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Montag, 15. Dezember 2025

„Keiner von uns hat geglaubt, dass so viel Sadismus möglich war“

Erinnerung an die Deportation von Osnabrück nach Riga/Lettland am 13. Dezember 1941

Am 13. Dezember 1941 wurden 35 Osnabrückerinnen und Osnabrücker gezwungen, in einen Zug zu steigen, der sie in mehrtägiger Fahrt nach Riga in Lettland brachte. Sie selber kannten das Ziel nicht. Ihren Besitz mussten sie zurücklassen.

Fünfzig Kilo an Gepäck waren alles, was sie mitnehmen durften, und auch das wurde ihnen bei der Ankunft weggenommen, als sie mit Eisenstangen aus dem Zug in die eisige Kälte von minus 30 bis 40 Grad geprügelt wurden. Kleine Kinder und alle, die den weiten Weg in das Ghetto nicht schafften, wurden gleich ermordet. „Keiner von uns hat geglaubt, dass so viel Sadismus möglich war“ – dieser Satz stammt von Ewald Aul, einem der fünf Osnabrücker Überlebenden dieser Deportation, später langjähriger Vorsitzender der Jüdischen Nachkriegsgemeinde in Osnabrück.

Von November 1941 bis zum Winter 1942 wurden mehr als 25.000 jüdische Deutsche nach Riga in Lettland deportiert. Auch die Familie Stern, die an der Hasestraße wohnte, wurde mit dem sogenannten „Bielefelder Transport“ am 13. Dezember 1941 von Osnabrück nach Riga „evakuiert“, in ungeheizten Personenwagen der Reichsbahn, begleitet von Osnabrücker Schutzpolizisten. Drei Tage und zwei Nächte verbrachten die Menschen bei eisigen Temperaturen in den Waggons. Sie mussten die 1.600 Kilometer ohne Verpflegung oder etwas zu Trinken zurücklegen. Sie wussten nicht, was sie erwartete, nur, dass es schlimm sein würde, wenn man sie schon unterwegs derart menschenunwürdig behandelte. Manche sollen unterwegs vor Angst wahnsinnig geworden sein.

Im September 2024 unternahmen Mitarbeitende der Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht sowie Mitglieder des Gedenkstättenvereins und MultiplikatorInnen aus dem Osnabrücker Raum und Berlin eine Reise ins Baltikum. Die Reise erfolgte im Rahmen der Ausstellung „Der Tod ist ständig unter uns. Die Deportationen nach Riga und der Holocaust im deutsch besetzten Lettland“, die von April bis September 2024 in der Gedenkstätte Augustaschacht zu sehen war. Die Reise auf den Spuren des Holocaust im Baltikum wurde 2025 wiederholt.

Gedenkstätte in Bikernieki. Foto: Martina Sellmeyer/OR
Gedenkstätte in Bikernieki. Foto: Martina Sellmeyer/OR

Eine Redakteurin der Osnabrücker Rundschau  war eingeladen worden, an der ersten Reise teilzunehmen. Ihr in der Osnabrücker Rundschau erschienener dreiteiliger Reisebericht wurde vom Deutschen Riga-Komitee in einer Kurzfassung, in der es vorrangig um die Deportation nach Riga geht, auf seiner Website eingestellt. Sie können ihn unter diesem Link finden: Ein Land voller Massengräber und kaum jemand, der noch ein Kaddisch sagen kann: Auf den Spuren der Shoah in Lettland.

Das gemeinsam mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge gegründete Riga-Komitee, in dem inzwischen mehr als 80 Städte aus Deutschland, Österreich, Tschechien und Riga selbst vertreten sind, wurde 2000 in Berlin gegründet. An der Einweihung der von dem Städtebündnis errichteten Gräber- und Gedenkstätte am Ort der Massenmorde im Wald von Bikernieki am 60. Jahrestag des „Rigaer Blutsonntags“ nahmen 2021 auch zwei Ratsmitglieder aus Osnabrück als Vertreter der Stadt teil. Sie setzten eine Urne mit den Namen, Geburtsdaten und Osnabrücker Wohnanschriften in das Grabmal ohne Gräber ein.

Es wäre gut, wenn nicht nur in der Gedenkstätte in einem fernen Wald bei Riga, sondern auch in Osnabrück daran erinnern würde, was die Hasestadt mit der Stadt Riga an der Düna verbindet. Anders als zum Beispiel in Düsseldorf gibt es in Osnabrück keinen Lern- oder Erinnerungsort und auch keine Veranstaltungen, die an die massenhafte Deportation von jüdischen Menschen aus Osnabrück erinnern. Es handelte sich um insgesamt 35 Personen aus der Stadt selbst. Weitere 477 Menschen aus dem gesamten Zuständigkeitsbereich der Gestapostelle Osnabrück wurden mit Omnibussen nach Osnabrück gebracht, um von hier deportiert zu werden.

Anders als bei der städtischen Veranstaltung zur Pogromnacht, bei der Kantor Baruch Chauskin Riga jedes Jahr im Male Rachamim den Ort der Massenmorde in Lettland erwähnt, finden an den Jahrestagen der Deportationen von Osnabrück nach Riga, Theresienstadt und Auschwitz keine regelmäßigen Veranstaltungen statt. Man könnte an sie zum Beispiel mit einer Filmaufführung erinnern. Im Oktober 1991 reisten die inzwischen verstorbenen Osnabrücker Holocaust-Überlebenden Ewald Aul und Irmgard Ohl mit dem Berliner Filmemacher Jürgen Hobrecht und dem damaligen Bundestagsabgeordneten der Grünen, Winfried Nachtwei, noch einmal zu einer Spurensuche nach Riga. Der Dokumentarfilm „Wir haben es doch erlebt…“ über das Ghetto von Riga erzählte erstmals die Geschichte des Ghettos aus der deutschen und der lettischen Teil-Perspektive.

Die Gedenktafel an der Pottgrabenschule ist kaum zu sehen und zu lesen (Foto OR)
Die Gedenktafel an der Pottgrabenschule ist kaum zu sehen und zu lesen (Foto OR)

Die kleine, leicht zu übersehende Gedenktafel am Altbau der Pottgrabenschule, in deren Turnhalle die Deportierten die letzte Nacht vor dem Abtransport nach Riga verbrachten, ist die einzige Erinnerung an diese Ereignisse. Sie ist so hoch angebracht, dass die Tafel nur bemerkt, wer von ihr weiß und danach Ausschau hält. Der kaum lesbare schwarze Text der Bronzetafel nennt nicht einmal die Zahl der Deportierten und macht das Ausmaß des Grauens nicht klar, das hier für 500 jüdische Menschen begann und in einem Massengrab in den lettischen Wäldern endete. Auch die verstreut in der Stadt liegenden Stolpersteine vermögen das nicht.

Man kann sich zum Gedenken am 13. Dezember den Totengesang Male Rachamim anhören, das Baruch Chauskin beim Besuch des Orts der Morde in Rumbula gesungen hat.

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