OR-Serie „Widerstand im Osnabrück der NS-Zeit“ – Folge 30: Abraham Trepp

Die OR-Serie „Widerstand im Osnabrück der NS-Zeit“ widmet sich einem spannenden, aber bisher kaum bekannten Thema: Sie erinnert an mutige Menschen, die sich aktiv dem Naziterror und seinen menschenverachtenden Ideen widersetzt und dafür ihr Leben riskiert haben.

Abraham Trepp
„Man muss Liebe haben“ – Lehrer Trepp bleibt auf seinem Posten 

„Als Mitglied der Familie Trepp aus Fulda gehörte mein Onkel einer jüdischen Aristokratie an, deren Stammbaum bis ins Jahr 1450 lückenlos erschlossen ist. Generationenlang waren unsere Vorfahren Leibärzte der Fürstäbte von Fulda“, schrieb Rabbiner Professor Dr. Leo Trepp aus San Rafael, Kalifornien, 2004 nach einem Besuch in Osnabrück an den Osnabrücker Oberbürgermeister Hans-Jürgen Fip. „So war mein Onkel ein tief frommer Jude und zugleich ein hingebender deutscher Patriot. Er hatte vollkommenes Vertrauen in Deutschland und das deutsche Volk. Er war Deutscher, gerade weil er Jude war. Abraham Trepp war ein vorbildlicher Mann für Deutschland und für Osnabrück – doch sie haben es nicht gewusst und nicht wissen wollen.“ Der nationalsozialistischen Propaganda gelang es immer wieder, Tatsachen in ihr genaues Gegenteil zu verdrehen. Trotz der langen Tradition von jüdischen Familien wie denen der Trepps in Deutschland wurden sie als Fremde, ja von einem Osnabrücker Hetzblatt sogar als „Orientalen“ bezeichnet.


„Ein liebenswürdiger Mann mit Humor“

Abraham Trepp, geboren 1885 in Fulda war die zentrale Figur der Synagogengemeinde in den letzten Jahren vor ihrem Untergang. Trepp war nach seiner Lehrerausbildung zuerst in Thalfang bei Trier, danach in Meppen und ab 1912 als Lehrer in Quakenbrück bei Osnabrück tätig. 1924 wurde er in den einstweiligen Ruhestand versetzt – vermutlich aufgrund gravierender gesundheitlicher Probleme in Folge seiner Kriegsverletzungen, die immer wieder Krankenhausaufenthalte nötig machten. Dennoch trat er 1928 die Nachfolge des langjährigen Lehrers Samuel Oberschützky an der Israelitischen Elementarschule in Osnabrück an, die aufgrund der steigenden Schülerzahl 1916 vom Barfüßerkloster in ein neu erbautes Schulgebäude in der Rolandstraße umgezogen war. Bis Ende 1929 fuhr er täglich mit der Bahn von Quakenbrück nach Osnabrück, dann zog er mit seiner Frau und den beiden Söhnen in eine Wohnung über der Schule, die direkt an die Synagoge angebaut war.

Abraham und Clara Trepp mit den Söhnen Leo und Martin (Archiv Martina Sellmeyer)Abraham und Clara Trepp mit den Söhnen Leo und Martin (Archiv Martina Sellmeyer)

Der vom Staat besoldete Lehrer nahm, wie das in kleinen jüdischen Gemeinden wie der in Osnabrück üblich war, auch rituelle religiöse Aufgaben wahr, die in größeren Gemeinden von einem Rabbiner ausgeübt werden. Trepp war als Vorbeter und als Kantor tätig und stand auch dem Männer-Wohltätigkeitsverein Chewrah Kadischa vor, der sich um die Durchführung von Bestattungen kümmerte, die bestimmte kultische Handlungen erforderten. Daneben nahm er noch das Amt des Schächters wahr und führte Beschneidungen und Beerdigungen durch.

Trepp war genau die richtige Persönlichkeit für dieses doppelte Amt. Er liebte seine Gemeinde, und er liebte die Kinder, die er unterrichtete. Und er liebte Osnabrück. Das berichtete sein Neffe, Professor Leo Trepp, der seit 1936 Oberrabbiner in Oldenburg war und den Holocaust überlebte. Er schilderte Abraham Trepps Einstellung so: „Ein Lehrer, der muss kein Gelehrter sein. Aber er muss wissen, was Kinder sind, wie man sie lehrt. Er muss wissen, wie man sich in ihre Persönlichkeit hineinversetzt. Und man muss Liebe haben.“ Diese Liebe spürten die Kinder, die Abraham Trepp unterrichtete, und die sie in den schwierigen Zeiten des Nationalsozialismus besonders nötig hatten. Seine überlebenden Schülerinnen und Schüler, von denen einige in den 1980er Jahren auf Einladung der Stadt noch einmal Osnabrück besuchten, lobten sowohl seinen Unterricht als auch seine Fürsorge in der Zeit der Verfolgung. Abraham Trepp war „liebend besorgt“ um die Kinder und ein „aus den Quellen seiner jüdischen Tradition liebender, liebenswürdiger Mann mit Humor“. Und diese Liebe machte, so sein Neffe, nicht an den Grenzen der Jüdischen Gemeinde halt.


„Der Weimarer
Republik die Treue geschworen“

Abraham Trepp war auch ein überzeugter Demokrat. Der Osnabrücker Schriftsteller und Lehrer Ludwig Bäte erinnerte sich: „Abraham Trepp, mit dem und seiner fröhlichen schwäbischen Frau wir von Familie zu Familie verkehrten, gehörte auch mit mir dem Republikanischen Lehrerbund an.“ Bäte war von 1928 bis 1945 als Lehrer an der Möser-Mittelschule tätig. Abraham Trepps ehemalige Schülerin Steffi Fletcher (damals hieß sie Löwenstein), Tochter eines jüdischen Osnabrücker Arztehepaares, erinnerte sich, dass ihre Mutter ihr mehrmals erzählte, dass, als alle Staatsangestellten aufgefordert wurden, den berüchtigten Hitlereid zu schwören, Trepp diesen Eid zurückschickte, ohne ihn zu unterzeichnen. Er sagte, er hätte schon der Weimarer Republik die Treue geschworen, und das sei genug. Der während der Weimarer Zeit noch republikanische Lehrer Ludwig Bäte blieb während des Dritten Reichs nicht so integer wie Abraham Trepp. In einem Feldpostbrief der NSDAP veröffentlichte er 1940 eine „Geburtstagsgabe“ für den Führer mit den Versen: „Wir stehn wie unsere Wälle um Dein Wirken, und Opfer ist des Lebens tiefster Sinn“.

Vier Jahrgänge in einem Klassenzimmer 1932 (Archiv Martina Sellmeyer)Vier Jahrgänge in einem Klassenzimmer 1932 (Archiv Martina Sellmeyer)

Trotz einer kriegsbedingten Gehbehinderung musste Trepp auch noch nach seinem Umzug nach Osnabrück weite Wege auf sich nehmen, denn sein Wirkungskreis erstreckte sich bis in das siebzig Kilometer entfernte Bentheim. Auch der Unterricht in der Elementarschule war anstrengend. Trepp war der einzige Lehrer, und musste deshalb sämtliche Fächer und vier Jahrgänge gleichzeitig in einem Klassenraum unterrichten. 1932 besuchten zwölf Jungen und zwölf Mädchen, insgesamt 24 Kinder, die Israelitische Elementarschule. Der Schulrat berichtete von einem Besuch in dem Klassenzimmer, das in Weiß, hoch, hell und freundlich gehalten war, im Februar 1931, dass die Klasse „äußerst lebhaft, auch äußerlich, und an allen Gegenständen des Unterrichts interessiert“ sei. Diesem „lebhaften Drängen“ müsse der Lehrer den rechten Weg weisen, beschrieb der Schulrat Trepps nicht einfache Aufgabe, die dieser hervorragend meisterte. Sein Unterricht hatte ein so hohes Niveau, dass alle Schülerinnen und Schüler nach dem dritten Schuljahr auf weiterführende Schulen übergingen. Obwohl die Schule eigentlich alle Jahrgänge bis zum Schulabschluss umfasste, endete sie bis 1933 daher mit dem vierten Schuljahr. Lea Levy, eine andere seiner ehemaligen Schülerinnen, erzählte bei einem Interview in Israel 2009: „Als wir ins Gymnasium kamen, [brauchten] wir ein ganzes Jahr nichts tun“. So gut hatte Trepp die Kinder vorbereitet. Wie alle seiner Schülerinnen und Schüler, die den Holocaust überlebten, hatte sie Abraham Trepp in bester Erinnerung: „Er war ein fantastischer Lehrer.“


„Falls wir eine Parade sahen, sollten wir weglaufen“

Steffi Fletcher schrieb 1985 aus den USA: „Dieser Mann, der begabteste Lehrer, den ich je gekannt habe, war ein Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges, zweimal verwundet.“ Trepp war, wie die meisten deutschen Juden, „voller Überzeugung und Pflichtgefühl“ für Deutschland in den Krieg gezogen. In einer Schlacht an der Marne östlich von Paris im Ersten Weltkrieg wurde er durch Schussverletzungen am Kopf, am Bein und am Rücken schwer verwundet, und war eine zeitlang blind. Nach drei Monaten kam das Augenlicht zurück. Doch die anderen Verletzungen bereiteten ihm zeitlebens Probleme. Wegen der durchschossenen Fußknöchel hatte Trepp dauerhaft Schwierigkeiten beim Laufen. Noch Jahre nach der Verwundung wanderte ein Schrapnell durch seinen Körper, bis es 1932 endlich entfernt werden konnte und sich die Wunde schloss. Während er weiter täglich unter Schmerzen infolge seines Fronteinsatzes litt, musste Trepp 1930 in dem antisemitischen Osnabrücker Hetzblatt Der Stadtwächter lesen, Juden würden allgemein als feige und schlechte Soldaten gelten. „In Deutschland hatte sich die ganze Mischpoke in die Etappe verkrümelt,“ behauptete der Heilpraktiker Heinrich Schierbaum, der dieses Hetzblatt von 1929 bis 1931 herausgab. Dabei war Abraham Trepp wie viele andere Mitglieder der Osnabrücker Jüdischen Gemeinde für seine Tapferkeit mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden.

 

Trepp in der Schulklasse der Israelitischen Elementarschule 1934. Das zweite Mädchen von links ist Steffi Löwenstein (Archiv Martina Sellmeyer)Trepp in der Schulklasse der Israelitischen Elementarschule 1934. Das zweite Mädchen von links ist Steffi Löwenstein (Archiv Martina Sellmeyer)

Diese Tapferkeit zeigte er aber nicht nur an der Front, sondern auch in seinem Beruf. „Sobald er wieder zusammengeflickt war“, so sein Neffe, arbeitete Trepp wieder als Lehrer. „Er hat sich nie etwas anmerken lassen und als Lehrer unermüdlich gearbeitet.“ Steffi Fletcher berichtete: „Ich sehe noch, wie [Lehrer Trepp] uns Kindern trotz seines verwundeten Beines Turnübungen zeigte, da wir keinen anderen Turnlehrer hatten, und sogar damals haben wir ihn seiner Tapferkeit wegen bewundert. […] Ich erinnere mich gut, dass Herr Trepp uns Kindern erklärte, wir müssten nie das Hakenkreuz grüßen. Falls wir eine Parade hörten oder sahen, sollten wir weglaufen und nicht zuschauen, denn Zuschauer dieser fast täglichen Paraden mussten den Hitlergruß geben.“ Trepp, der selber den Eid auf Hitler verweigert hatte, ermutigte seine Schülerinnen und Schüler dazu, sich von der gleichgeschalteten Volksgemeinschaft zu distanzieren.

Nach den vier Grundschuljahren in der Schule an der Rolandstraße gingen jüdische Jungen in der Regel auf das Reformrealgymnasium (im Gebäude des heutigen EMMA-Theaters) an der Arndtraße, die Mädchen auf das Oberlyzeum für höhere Töchter im Katharinenviertel (heute das Juridicum der Universität). Doch ab 1933 hatten jüdische Schülerinnen und Schüler keinen freien Zugang zu öffentlichen Schulen der Stadt mehr. Die Nationalsozialisten legten im April 1933 Quoten für nichtarische Schülerinnen und Schüler und Studentinnen und Studenten fest. In der Israelitischen Elementarschule wurden daraufhin nicht mehr nur die ersten vier Schuljahre, sondern auch die höheren Jahrgänge unterrichtet. Gleichzeitig verließen ständig Kinder die Schule, denn die Eltern wanderten aus, und die Kinder gingen mit. Der Stundenplan wurde auf Bitten der Eltern erweitert. Eine Frau Aronstein aus Minden gab im Gemeindehaus Englischkurse, und Abraham Trepp brachte zur Vorbereitung auf die Auswanderung nach Palästina den Kindern in der Schule die neue Sprache Iwrith bei, die zur Umgangssprache im späteren Israel wurde. Bisher hatten sie nur das Althebräisch der Gebete gelernt, die im Gottesdienst gesprochen wurden.


„Der jüdische Frontkämpfer müsse auf seinem Posten aushalten“

Bis 1936 hatte die jüdische Gemeinde noch einen hauptamtlichen Kantor und Prediger. Danach konnte die Gemeinde das Gehalt nicht mehr aufbringen, und Lehrer Trepp auch diese Ämter in Gänze übernehmen. Er trat als religiöses Oberhaupt der Jüdischen Gemeinde in den letzten Jahren vor ihrer Vernichtung zwar nicht öffentlich hervor, war aber als eine der führenden Persönlichkeiten der Gemeinde besonders gefährdet. 1933 wurde er vor den Augen seiner Familie von SA Männern überfallen und schwer misshandelt. Besonders für Trepps Söhne Leo und Martin war das ein schwerer Schock. Die nächste Begegnung mit der SA hätte Trepp beinahe das Leben gekostet. Diesmal fand der Überfall im Beisein seiner Frau Clara statt. Es war Purim, ein jüdischer Festtag im Frühjahr, und Abraham und Clara Trepp kehrten abends heim. Unterwegs lauerten uniformierte SA-Männer ihnen auf, und fragten: “Sind Sie der Lehrer Trepp?“ Als Trepp das bejahte, wurde er mit einer Pistole bedroht. Das Flehen seiner Frau, ihn zu schonen, sie hätten junge Kinder, rettete ihn anscheinend.

Trotz dieser Lebensgefahr konnte Abraham Trepp sich nicht dazu entschließen, seine Heimat zu verlassen. Gerade die vielen jüdischen Veteranen des Ersten Weltkriegs hielten ihrem Vaterland trotz aller Schikanen lange die Treue. Man verließ nicht so leicht ein Land, für das man sein Leben eingesetzt und seine Gesundheit geopfert hatte, so wie der Frontkämpfer Trepp. Noch nach dem Erlass der rassistischen Nürnberger Gesetze 1935 rief die Ortsgruppe des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten ihre Mitglieder zum Bleiben auf. Viele Juden sahen das noch immer als patriotische Pflicht gegenüber ihrem Land, obwohl dieses sie gerade völlig entrechtet hatte. Besonders der jüdische Frontkämpfer, forderte der Reichsbund im November 1935 im militärischen Jargon, „müsse auf seinem Posten aushalten.“ Abraham Trepp blieb auf seinem Posten – nicht aus militärischem Pathos, sondern aus Verantwortungsgefühl für seine Schülerinnen und Schüler, die er in den Zeiten der zunehmenden Verfolgung so gut wie möglich zu schützen versuchte – auch durch seine Liebe zu ihnen, eine Liebe, die die Kinder spürten und an die sie sich alle noch nach fünfzig Jahren bei ihrem Besuch in Osnabrück erinnerten. Die Schule in der Rolandstraße bot den Schülerinnen und Schülern bis zu ihrer Schließung nach den Novemberpogromen 1938 Schutz vor Diskriminierungen und Hass, denen sie im Alltag überall begegneten. Das Reformrealgymnasium in der Nähe der Schule und Synagoge nannte sich offiziell Hitlerjugendschule, weil 541 der 552 Schüler 1936 bereits der Hitlerjugend angehörten, und Lehrerinnen und Lehrer am Osnabrücker Oberlyzeum für Mädchen ließen zu, dass Kinder in Gegenwart ihrer jüdischen Mitschülerinnen ein Lied mit dem Text sangen: „und wenn das Judenblut vom Messer spritzt, dann geht’s noch mal so gut“. Das Verhalten ihnen gegenüber wurde immer gehässiger, weil sich schließlich auch die Lehrer daran beteiligten. Auch Trepps überlebender Sohn Leo berichtete, wie er als 12jähriger darunter litt, an der weiterführenden Schule in Osnabrück von den Mitschülern verspottet und verachtet zu werden.


„Von den anderen Kindern beschimpft und bespuckt“

Der Alltag wurde ab 1933 immer gefährlicher für die jüdischen Kinder in Osnabrück. Sie wurden von ihren Klassenkameradinnen und -kameraden geschlagen, ja sogar verprügelt. Bei dem Israeli Elieser (früher Ludwig) Elbaum weckte ein Besuch in Osnabrück 1985 böse Erinnerungen an seine Schulzeit: „Kinder von anderen Schulen haben uns manchmal aufgelauert, und dann haben die Schlägereien angefangen.“ Sogar jüdische Mädchen wurden von Mitschülerinnen geschlagen. Irmgard Ohl (damals Heimbach), Jahrgang 1927, berichtete, dass auf ihrem Schulweg zur Rolandstraße kaum ein Tag verging, an dem sie nicht von den anderen Kindern beschimpft und bespuckt wurde und man Grimassen schneidend „Jude“ hinter ihr herrief. Umso wichtiger war es für sie und die anderen Kinder, sich in der Schule geliebt und sicher zu wissen. Selbst die noch nicht schulpflichtigen Kinder der jüdischen Gemeinde kamen in die Schule, weil sie wussten, dass Lehrer Trepp nach Unterrichtsende holländische Bonbons an seine Schülerinnen und Schüler und auch ihre christlichen Freunde, die sie begleiteten, verteilte.

Schulklasse mit Lehrer Trepp ca. 1935. In der hinteren Reihe rechts: Peter van Pels, dessen Familie mit der von Anne Frank in Amsterdam „untertauchte“ (Archiv Martina Sellmeyer)

Abraham Trepp war auch ein fürsorglicher Vater. Wie viele jüdische Eltern bemühten er und seine Frau sich, die Zukunft ihrer Kinder zu sichern, die in Deutschland keinerlei Möglichkeiten mehr hatten, einen Beruf zu erlernen oder auszuüben. Sie versuchten darum, ihren Kindern im Ausland noch eine Schulausbildung und einen Abschluss zu ermöglichen. Manche jüdischen Eltern in Osnabrück schickten ihre Kinder bereits ab 1933 auf Schulen in Frankreich oder England. Abraham Trepp gelang es 1936, für seinen 15jährigen Sohn Leo eine Freistelle an einem bekannten traditionellen und orthodoxen Rabbiner-Seminar in Amsterdam zu erhalten. Auch der zweite Sohn Martin (geb. 1926) studierte dort ab 1937. Trepp wollte seine Söhne angesichts der verbalen und körperlichen Angriffe, denen jüdische Kinder in Deutschland ausgesetzt waren, in Sicherheit wissen, gleichzeitig aber seine Schülerinnen und Schüler nicht im Stich lassen, für die die jüdische Schule ein weitgehend geschützter Raum war. Doch manchmal drang die antisemitische Gewalt bis in den Klassenraum. Mitten im Unterricht flogen auf einmal Steine in das Klassenzimmer an der Rolandstraße, um die Zettel mit Beschimpfungen wie „Saujuden“ gewickelt waren. Das war eine beängstigende Atmosphäre, in der das Lernen schwerfiel. Abraham Trepps überlebende Schülerinnen und Schüler loben darum in den Erinnerungen an ihre Schulzeit nicht nur seinen Unterricht, sondern auch seine Fürsorge in dieser gefahrvollen Zeit. AbrahamTrepp warnte seine jüdischen Schülerinnen und Schüler davor, auf der Straße zu sein, wenn die Hitlerjugend marschierte und ließ dann sogar den Unterricht an der Israelitischen Elementarschule ausfallen. Die Warnung war berechtigt. Elieser Elbaum wurde beim Schlittenfahren am Hauswörmannsweg 1933 von einigen Hitlerjungen so misshandelt, dass er sein Leben lang an den Folgen litt.

Dazu kamen Schikanen von offiziellen Stellen, auch von der Stadt Osnabrück. Die Stadtverwaltung stellte 1935 plötzlich ohne Angabe von Gründen die Zahlung des Zuschusses für die Lehrerstelle der jüdischen Gemeinde ein. Stadtrat und Polizeidezernent Arnoldi, zugleich Vertreter des Kreisleiters der NSDAP, forderte aufgrund der Beschwerde eines einzelnen Bürgers, dass man das Gehalt des jüdischen Lehrers doch besser den Alten Kämpfern der NSDAP zukommen lassen könne, die Einstellung der Zahlungen. Oberbürgermeister Gaertner sperrte daraufhin die Mittel. Als Rechtsanwalt Dr. Jacobson als Vorstandsmitglied der Synagogengemeinde nach dem Grund fragte, hieß es, man erwarte neue gesetzliche Regelungen und habe die Zahlungen daher vorsorglich – das heißt, ohne Rechtsgrundlage und damit unrechtmäßig – eingestellt. Abraham Trepp hätte das Schulgeld für seine beiden in den Niederlanden eingeschulten Söhne nicht aufbringen können, wenn der Hilfsverein der deutschen Juden ihn nicht unterstützt hätte.


„Mehr tot als lebendig“

Trepp war ein tapferer Mann, und doch saß er nach dem Bericht einer jüdischen Augenzeugin in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 im Keller der Schule in der Rolandstraße mit Todesangst im Gesicht.  Es war die Nacht, in der die Synagoge angezündet wurde. Laut Aussagen im sogenannten Synagogenbrandprozess 1949 forderte ein SA-Sturmführer den Leiter des Feuerwehreinsatzes auf, statt zu löschen das direkt an die brennende Synagoge angebaute Wohnhaus mit Benzin zu begießen, damit es auch ausbrannte. Abraham Trepp und seine Frau mussten wie die anderen jüdischen Bewohner mitten in der Nacht aus ihrer Wohnung in dem Gebäude flüchten. Die Gittelsohns im obersten Geschoss waren durch das Geräusch von Holzhacken geweckt worden, das vom Zertrümmern des Mobiliars der Synagoge herrührte. Als sie fluchtartig ihre Wohnung verließen, konnten sie schon das Benzin riechen, das als Brandbeschleuniger benutzt wurde. Erwin Kolkmeyer gab währenddessen gerade den SA-Männern in der Synagoge die Anweisung, die Gebetbänke in den linken Teil der Synagoge zu bringen, der bereits brannte, damit sich das Feuer schneller ausbreitete. Vor der Synagoge fanden sich schnell Schaulustige ein, die riefen, man solle die Juden, die aus dem Haus flüchteten, an der Laterne aufhängen. Abraham Trepp wurde wie alle jüdischen Männer der Stadt festgenommen, in den Gestapokeller im Schloss gebracht und dort misshandelt. Von dort brachte man sie nach zwei Tagen in das Konzentrationslager Buchenwald.

Die wochenlangen Misshandlungen dort setzten dem Kriegsinvaliden besonders heftig zu, wie der ebenfalls nach Buchenwald deportierte Osnabrücker Fred S. Katzmann schilderte. Die Gefangenen wurden gezwungen, von morgens um zehn bis abends um fünf Uhr in endlos langen Reihen stundenlang auf dem Schotterboden zu sitzen, und dabei ganz dicht zusammenzurücken, so dass jeder seinen Vordermann unmittelbar zwischen seinen gespreizten Beinen hatte. Mit ihren Reitpeitschen zwangen die Bewacher die Gefangenen, immer dichter zusammenzurücken. Vor allen Dingen erlaubten sie aber niemandem, aufzustehen. Katzmann berichtete, dass aufgrund seiner Kriegsverletzungen für Abraham Trepp dieses stundenlange Sitzen auf dem Boden besonders qualvoll und er danach mehr tot als lebendig war. Während sie dort saßen, musste die Gefangenen den berüchtigten Prügelstrafen zusehen, bei denen die SS-Scharführer Häftlinge mit einer schweren Peitsche schlugen, bis das Blut spritzte. Nach mehreren Wochen dieser Quälereien wurde Abraham Trepp aus Buchenwald entlassen, unter der Bedingung, dass er Deutschland sofort verlassen würde.


„Nach Holland abgereist“ 

Die verbliebenen sechs jüdischen Schülerinnen und Schüler der Israeltischen Elementarschule konnten deshalb keinen Schulunterricht in Osnabrück mehr besuchen, obwohl das Schulgebäude noch intakt war. „Am 10. November ging ich früh zur Schule“, erinnerte sich Ewald Aul, damals zwölf Jahre alt, der bei seinen Großeltern in der Uhlandstraße im Katharinenviertel lebte. „Da sah ich die zerstörte Synagoge, die Trümmer und die verwüstete Einrichtung. Die jüdische Schule neben der Synagoge stand noch, war aber abgeschlossen, Lehrer Abraham Trepp verhaftet.“

Am 20. Dezember 1938 erhielt Abraham Trepp durch Vermittlung eines seiner Söhne die Erlaubnis zur Einreise nach Holland. Der Regierungspräsident verfügte, am 30. Dezember 1938 die Entlassung Trepps aus seiner Lehrertätigkeit zum 1. Januar 1939. In der Schulakte ist am 15. Januar 1939 vermerkt, dass Trepp „nach Holland abgereist“ sei. Dort lebte die wieder vereinte Familie in Amsterdam.  Aus einem Brief an Abraham Trepp wegen seiner Versorgungsansprüche geht hervor, dass die Familie im Mai 1939 in Amsterdam-Zeeburg wohnte. Später zog sie in die Uithoornstraat im Emigranten-Viertel Amsterdam-Zuid, zehn Minuten von der Familie von Anne Frank am Merwedeplein entfernt.

Doch nach dem Einmarsch der deutschen Truppen am 10. Mai 1940 war ihr Leben erneut in Gefahr. Die deutschen Besatzer in den Niederlanden übten grausame Vergeltung, wenn sie von Mitgliedern der niederländischen Widerstandsbewegung angegriffen wurden, und deportierten oder exekutierten hunderte von Menschen. Anne Frank berichtete in ihrem Tagebuch von der Erschießung von Geiseln durch die Gestapo und kommentierte: „Etwas Schrecklicheres kann man sich nicht vorstellen. […] Wird irgendwo sabotiert und der Täter nicht gefunden, stellt die Gestapo seelenruhig so fünf Geiseln an die Wand.“ Im Juni 1941 sollten als Repressalie nach einem Bombenattentat auf ein von der Wehrmacht benutztes Gebäude 500 junge holländische Juden festgenommen werden, um nach Mauthausen deportiert zu werden. Der damals 19jährige Leo Trepp berichtete: „Ich stand auf dieser Liste, war aber glücklicherweise nicht zuhause, als die Gestapo mich abholen wollte. Von da ab lebte ich bis zur Befreiung in den verschiedensten Verstecken unter größten Entbehrungen, in panischer Angst wie ein gehetztes Tier.“ Erst nach Kriegsende erfuhr er, dass seine ganze Familie, auf deren Rettung er immer noch gehofft hatte, verhaftet und ermordet worden war.


„Es ist niemand von diesen je wieder gesehen worden.“

Wie die Osnabrücker Familie van Pels, die sich mit der Familie Frank im Hinterhaus an der Prinsengracht versteckt hatte, wurden auch Abraham Trepp und seine Frau während einer Razzia in Amsterdam-Zuid verhaftet. Der jüngere Sohn Martin wurde bei einer weiteren Razzia verhaftet und nach Sobibor deportiert, seine Eltern am 22. April 1943 nach Theresienstadt.  Abraham Trepp war ein frommer Mensch, und auch ein Philosoph. „Wenn nicht von innen her der Hauch die Seele durchweht, ist alles Äußere Schein.“ Diese Lebensweisheit gab er an seinen ältesten Sohn weiter. Getreu dieser Einstellung nahm Abraham Trepp bei seiner Verhaftung in Amsterdam nur die rituellen Gegenstände wie seine Gebetsriemen mit, die er für die Religionsausübung benötigte.

Für den Lehrer und Ritualbeamten Abraham Trepp hatten die Speisegesetze einen so hohen Stellenwert, dass er nach Aussage von Überlebenden sogar nach der Deportation nach Theresienstadt 1942 trotz des schlimmen Hungers dort „es vorzog, nichts zu essen, als nicht-koschere Rationen zu essen“. Am 20. Juli 1944 bedankte sich Abraham Trepp mit einer vorgedruckten Karte für ein Lebensmittelpaket, das Ernst Löwenstein ihm aus Osnabrück geschickt hatte, der in einer Mischehe lebte und noch nicht deportiert worden war. So wie er das für die jüdischen Kinder in Osnabrück getan hatte, setzte Abraham Trepp sich in Theresienstadt für andere ein, diesmal für die überwiegend älteren Menschen, die dorthin deportiert wurden. Dazu gehörten auch 28 jüdische Osnabrückerinnen und Osnabrücker, die im Juli 1942 von hier nach Theresienstadt abtransportiert wurden. Viele von ihnen starben qualvoll an Kälte, Krankheit und Hunger. Neben den physischen Entbehrungen lebten die Menschen im Ghetto in ständiger Angst vor dem Weitertransport in eines der Vernichtungslager im Osten. „Man nannte das Himmelfahrtstransport. Es ist niemand von diesen je wieder gesehen worden.“

Gedenktafel für Abraham Trepp in der neuen Synagoge In der Barlage, Osnabrück, Bronzerelief von Nicu Covaci (Archiv Martina Sellmeyer)

In dieser Situation versuchte Abraham Trepp, der nicht wusste, wie es seinen beiden Söhnen ging und ob diese noch lebten, so tapfer wie in seinem ganzen bisherigen Leben anderen Kraft zum Überleben zu geben. Als Kantor und Prediger war er jemand, von dem die anderen Gefangenen Rat und Trost in der Not erhoffen, ebenso wie das bei seinem Neffen, dem Oldenburger Rabbiner Leo Trepp der Fall war. Im Konzentrationslager Sachsenhausen überzeugte Leo Trepp die strikt orthodoxen Mitglieder seiner Gemeinde 1938, die nicht koschere Suppe zu essen, um ihr Leben zu erhalten. Darin unterschied sich seine Haltung von der seines Onkels. Doch er wusste, wovon er sprach, als er der Stadt Osnabrück 2004 über Abraham Trepps Zeit in Theresienstadt schrieb: „Seine Liebe hat Leben gerettet. […] Von Überlebenden habe ich erfahren, dass mein Onkel den Bedrückten und Geschundenen in Theresienstadt mit unendlicher Geduld und Liebe, Trost, Gottvertrauen und Belehrung brachte.“ Nach achtzehn Monaten in Theresienstadt wurden Abraham und Clara Trepp am 12. Oktober 1944 von dort nach Auschwitz weiter deportiert und ermordet. „Möge die Erinnerung an diesen Mann lebendig bleiben als ewige Seele für alle Zeiten. Es ist unsere und eure Aufgabe, die Geschichte, die Vergangenheit nicht ruhen lassen“, sagte Professor Leo Trepp bei der Einweihung einer Gedenktafel für seinen Onkel in der Synagoge in Osnabrück. „Wir dürfen keine Ruhe geben, sondern sollten fragen, wie sein Beispiel uns helfen kann.“

In Oldenburg gibt es außer einem Denkmal für den ehemaligen Rabbiner der Stadt auch eine Leo-Trepp-Stiftung. Auch Abraham Trepp hätte es verdient, dass in seiner ehemaligen Heimatstadt Osnabrück nicht nur in der Synagoge der Jüdischen Gemeinde an ihn erinnert wird.

 

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