Samstag, 4. Mai 2024

Mit Aristophanes & Co auf dem Klo

Die alten Griechen hatten bekanntlich einen derben Humor. Hier haben wir ein Detail eines etwa 2500 Jahre alten attischen Weinbechers (Kylix) – trank man den aus, bekam man auf dem Becherboden das abgebildete Rundbild (Tondo) zu sehen: einen halbhockenden Mann mit hochgehobener Kleidung beim Stuhlgang.

Davon abgesehen, dass mir bei diesem Bild sofort die blöde Witzfrage einfiel, woraus ein sibirisches Wald-Klo besteht (Antwort: aus zwei Stöcken – einem zum Festhalten, einem zum Wölfe vertreiben), habe ich mich natürlich gefragt, womit der Gute sich hier den Popo abwischt. Die Antwort der Archäologen: mit einer Scherbe…

Forensische Mediziner und Anthropologen haben Keramikstücke („Pessos“, Plural „Pessoi“ – Kieselsteine – genannt) untersucht, die zu Hauf in griechischen und römischen Latrinen rund ums Mittelmeer gefunden wurden und festgestellt, dass es sich um Reste zerbrochener Töpferwaren handelt, die neu zugeschnitten, abgerundet und poliert wurden, um bei ihrem neuen Verwendungszweck Verletzungen zu vermeiden. In chemischen Analysen wurden dann auch die passenden Fäkalienspuren auf den Scherben nachgewiesen, so dass davon auszugehen ist, dass sie tatsächlich der Säuberung antiker Hinterteile dienten. Als eine Folge dieser Forschungsergebnisse mussten sogar einige Pessoi im Museum der römischen Villa Fishbourne im englischen Chichester, die jahrzehntelang als kaputte Spielfiguren ausgestellt worden waren, umklassifiziert werden:).

Doch nicht nur bei Ausgrabungen, sondern auch in antiken Texten und Theaterstücken finden wir Hinweise auf die „Toiletten-Routinen“ unserer Vorfahren. Nehmen wir Aristophanes‘ Komödie „Der Friede“ (geschrieben um 421 v.u.Z.), in der der attische Landmann Trygäos in der zweiten Szene einem Panzerschmied einen Brustpanzer abkaufen will, weil der ihm gerade recht scheint, um ihn als „Leibstuhl“ (als Toilette) zu benutzen, sich dann auf ihn setzt, drei Steinchen daneben legt und dem Schmied erklärt, wie er sich damit durch den Panzer hindurch zu säubern gedenkt.

Aber Aristophanes hat in „Die Frösche“ noch ein anderes „Putzmittel“ anzubieten – einen Schwamm (spongos) oder Wollschwamm (xylospongium). Hier verlangt Dionysos in der dritten Szene von seinem Sklaven Xanthias, er möge ihm einen feuchten Schwamm aufs Herz legen, führt dessen Hand aber dann zu seinem Hintern (wo ihm nämlich vor Schreck sein Herz hingerutscht sei), um sich dort mit diesem Schwamm abzuwischen.

Etwa 400 Jahre später berichtet uns der römische Philosoph Seneca eine schon ausgefeiltere Methode, nämlich, dass man ein am Ende eines Stockes (Tersorium) befestigten Naturschwamm zum Reinigen des Gesäßes verwendet und den anschließend in einen mit Salzwasser oder Essigwasser gefüllten Eimer zurückgestellt habe (der dann dem nächsten Toilettengänger zur Verfügung stand). Diese Version wird neuerdings allerdings von einigen Archäologen angezweifelt, die meinen, diese „Klobürsten“ hätten nur dazu gedient, die Toiletten selbst zu reinigen. Aber vielleicht ist wenigstens die etwas gruslige Seneca-Story wahr, nach der sich ein germanischer Gladiator im Abort eines Amphitheaters das Leben genommen hat, indem er sich einen dieser Schwammstöcke in den Schlund stieß.

Doch nochmal zurück zu den Pessoi, den kleinen (Keramik-)Scherben und (Kiesel-)Steinen zum Abputzen.
Einige von ihnen wurden aus Ostraka genannten kleinen Scherben von Tongefäßen zurecht geschliffen, die man im Altertum anstelle des teuren Papyrus für Notizen, Quittungen, Stimmzettel oder Kurzbriefe benutzt hat und auf die manche die Namen ihrer Feinde schrieben. Wurde ein Ostrakon als Pessos verwendet, wurde damit also im wahrsten Sinne des Wortes auf den Namen einer unliebigen Person geschissen:)

Diese Sorten antiken „Toilettenpapiers“ werden aber auch in talmudischen Quellen erwähnt (zB. Shabbat 81a, 82a) – neben trockenen Grasbüscheln sind es hier Kieselsteine „in der Größe einer Olive, einer Nuss und eines Eies“ und Scherben zB. aus den glatten Rändern gebrochener Keramikkannen. Im Talmud gibt es darüberhinaus Tipps wie diesen: „Wer auf den Abort geht, setze sich nicht schnell und drücke nicht zu sehr, denn der Mastdarm ist an drei Zotten befestigt, und die Zotten könnten sich lösen, wodurch man in Gefahr geraten würde.“ Oder: „Wenn jemand seine Notdurft verrichten will, es aber nicht kann, so soll er, wie R. Hisda sagt, sich aufrichten und niedersetzen, aufrichten und niedersetzen.“ Der selbe Rabbi wird hier auch gefragt, ob es denn erlaubt sei, die Pessoi am Schabbat zu einer Latrine auf dem Dach zu tragen, schließlich sei das doch mit einer zusätzlichen Anstrengung verbunden, die verboten wäre. Doch der kluge Rabbi Hisda entscheidet, dass es durchaus zulässig ist, weil „die Menschenwürde so wichtig ist, dass sie ein Verbot der Tora aufhebt“.

Das wäre eigentlich ein guter Schluss. Aber der Vollständigkeit halber noch kurz, wie es andernorts weiterging:

In China, wo die Herstellung von Papier aus Bambusfasern ja schon vor etwa 2500 Jahren erfunden wurde, kam man auch erst im 6. Jahrhundert auf die Idee, Altpapier für den Gang aufs stille Örtchen zu benutzen (zuvor behalf man sich mit polierten Stäbe oder Spänen und am kaiserlichen Hof mit Seide). Allerdings, so der gelehrte Beamte Yan Zhituii: „Papier, auf dem sich Zitate oder Kommentare der fünf Klassiker oder der Name von Weisen befinden, wage ich nicht, für Toilettenzwecke zu verwenden.“
Noch im Jahre 851 – die Kunst der Papierherstellung verbreitete sich erst langsam bis nach Arabien und Europa – entsetzt sich der arabische Reisende Suliman über die Chinesen: „Sie achten nicht auf Sauberkeit und waschen sich nicht mit Wasser, wenn sie ihre Notwendigkeit getan haben; sie wischen sich nur mit Papier ab.“
Dafür nutzten die Chinesen bald auch nicht mehr ausgemusterte Bücher oder Schriftrollen, sondern eigenes für den Reinigungszweck gedachtes Papier. Im frühen 14. Jahrhundert wurden allein in der heutigen Provinz Zhejiang jedes Jahr zehn Millionen Packungen mit 1000 bis 10000 Blatt quadratischem Toilettenpapier produziert, und 1393 in der Hauptstadt Nanjing 720000 Blatt Toilettenpapier für den Kaiserlichen Hof, die teilweise schon parfümiert waren.

In anderen Teilen der Welt wischten sich reiche Leute zu dieser Zeit noch mit Wolle, Spitzen, Tierfellen oder Hanf ab. Ärmere benutzten Wasser und ihre (zumeist linke) Hand oder je nach Klima und Gegend Lumpen, Gras, Sand, Moos, Farne, Blätter, Muscheln, Schnee oder Maiskolben. In Estland beispielsweise haben Archäologen mehrere tausend Stoffreste aus mittelalterlichen Hauslatrinen gefischt und bestätigt gefunden, dass ihre Qualität um so höher war, je höher der soziale Status der Bewohner war.

Der früheste bekannte Hinweis auf die Benutzung eines Toilettenpapiers in Europa stammt aus dem Jahre 1532 von dem französische Satiriker François Rabelais. Sein Romanheld Gargantua fabuliert über die Utensilien, die er zum Hintern wischen ausprobiert habe (Seide, Brusttuch, Pagenbarett, Salbei, Kürbisblätter, Weinlaub, Spinat, Kissen, Teppich, Stroh, Nachtmütze etc.) und erklärt dann, dass er allein mit Papier unzufrieden war: „Wer mit Papier sein wüscht Loch fegt, stets einen Zundel läßt am G’mächt.“ (im Original: „Mais toujours laisse aux couilles une amorce qui son cul sale de papier torche“), wohingegen „kein Arschwisch in der Welt über ein wohl geflaumet junges Gänslein“ gehe (das mit den Gänsen haben seine Landsleute wohl nicht nachgemacht, aber dafür dankenswerter Weise ein Jahrhundert später das Bidet erfunden). Der Aufstieg des Verlagswesens im 18. Jahrhundert hat dann dazu geführt, dass auch im Westen Papier bzw. ausrangierte Zeitungen und Büchern zur Säuberung verwendet wurden. So schreibt Lord Chesterfield 1747 in einem Brief an seinen Sohn über einen Mann, der nach und nach alle Seiten aus einer Ausgabe von Horaz riss, um sie mit aufs Klo zu nehmen, dort zu lesen und sich anschließend damit zu reinigen.

Das erste moderne, kommerzielle Toilettenpapier hat der Amerikaner Joseph C. Gayetty 1857 produziert, die losen Blätter mit Aloe-Extrakten getränkt und mit dem Aufdruck seines Namens in Schachteln verkauft. 1879 stellten die Brüder Scott das erste Klopapier auf Rollen her, ein anderer Brite, Walter Alcock ließ sich im selben Jahr die Perforierung einfallen und 1891 kam dann die von Seth Wheeler aus Albany, New York erfundene Klopapier-Rolle in der Art, wie wir sie bis heute kennen, auf den Markt. In Deutschland gab es die aber erst ab 1928 – dank Hans Klenk = „Hakle“…

Und um wieder die Kurve zum Anfang zu kriegen, schließen wir unseren Toiletten-Diskurs mit ein paar nützlichen Vokabeln von Aristophanes zum Thema ab:

Σκῶρ ἀείνων: „immer fließende Scheiße“ (Die Frösche, 145-6)
ὁ τῆς διαροίας ποταμὸς: „ein Fluss von Durchfall“ (Die Frösche, 150-3)
_ …μεμαγμένον σκῶρ ἐσθίειν, αὐτὴ δ’ ἔματτεν αὐτοῖς: „…um den Scheißkuchen zu essen, den sie für sie gebacken hat“ (Der Reichtum, 304)
σκατοφάγος: „Kotfresser” (Der Reichtum, 706)
ἀπὸ μὲν κάκκης ῥῖν’ ἀπέχων: „Halte deine Nase vom Kakka fern“ (Der Frieden, 163) – Κάκκη hier in der Bedeutung von übel riechendem Kot – obwohl ich immer gedacht habe, ich wäre es gewesen, die im Alter von acht Monaten das Wort „Kakka“ erfunden hätte:)

Judith Kessler
Judith Kessler
Judith Kessler ist Sozialwissenschaftlerin, Redakteurin und Autorin mit den Schwerpunkten jüdische Migration, Gegenwartskultur und Biografieforschung.
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