Donnerstag, 2. Mai 2024

Rosenthal

Deutsches Porzellan

Anfang August 1929 schreibt die Deutsche Allgemeine Zeitung: „Geheimer Kommerzienrat Dr.-Ing. hc. Philipp Rosenthal, der Gründer und Generaldirektor der bekannten Porzellanfabrik Ph. Rosenthal u. Co. AG, begeht in diesem Monat sein 50jähriges Berufsjubiläum. Geheimrat Rosenthal ist Präsidialmitglied des Reichsverbands der Deutschen Industrie, Vorsitzender des Exportförderungsausschusses des Reichsverbandes der Deutschen Industrie und Vorsitzender des Verbandes keramischer Werke. Ganz besondere Verdienste hat er sich um die Leipziger Messe erworben …“.

Ein paar Tage später erscheint auch ein Interview „50 Jahre deutsches Porzellan“ mit ihm und übersendet Reichspräsident Hindenburg dem Jubilar ein „in ehrenen Worten gehaltenes Glückwunschschreiben“. 1926 hatte Leipzig bereits eine Straße nach Philipp Rosenthal benannt, und Oberbürgermeister Rothe ihm geschrieben: „… Wir wollen Ihnen durch diese Straßenbenennung, die bei Lebenden nur ganz selten als besondere Ehrung beschlossen wird, zeigen, wie dankbar wir Ihnen sind“.

Angefangen und geendet hat alles ganz anders. Philipp Rosenthal, geboren am 6. März 1855 im westfälischen Werl, ist eines von sechs Kindern des Textil- und Porzellanfabrikanten Abraham Rosenthal und der Kaufmannstochter Emilie Meyer (der bei Wikipedia verlinkte Geburtseintrag, siehe Abbildung ist der falsche; er ist für seinen Cousin, geboren am 28.Januar 1855, Sohn von Michael Speyer und Emilie, geborene Rosenthal, beide sind im selben Jahr geboren und nach ihrem Großvater benannt).

Die Rosenthals gehören zu den drei reichsten Familien in der kleinen Stadt Werl, Abraham Rosenthal fungiert hier auch als Synagogenvorstand und natürlich wünscht er sich, dass seine Söhne ins Geschäft einsteigen. Doch 1872 treibt die Abenteuerlust den 17-jährigen Philipp und seinen drei Jahre älteren Bruder Max Adolph (die Nr. 3, Wilhelm, ist noch zu jung) erst einmal in die „neue Welt“, nach Amerika. Philipp schlägt sich dort nach eigenen Angaben als Laufbursche, Fahrstuhlführer, Tellerwäscher und Postreiter durch, bevor er schließlich Einkäufer bei der Porzellanimportfirma „Jacob Meyer Brothers“ in Detroit wird. Für die kehrt er nach sieben Jahre in die Heimat zurück und da die Amis hauptsächlich auf bemaltes Porzellan scharf sind und das schwer zu finden ist, beschließt Philipp, es selbst herzustellen.

Er kauft weißes Rohporzellan bei der 1814 gegründeten Porzellanmanufaktur Hutschenreuther in Selb und richtet sich in der Nähe eine kleine Porzellanmalerei ein. Neben einem Gehilfen stellt er die Porzellanmalerin Mathilde Auerbach aus Düsseldorf an, die er noch im gleichen Jahr heiratet. Seine Frau bemalt nicht nur das Porzellan und kümmert sich um die Töchter Klara und Anna, die kurz hintereinander geboren werden, sie zieht auch die fertige Ware in einem Handkarren zum eine halbe Stunde entfernten Bahnhof Plößberg.

Anfangs läuft das Geschäft mit bemalten Sprudelbechern und Souvenir-Tassen alles andere als gut, und Rosenthal muss sich wiederholt Geld leihen. Doch dann kommt er auf die Idee, einen oberkitschigen Aschenbecher (mein Lieblingsobjekt:) mit der Aufschrift „Ruheplätzchen für brennende Cigarren“ zu kreiieren und der wird ein Renner. Bald kann sich Rosenthal 60 Angestellte leisten, aber Lorenz Hutschenreuther, der sich über den Erfolg seines Konkurrenten grün ärgert, weigert sich, ihm weiter Weißware zu liefern. Also lässt sich Rosenthal am gleichen Ort, denn hier im Fichtelgebirge gibt es ein großes Kaolin-Vorkommen, 1889 eine eigene Porzellanfabrik bauen und eine Firmenhymne dichten: „Nicht Nymphenburg, nicht Meißen, / Nicht Delft und auch nicht Wien, / In Selb wir heute preisen, / Feldspat und Kaolin.“

Rosenthal ist ein umtriebiger Mann. Er reist auf der Suche nach neuen Kunden und Exportmöglichkeiten von Land zu Land. Er besucht Messen und Museen, um sich anregen zu lassen. Und bietet statt angestaubten französischen Barock- und Empire-Dekors neue Formen und Muster an. Seine Services für das gutbetuchte Bürgertum der Gründerzeit kommen mit wohltönenden Namen wie „Monbijou“ oder „Pompadour“ daher, und der selbstbewusste Philipp Rosenthal ersetzt die symbolische Erkennungsmarke, die man üblicherweise auf hochwertigem Porzellan findet, durch seinen Namenszug.

1897 ist sein Unternehmen soweit expandiert, dass er es zu einer Aktiengesellschaft umwandelt. Die Philipp Rosenthal & Co. A errichtet neue Standorte, kauft acht Firmen auf und erweitert die Produktpalette um (elektro-)technisches Porzellan wie Isolatoren und Widerstände. 1904 beschäftigt die AG bereits 1200 Mitarbeiter und ihr oberster Chef zeigt sich als fürsorglicher Mann. Seine Angestellten sind die bestbezahlten der ganzen Branche, sie bekommen vollbezahlten Urlaub (bevor es überhaupt eine gesetzliche Regelung dazu gibt). Rosenthal lässt Kinderkrippen und Schrebergärten einrichten und Wohnungen bauen, die er seinen Leuten preiswert vermietet. 1910 leistet sich der Firmengründer auch noch eine eigene Kunstabteilung – bis dahin das Privileg königlicher und fürstlicher Manufakturen – und engagiert bekannte Künstler, die sich anspruchsvolle moderne Dekors und Formen ausdenken sollen.

Philipp Rosenthal (Markenzeichen: Reithose, Gamaschen, Sportsakko, Monokel, weiße Krawatte) ist ein Technik-Freak, er gehörte 1893 zu den ersten Automobilbesitzern, er liebt die Jagd, schnelle Pferde und schöne Frauen (O-Ton: „Das Schönste auf Erden sind das Weib und das Pferd“). Er weiß auch, dass die Frauen seine eigentlichen Kunden sind, dass es gilt, ihren Geschmack zu treffen. Viele seiner Kreationen tragen Frauennamen wie Isolde, Rosalinde oder Lu. Ob diese Namen mit seinen Techtelmechteln zusammenhängen, weiß man nicht; aber bei einem Porzellanservice ist es gewiss.  Als „Maria“, das er nach einem englischen silbernen Teeservice von 1819 entworfen haben soll, 1913 auf den Markt kommt und zum millionenfach verkauften Bestseller wird, hat sich Philipp Rosenthal von seiner ersten Frau getrennt und ist schwer in die 35 Jahre jüngere Tochter seines Justitiars Josef Franck verliebt, die (Überraschung:) Maria heißt, und die er nach ihrer Scheidung von Sanitätsrat Alfred Frank 1916 heiratet. Gattin II bringt ihren Sohn Udo mit in die Ehe und noch im selben Jahr wird auch der lang ersehnte Rosenthal-Stammhalter Philip(p) geboren (der später auf die besten Schulen in der Schweiz und England geschickt wird, in der NS-Zeit nach England fliehen kann, nach dem Krieg nach Deutschland zurückkehrt und die Firma weiterführt).

„Maria“

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs hat Philipp Rosenthal nicht nur die gesamte deutsche Porzellanindustrie geprägt, er versucht – immer den globalen Markt und die deutschen Exporte im Auge – auch die Leipziger Messe, die durch den Krieg deutlich an Prestige verloren hatte, zu ihrer einstigen Blüte zurückzuführen und bereist als Präsidiumsmitglied des Reichsverbandes der Deutschen Industrie alle möglichen Länder, um die Werbetromme für deutsche Erzeugnisse zu rühren.

Rosenthal gilt als konservativ, nationalbewusst, vielleicht sogar deutschnational, und er genießt das Ansehen der höchsten Kreise der Gesellschaft und Politik. Zum eingangs erwähnten 50-jährigen Firmenjubiläum 1929 ist seine AG mit 7000 Mitarbeitern eine der größten deutschen Porzellanhersteller, die Marke „Rosenthal“ in der ganzen Welt berühmt und ein Freund schreibt dem Gründer ins Stammbuch: „Im hohen Alter noch das schönste Weib, / Im hohen Alter noch das schnellste Pferd, / Im hohen Alter noch ein klarer Geist, / Im hohen Alter noch der Künste Meister, / Fürwahr, ein gottbegnadetes Leben!“

Vier Jahre später ist es vorbei mit dem gottbegnadeten Leben, der Ehre und der deutschen Dankbarkeit. Philipp Rosenthal hatte sich zwar irgendwann katholisch taufen lassen, aber für die Nazis bleibt er Jude. Zunächst schützt ihn noch der Umstand, dass seine Marke weltbekannt war, doch bald wird „seine“ Straße in Leipzig nach Kaiser Maximilian umbenannt und die „Arisierung“ seiner Aktiengesellschaft ist nur noch eine Frage kurzer Zeit. 1934 legt der Philipp Rosenthal freiwillig den Vorsitz im Vorstand nieder, heißt es. Nun, jain, es ist ein verzweifelter Schachzug: Rosenthal versucht die Nazi-Paragrafen zu umgehen, indem er seiner Frau seine Grundstücke überträgt, seinem 24jährigen „arischen“ Stiefsohn Udo (den er zuvor schon mal wegen Verschwendungssucht aus dem Hause gejagt hatte) außerordentliche Vollmachten erteilt, ihn zu seinem Vermögensverwalter macht und versucht, ihn im Aufsichtsrat unterzubringen. Allerdings hat er die Rechnung ohne seine Töchter aus erster Ehe und deren Kinder gemacht. Sie beantragen beim Gericht, Philipp Rosenthal zu entmündigen, weil er den Verstand verloren habe und die Vorstandsmitglieder, allen voran der Schwager Klaras, Otto Zöllner (der auch nach dem Krieg weiter dem Vorstand angehört), macht 1936 das Gericht eindringlich auf die Udo 1934 vorgesehene Rolle aufmerksam, und dass Geheimrat Rosenthal schon da „völlig unzurechnungsfähig“ gewesen sei. Die lieben Verwandten erreichen mit Hilfe der Nazis und psychiatrischer Gutachten schließlich, dass der 81-jährige Philipp Rosenthal im Februar 1937 „wegen Altersveränderung im Gehirn“ entmündigt und sogar rückwirkend seit 1934 für fortlaufend geschäftsunfähig erklärt wird, so dass auch seine da getroffenen Entscheidungen null und nichtig sind.

Verkaufen muss die Familie ihr Aktienpaket in Höhe von 1,417 Millionen Reichsmark nach der „Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens“ dann aber doch weit unter Wert an die Bayrische Hypotheken- und Wechsel-Bank. Geheimrat Dr. Ing h.c. Philipp Abraham Rosenthal stirbt sechs Wochen später, am 30. März 1937, in einem Bonner Sanatorium. Der Weg für den „arischen“ Vorstand ist endgültig frei. Und Rosenthal erlebt auch nicht mehr, wie tonnenweise zwangsweise verkauftes oder gestohlenes Porzellan aus jüdischen Haushalten in den Schränken der „anderen“ Deutschen landet.

1941 erlassen die Nazis eine Verordnung, nach der „entjudete“ Gewerbebetriebe ihre – so noch behaltenen – jüdischen Namen zu ändern haben. Die Geschäftsführung interveniert bei Propagandaminister Goebbels und die Firma darf mit einer Ausnahmegenehmigung wegen ihres internationalen Rufs weiterhin „Rosenthal“ heißen. Die Hakenkreuze auf den Rosenthal-Produkten sind indes keine Ausnahme. Alle bekannten deutschen Porzellanmanufakturen hatten reichhaltiges „politisches“ Geschirr im Sortiment – Villeroy&Boch und Hutschenreuther beispielsweise Services und Wandteller mit Reichsadler und Hakenkreuzen, Meissen bot „Führer“-Büsten und Figuren wie das „BDM-Mädel“ und die „SS-Gruppe“ an und die KPM vertrieb „Hitler-Plaketten und -reliefs“. Vielleicht gut zu wissen, wenn man mal wieder eine Sammeltasse umdreht.

Judith Kessler
Judith Kessler
Judith Kessler ist Sozialwissenschaftlerin, Redakteurin und Autorin mit den Schwerpunkten jüdische Migration, Gegenwartskultur und Biografieforschung.
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