Montag, 11. November 2024

Die friedliche Tartan Army: Wie man feiernderweise ein Land erobert

Da heute das Endspiel um die Europameistersaft stattfindet, hier ein paar Anmerkungen unserer Redakteurin Martina Sellmeyer:

Deutschland ist raus. Schade. Aber es gibt noch wichtigere Dinge bei dieser Europameisterschaft als die Frage, wer das beste fussballerische Können gezeigt hat (und davon gab es einiges zu sehen) oder die Tore zum Sieg schoss. Siegen kann man nämlich noch auf eine Art, die sich nicht auf der Anzeigetafel im Stadion in Zahlen zeigt: Dadurch, dass man sich Sympathie erwirbt, und damit gleichzeitig für sein Land.


O Flower of Scotland …*

Auch wenn ihre Mannschaft (wie üblich) früh ausschied, waren die schottischen Fans auf jeden Fall Sieger beim Nationalhymnen-Gesang. Natürlich gibt es keine schönere Hymne als die lila-weiße, die in vielen Versionen vom Rap bis Jiddisch zum „Kämpfen und Schrei’n“ begeistert, aber kein Fangesang ist so bewegend wie der schottische. Die inoffizielle Hymne wurde in den 1960ern von den Corries geschrieben – 30 Jahre, bevor der Epilog zu Braveheart die im Lied beschriebene Schlacht weltbekannt machte.

Auch wenn es um die historische Schlacht von Bannockburn in Schottland 1314 geht – das Thema des Lieds ist zeitlos und im Moment gerade brandaktuell. Es handelt von den jungen Menschen, die in der Blüte ihrer Jugend in der Schlacht fielen, in der es um die Unabhängigkeit Schottlands von England ging. Diese Toten sind mit Flower of Scotland gemeint, um die das Lied trauert. Dass diese Menschen ihr bisschen Heimat, ihr wee bit hill and glen, erfolgreich gegen einen Aggressor verteidigten, macht das Lied besonders aktuell. Die Menschen in der Ukraine dürften es den Schotten gut nachfühlen können.

Es ist ein trauriges und zugleich patriotisches Lied, aber keines, bei dem aus dem Patriotismus Aggression wird. Das gleiche kann man von den schottischen Fans sagen. Sie haben mit ihrer peaceful invasion gezeigt, wie man sein Land positiv repräsentiert, und dabei gleichzeitg maximal Spass hat. Dabei waren sie keineswegs unauffällig und leise, schon wegen ihrer mitgebrachten Dudelsäcke. Wie der Mann mit blauweißem facepaint, der auf der Münchner Marienstatue seinen Kilt lüftete, bevor er die bagpipes spielte. Oder der Schotte, der sich in Köln über das Geländer schwang und nackt in den Rhein sprang.

Unvergesslich der Aufmarsch der Tartan Army mit ihrem massiven Aufgebot an Dudelsäcken. 200.000 schottische Fussballfans feierten in München und Köln eine große und laute Party. Als „a rowdy riot of colour and noise“ beschrieb die Daily Mail treffend die Atmosphäre um die Fans mit dem Motto: No Scotland no party!  Dass sie dabei freundlich und friedlich blieben, war es, was sie auszeichnete und zu gern gesehenen Gästen machte. Die schottischen Fans seien ein hervorragendes Beispiel dafür, dass man sich die Kante geben kann und trotzdem nicht aggressiv, unangenehm oder gewalttätig sein muss, stellten die deutschen Mitfeiernden fest.


Party hard and make friends

„Ich bin gerade nach Köln gefahren mit einem ganzen Haufen Schotten. Ich hab noch nie eine so positive Stimmung erlebt, singen, Spaß haben, ohne Anflug von Krawall und schlechtem Benehmen. So muß Sport sein, und das macht mir wieder ein bisschen Hoffnung für die Zukunft“, schrieb David im Internet. „Super nett“, sehr sympathisch, freundlich, einmalig, mit die geilsten Fans“, lauteten zahllose Kommentare. „Weiter so Jungens aus Schottland“, schrieb Achim. „Ihr macht Euch richtig gut!“

Die schottischen Fans seien „good at inspiring crowds“. „A tonic to the country“ seien sie gewesen, schrieb ein deutscher Fan. „Endlich bringt jemand Freude nach Deutschland“, ein anderer. „We need more Scottish mentality in Germany.“ Wie den Schotten, der in der Straßenbahn laut und begeisternd Braveheart William Wallace zitierte: „They can take our lives, but they can never take our freeeeeedom!“ Aber auch den ruhigen jungen Mann, der embarrassed über den Müll, den seine Landsleute zurückließen, beim Aufräumen half. Die travelling fans eroberten die Herzen Tausender Deutscher und machten sich nicht nur beliebt, sondern erwarben sich Respekt. Loud and kind, seien sie gewesen, hieß es, und hätten sich benommen wie Ehrenmänner, so ein Radiomoderator. Wann hat man zuletzt in Deutschland ein so altmodisches Wort gehört?

„We love you Scots“, schrieb eine Kölner Zeitung über die beiden Schotten im Kilt und mit Bier in der Hand, die einer älteren Person mit Rollator mit ihrem Regenschirm durch den Kölner Regen halfen – mit solchem Wetter kennen sich Schotten aus. Die Mannschaft verlor, dafür wurden die Fans zu Europameistern im Feiern und in Freundlichkeit ernannt. Man war sich einig: Wenn es eine Trophäe für die besten Fans gäbe, hätte Schottland sie verdient – dicht gefolgt von den Niederländern. Sie kamen als Gäste und gingen als Freunde.

How Germany fell in love with Scotland and the Tartan Army“, titelte der Herald. Die Kölner Oberbürgermeisterin verabschiedete sich auf Englisch mit der Feststelltung: „Das waren wundervolle Tage mit euch“ von den „lieben Schotten“. Die hatten sogar auf dem Dudelsack ein Lied der Bläck Fööss gespielt und auf Kölsch gesungen. Die Schotten ihrerseits bedankten sich vielfach bei den Deutschen für die Gastfreundschaft, wie Kieran, der sein verlorenes Handy mit einem freundlichen Selfie der deutschen Fans zurückerhielt, die es gefunden hatten. „Fussball als Fest der Völkerverständigung, wenn alle so cool drauf wären wie Schotten und Kölsche gäbe es keine Kriege mehr!!“ meinte Sebastian im Netz zu Recht.


This is class – Loving all the pipes and singing

„Weil wir bei diesen Veranstaltungen regelmäßig kläglich scheitern, haben wir keine Erwartungen und können daher nicht enttäuscht werden. Die schottischen Fans genießen die Vorfreude und den Saß. Das Spiel ist eine ärgerliche, aber notwendige Pflicht.“ So beschrieb ein Schotte die pragmatische Einstellung der Fans, die viele dafür bewunderten, trotz Niederlage so guter Stimmung zu sein. Auch die Schottinnen und Schotten in der Heimat beobachteten das Auftreten der Fans. „Gut gemacht, ihr macht uns alle stolz, Schotten zu sein“, schrieben Daheimgebliebene. „Unsere schottischen Fans sind einfach großartig, ob sie gewinnen oder verlieren, sie benehmen sich und genießen einfach jede Minute der Reise. Ich bin stolz, Schotte zu sein“, lautete ein Kommentar. “This is class“, das hat Klasse, meinte Calum. „Ich wünschte, ich wäre dort.“ „Class“ wünschten sich die Schotten allerdings auch von ihrer Mannschaft. „Wenn wir doch eine Mannschaft hätten, die den Ehrgeiz, die Begeisterung und den Patriotismus der Fans widerspiegelt… „ seufzte ein Fan.

Begeisterung kam sogar von südlich des Tweed, der Grenzfluss zwischen England und Schottland. Sie sei Engländerin und die besten Fans mit Leidenschaft und Atmosphäre seien die Schotten und die Niederländer, meinte Heidi. „Ich liebe den Dudelsack!“ Und ein anderer: „I’m English but you guys are outstanding fans, all out for the beer and banter,that’s what being a true fan of your country is about.“

dutch

Spielverderber: Fanatischer Nationalismus

Im scharfen Kontrast zu den Schotten standen Fans, bei denen sich statt friendly tribal rivalry (The  Guardian) innerhalb Europas fanatischer Nationalismus oder gar Rechtsextremismus zeigten. Wie beim türkischen Staatschef Erdogan, der sich besorgt um seine türkischen Wähler in Deutschland zeigte, die ihren Verwandten in der Türkei gerne einen Diktator an den Hals wählen, während sie selber in Freiheit leben. Er reiste nach dem Wolfsgruss von Merih Demiral beim Achtelfinale gegen Österreich extra zur Unterstützung der gezeigten rechtsextremen Haltung an, die von dem Spieler als Patriotismus verharmlost wurde, der dafür zu Recht von der UEFA für zwei Spiele gesperrt wurde. Dass zur Ideologie der Grauen Wölfe Antisemitismus gehört, stört Erdogan anscheinend nicht.

Während der Sperre gibt Demiral hoffentlich jemand Nachhilfe darin, was der Unterschied zwischen Patriotismus und Rechtsextemismus ist. Daran teilnehmen sollten auch die türkischen Fans, die wegen der Sperre von Rassismus gegenüber der türkischen Community sprechen und Erdogan selber, der von einem „fremdenfeindlichen“ Verhalten gegenüber Demiral redet. Einladen könnte man auch Ungarns rechtsnationalen Staatschef Viktor Orbán, der den Kniefall gegen Rassismus, bei dem die Spieler bei der Europameisterschaft 2021 ausgepfiffen wurden, als „Provokation“ und „kulturfremd“ bezeichnete und der fand, dass Affenlaute gegen die schwarzen französischen Spieler und Homophobie zu einer „fantastischen Stimmung“ dazugehörten.

Das Osnabrücker Fanprojekt des VfL, der 2021 das Spiel gegen den MSV Duisburg wegen eines rassistischen Vorfalls abbrach, könnte hier sicher gute Schulungen anbieten. Zur Teilnahme verpflichten sollte man auch die widerliche, aus Neonazis bestehende paramilitärische Carpathian Brigade, ein inoffizieller Fanklub der ungarischen Nationalmannschaft, die nicht nur rassistisch und homophob ist, sondern auch antisemitische und antiziganistische Sprechchöre und Hitlergrüße grölt. Und die österreichischen Fußballfans, die vor dem EM-Achtelfinale gegen die Türkei in Leipzig gegen die Türkei wie einige Jungdeutsche jüngst auf Sylt „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ skandierten. Mit ihnen allen sollte man tun, was die Schotten in ihrer Fussballhymne singen: Sent them homeward, tae think again!

Die Tartan Army hat dagegen gezeigt, wie man bei der Invasion eines Landes willkommen geheißen wird, Spass hat und dabei einen guten Ruf erwirbt. Man kann ein Land mit Freundlichkeit erobern, sich und seinem Land damit bleibendes Ansehen sichern und dabei eine Menge Spass haben. Dabei hat diese „Armee“ nicht mal einen Anführer. Schade, dass Erdgoan nicht zu einem Spiel der schottischen Mannschaft gekommen ist. Von deren Fans hätte er was lernen können.

*Flower of Scotland

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