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Judith Kessler erinnert an Rosa Winter, die vor 101 Jahren geboren wurde

Rosa Winter, geboren am 23. Dezember 1923

Rosa stammte aus einer österreichischen Sinti-Familie, die mit ihren zwölf Kindern im Wohnwagen von Markt zu Markt zog und ihre Waren feilbot. Da die Winters ständig unterwegs waren, konnte Rosa nicht zur Schule gehen und hütete ihre jüngeren Geschwister. 1939 wurde die Familie in Salzburg festgehalten, ihres Eigentums beraubt, in ein Sammellager gebracht und von dort aus im Sommer 1940 in das KZ Maxglan, in dem zu der Zeit etwa 280 Sinti eingesperrt waren.

Kurz nach Ankunft der Familie suchte sich die NS-Regisseurin Leni Riefenstahl hier südländisch aussehende Statisten für ihren Film „Tiefland“ aus, der zu Zeiten Goyas in Spanien spielte (und sie wird ihre Anwesenheit in Maxglan nach dem Krieg leugnen).

die 54 ausgesuchten zwangsschauspieler*innen, unter ihnen die 16-jährige rosa, wurden in einen zug verfrachtet, nach krün bei garmisch partenkirchen in riefenstahls filmdorf gebracht und auf geheiß des lagerkommandanten anton böhmer streng bewacht und isoliert von anderen untergebracht. die riefenstahl film gmbh sollte sie auch nicht entlohnen und fluchtversuche sofort melden. weitere zwangsarbeiter*innen holte sich riefenstahl aus dem lager in berlin marzahn. den aussagen von überlebenden nach, wurden die komparsen nachts in eine scheune gesperrt und bewacht; mindestens die hälfe der von riefenstahl eingesetzten männer, frauem und kinder wurde später ermordet.

als rosa erfuhr, dass ein teil ihrer familie weggebracht worden war, rannte sie davon, wurde aber drei tage später auf einer landstraße bei rosenheim gefasst. rosa winter: „da hat’s geheißen, das ist arbeitssabotage. da haben sie mich dann in salzburg auf die kriminalpolizei hingebracht… da hat mich die helene riefenstahl noch besucht. und sie hat sich das erhofft, dass ich halt um verzeihung bitte und dies und das. das habe ich aber nicht gemacht … „ach so“, hat sie gesagt, „dann kommen sie auch ins kz. wenn die es so haben wollen, gehen sie halt hinein.“

rosa sah ihre mutter, die man als geisel miteingesperrt hatte, hier zum letzten mal. sie selbst wurde in das frauen-kz ravensbrück überstellt.

rosa winter: „ein fürchterliches lager war das. und an weihnachten, da hast du dann so eine art soßenfleisch bekommen, einen schöpfer davon. da haben wir uns gefreut an weihnachten. das war alles. … [sonst] immer nur eine rübe, aber nicht viel. wenn wir viel davon bekommen hätten, wäre es schon gegangen. aber wir haben nicht viel bekommen. die juden und die zigeuner waren da drinnen die ärmsten… da hast du dich nur nach wärme gesehnt. und im sommer hast du wieder geweint nach dem wasser, weil du nichts zu trinken bekommen hast… als ich einmal meine schürze gewaschen habe und sie am abend am fenster aufgehängt habe, haben sie den hund auf mich gehetzt, damit er mich umbringt. … da waren zwei frauen bei mir, intelligente frauen, kapos, aber das waren brave frauen… die sind dann aufgestanden und haben für mich um mein leben gebeten. in den unterleib und überall hat er mich gebissen, und da habe ich mir gedacht, das wird ein trauriger tod sein, bis ich wirklich tot bin, bis er mich am hals erwischt. und dann sind die schmerzen schon so groß geworden, da habe ich meine faust in sein maul gesteckt, damit er nicht mehr beißen kann. da haben sie mich wieder geschlagen mit dieser rute, mit der hundepeitsche. bis eben die zwei frauen…“

im april 1945 gelang es rosa winter bei einem marsch zu einem außenlager mit sieben anderen frauen und zwei männern, darunter ihrem späteren lebensgefährten, zu fliehen. sie ging zu fuß nach linz und suchte ihre verwandten. doch außer eines onkels hatte niemand überlebt. sie arbeitete als obsthändlerin, bekam eine tochter und einen sohn, lebte lange von sozialhilfe und bekam keine rente, weil ihr die staatsbürgerschaft verweigert wurde. erst 1991 wurde ihr eine opferrente zugesprochen. 2004 schrieb sie mit ihrer tochter und ihrer enkelin ein buch.* ein halbes jahr vor ihrem tod 2005 wurde rosa winter das goldene verdienstzeichen des landes oberösterreich verliehen.

in einem interview: „ja, warum, für was bin ich herausgekommen? für was? für was denn ich, wo die anderen alle gestorben sind? das war eine riesige verwandtschaft. … und kein mensch ist herausgekommen … hätte sollen müssen auch sterben im kz. dann hätt ich mir das alles erspart heraußen. alles.“

Uns hat es nicht geben sollen: Drei Generationen Sinti-Frauen erzählen*ludwig laher (hg), gitta marti, nicole marti, rosa winter: „uns hat es nicht geben sollen: drei generationen sinti-frauen erzählen“; steinmaßl/edition geschichte der heimat.
Judith Kessler
Judith Kessler
Judith Kessler ist Sozialwissenschaftlerin, Redakteurin und Autorin mit den Schwerpunkten jüdische Migration, Gegenwartskultur und Biografieforschung.
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