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Judith Kessler: „Keine Feier ohne Meyer!“

Hermann Meyer (*12. Januar 1846), der posthume Namensgeber des Berliner Mottos „keine Feier ohne Meyer“  wurde heute vor 178 Jahren geboren.

Meyer war als junger Mann aus Posen nach Berlin gekommen und handelte hier mit Getreide, bis er 1890 auf dem Hof der Oranienburger Straße 23 zusammen mit seinem Schwager Max Warschauer die Firma „Hermann Meyer & Co. KG“ samt Spiritusbrennerei gründete.

Den Sprit ließ Meyer jedoch nicht zu Farben oder Brennstoff weiterverarbeiten, sondern zu hochgeistigen Getränken, denn Berlin war nicht nur die Hauptstadt des Deutschen Reichs, sie war auch die der Alkoholiker. um die Jahrhundertwende sollen hier auf 100 Familien vier Kneipen gekommen sein, an jeder straßenecke konnte man billig Bier und Fusel bekommen und sich das Elend schön saufen – mit Kartoffel- oder Kümmelschnaps aus Brandenburg – und nun auch mit Hermann Meyers Produkten, die nacheinander in der Oranienburger, in der Brunnenstraße, in der Fruchtstraße und schließlich auf einem neuen Fabrikgelände in der Wattstraße im Wedding hergestellt wurden. Meyer ließ sie von eigenen Kutschern ausliefern und in eigenen Läden verkaufen. Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten, denn zu jeder seiner Filialen, die meisten lagen anfangs im Souterrain, gehörte eine kleine Wohnung, in der die Pächter mit ihren Familien umsonst wohnen konnten und neben einer kleinen umsatzabhängigen Provision 30 Mark im Monat bekamen.

1898 gab es so bereits etwa 250 Meyer-Filialen bis in alle Berliner Vororte hinein. Hier standen meist Frauen (oft waren es Witwen oder Alleinstehende mit Kindern) hinterm Tresen und verkauften, was Meyers Firma produzieren oder heranschaffen ließ. Zu Beginn waren das „einheimische, südländische und palästinensische Weine sowie Liköre, Schnäpse und Weinbrände“, z. B. der hauseigene „Nervus Rerum Gesundheitsbitterlikör“, der „afrikanische Blutwein“ oder der Lieblingswein der Berliner „Santa Rosa“, benannt nach der Frau des Chefs, Rosa Meyer, und in der Werbung so besungen: „Edler Wein, o Santa Rosa, du giebst Blut und du giebst Kraft, du verscheuchst des Daseins Prosa, giebst dem Körper Lebenskraft. Alle Welt wird es bekunden, wer dich trinkt, der muß gesunden.“ (Gleichzeitig schaltete die sozialdemokratische Bewegung zu dieser Zeit im Rahmen einer großen Schnapsboykott-Aktion ebenfalls Anzeigen wie diese: „Wer Schnaps trinkt, zahlt freiwillig Steuern, füllt Junkersäckel, ruiniert seinen Körper, zerstört seine Familie, verblödet seine Nachkommen, hilft Irrenhäuser füllen! Ein organisierter Arbeiter trinkt keinen Tropfen Schnaps!“)

Meyer jedenfalls hatte früh die Wirkung von Reklame erkannt. An all seinen Läden prangte einheitlich auf rotem Grund der weiße Schriftzug „Hermann Meyer & Co.“ Er ließ in Zeitungen annoncieren und führte für seine Kunden Rabattmarken ein und für deren Kinder Serien mit Sammelbildchen. Nach der Vergrößerung und Modernisierung seiner Produktionsstätten erweiterte Hermann Meyer die Palette seines angebots sukzessive um Fruchtsäfte, Flaschenbiere, Marmeladen, Obstkonserven in wiederverschließbaren Pfand-gläsern, das Sauerstoffwasser (Mineralwasser) „Donnerwetter Tadellos“ und Zigaretten wie „Meyer’s Reform“ oder die patriotische Marke „Junkertrotz“.

Nicht nur in Meyers Läden, auch in seinen Produktions- und Abfüllstätten arbeiteten mehrheitlich Frauen. Hermann Meyer schuf Fürsorge-Einrichtungen für seine Angestellten, die damals noch eine absolute Selten- und Neuheit waren: 1900 ein „Arbeiterinnenheim“ in der Usedomstraße, 1910 die „Hermann Meyer Unterstützungskasse“ als Ergänzung zur staatlichen Rentenversicherung und das „Clubhaus“ samt Turngeräten und Badestelle bei Königs Wusterhausen für Ausflüge der Belegschaft und Erholungsaufenthalte: „Die Arbeiter und Arbeiterinnen, welche 3 Jahre lang bei der Firma tätig gewesen sind, erhalten einen Urlaub von 10 Tagen, welchen sie im Erholungsheim verbringen. Das Gehalt wird während dieser Zeit fortgezahlt. Ebenso erhalten diese Angestellten vollkommen freies Logis und Verpflegung.“

1913, das Unternehmen hatte nun um die 500 Verkaufstellen, verstarb der Firmengründer unerwartet (sein Grab befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee). Anders als seine Frau Rosa, die ihn um 20 Jahre überlebte, erlebte er es nicht mehr, wie das Unternehmen nach dem ersten Weltkrieg weiter expandierte, nun Lebensmittel aller Art ins Sortiment nahm, die Läden aus den Unter- in die Erdgeschosse zogen, größer wurden, und 1924 endlich auch der zum Sprichwort werdende Slogan „keine Feier ohne Meyer“ ins Spiel kam.

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Wie Hermann Meyer waren die meisten seiner Teilhaber und Nachfolger Juden – so Louis Licht, Max Simonsohn, Theodor Muhr, Martin Friedmann, Max Galliner und Isidor Stern. Schon 1928 hatte die NS-Presse gegen den „jüdischen Trust Meyer“ und die jüdische „Gangsterbande“ gehetzt und sie tat es noch zehn Jahre später (prompt wurden in der Pogromnacht die Fensterscheiben etlicher Meyer-Fililalen eingeworfen), als bei Meyer längst keine Juden mehr beschäftigt waren. Denn schon 1935 waren die jüdischen Vorstände zurückgetreten „worden“ und ab 1936 die Firma auf Betreiben des Aufsichtsratsdelegierten Robert Melchert schrittweise „arisiert“. Einige Mitarbeiter konnten fliehen, wie Ludwig Warschauer, der die Firma seit Meyers Tod geleitet hatte, andere wurden später ermordet, wie sein jüngerer Bruder Felix. Traditionelle Meyer-Schnäpse erhielten neue strammdeutsche Namen (so wurde „Stary Wojak“ zu „Alte Reiter“) und 1941 folgte die Umbenennung der Firma in „Robert Melchert & Co. AG“ und bog man sich per Anzeigen wie dieser in der „Berliner Morgenpost“ frech die Realität zurecht: „Früher meyer – jetzt Melchert (…) aus den vielfach unscheinbaren und oft im Keller gelegenen Läden wurden saubere, neuzeitlich ausgestattete und gut geleitete Wein-, Spirituosen- und Lebensmittelgeschäfte, zum Teil erstklassige Feinkosthäuser. Heute geben wir der Firma den Namen des Mannes, der als Träger dieser Entwicklung unser Unternehmen zu Ansehen und Erfolg führte“.

Nach dem Ende des „Dritten Reichs“ wurde die Firma in der sowjetischen Zone enteignet. In Westberlin erlebte sie unter ihrem alten Namen ein Comeback, fusionierte später mit Butter-Beck und wurde schließlich an Tengelmann verkauft, den es heute aber auch nicht mehr gibt. Hoffen wir, dass uns wenigstens „keine Feier ohne Meyer“ noch eine Weile im Sprachgebrauch erhalten bleibt.

Judith Kessler
Judith Kessler
Judith Kessler ist Sozialwissenschaftlerin, Redakteurin und Autorin mit den Schwerpunkten jüdische Migration, Gegenwartskultur und Biografieforschung.
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