruder, ging auf die handelsschule, machte 1930 die fahrerlaubnis, und wurde mit 22 jahren die (nach elli blarr) zweite taxifahrerin berlins. dank der kraftdroschke ihres vaters, die kläre nun fuhr, lernte sie viele menschen aus anderen gesellschaftskreisen kennen, genoss das, und begann, auch das romanische café an der kaiser-wilhelm-gedächtnis-kirche mit seinen vielen illustren gästen zu besuchen – ihre „universität“, wie sie später sagen sollte.

sie heiratete einen rudolf jung, ließ sich 1938 nach kurzer ehe aber wieder scheiden und zog in eine anderthalb-zimmer­-wohnung im charlottenburger klausener-platz-kiez, horstweg 28, parterre. hier lebte sie noch bis 1966. und hier, in dieser wohnung, gab die einfache frau in der nazi-zeit kommunisten, deserteuren und zwei jüdischen frauen unterschlupf und besorgte anderen illegal lebenden lebensmittel.

erich bloch hatte sie 1931 im romanischen café kennengelernt. er stammte aus einer anderen welt, war pressezeichner und illustrator, ein linker intellektueller, körperbehindert und jude. seine mutter, eine lehrerin, war 1941 nach theresienstadt, seine schwester, innenarchitektin, 1943 nach auschwitz deportiert worden. und er wurde zum „u-boot“. kläre nahm ihn auf und versteckte ihn von 1943 bis zum kriegsende 1945 in ihrer wohnung. ohne zusätzliche lebensmittelkarten war das fast unmöglich, so dass sie nach und nach ihre wertsachen und ihren hausrat auf dem schwarzen markt gegen lebensmittel eintauschte.

es wäre auch nicht möglich gewesen ohne ihre courage. sie probte mit ihrem schützling, wie der sich schnell in einer truhe verstecken konnte, falls die gestapo käme; sie war in der parterre-wohnung, an der alle bewohner vorbei mussten, immer in gefahr, entdeckt zu werden und bekam prompt eines tages einen anonymen brief: sie hätte doch wohl jemanden versteckt, denn „es riecht nach juden im haus“. kläre trat die flucht nach vorn an, brüllte bei der nächsten gelegenheit im luftschutzbunker die versammelt bewohnerschaft zusammen und drohte, alle schreibmaschinen im haus untersuchen zu lassen, um den zu ermitteln, der eine deutsche frau einer derartigen schandtat verdächtigte. es funktionierte, niemand meldete sie. und kläre, die nun auch nicht mehr zur arbeit ging, weil sie angst hatte, erich allein zu lassen, wurden noch vorsichtiger. bis endlich die rettung kam.

Kläre Blochkläre bloch: „in meiner straße war ein nest, ein eingegrabenes widerstandsnest, das gegen die anrückenden sowjetischen soldaten gerichtet war, und gegenüber von mir kamen eines morgens zum ersten mal sowjetische soldaten. als ich die sah, habe ich gedacht, das sei der größte moment meines lebens, in dieser straße, die so nationalsozialistisch eingestellt war, noch einmal befreit zu werden! daß es so etwas gab! (…)“

erich bloch eröffnete nach dem krieg eine kunstschule. als er 1955 einen schlaganfall erlitt, heiratete das ungleiche paar, um kläre später etwas abzusichern. kläre pflegte erich bis zu seinem tod 1965. sie selbst starb 1988 und wurde neben ihm auf dem friedhof heerstraße begraben. nachdem freunde eine traueranzeige für sie im tagespiegel veröffentlicht hatten, ging dort noch einmal ein anonymes schreiben ein, in dem kläre bloch für die „schändlichen taten in ihrem leben“ verurteilt wurde.

in charlottenburg-wilmersdorf ist ein kleiner platz und eine abendschule nach der stillen heldin benannt.
Judith Kessler
Judith Kessler
Judith Kessler ist Sozialwissenschaftlerin, Redakteurin und Autorin mit den Schwerpunkten jüdische Migration, Gegenwartskultur und Biografieforschung.
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