Donnerstag, 25. April 2024

Was ist Freiheit? 

13 Uhr im Schlossgarten. Der Platz füllt sich. Von einem Mitglied der „Freien Patrioten“ mit adrettem Barett bis hin zu einer Frau mit Schamanentrommel ist wieder alles dabei. Einige tragen Musikinstrumente, andere Megafone.

Die meisten halten Abstand, Ordner weisen auf die Pflicht zum Maskentragen hin. Einsatzbesprechung der Polizei mit den Organisatoren. Dabei in grüner Jacke: Die Anmelderin der Demonstration, im Rollstuhl. Ordnungswidrigkeiten sollen geahndet werden, gleichzeitig wird die Polizei gebeten, ein Auge zuzudrücken, wenn es sich nur um Fahrlässigkeit handele.

Foto: Osnabrücker Rundschau

Dann spricht Erika Folkens, die die Demonstration in letzter Minute angemeldet hat. Sie sagt, sie werde nicht darüber reden, ob sie geimpft sei oder nicht, und andere auch nicht danach fragen. Ist sie es etwa schon? Sogar Donald Trump hat sich ja mittlerweile impfen lassen, sehr zum Ärger seiner Anhänger. Sie ruft zum Tragen von Masken bei der Demonstration auf, obwohl sie diese selber auch nicht gerne trage: „Ich bin eine von euch!“ Dann fordert sie: „Seid friedlich, aber nicht zu leise, es geht um die Zukunft unseres Landes!“

Der nächste Redner behauptet, die ganze Republik sei heute auf der Straße. Tatsächlich sollen es heute in Osnabrück etwa 1.800 Demonstrant:innen sein, weniger als beim letzten Mal.

Darum ergeht der dringende Appell ans Volk: „Wir müssen mehr werden!“ Zunächst gibt es aber noch nicht einmal genug Ordner. Es fehlen noch neun, sonst darf die Demonstration sich nicht in Bewegung setzen. Bis sich genügend Freiwillige melden nutzt ein Redner die Zeit, um die Demonstranten aufzufordern, die Schilder festzuhalten, zu deren Aufhängen entlang der Route der Demonstration aufgefordert wurde. Auch wenn Demonstranten beschimpft würden, solle das dokumentiert werden. Es gebe tausende Anzeigen bei der Polizei und bei den Gerichten, die nicht bearbeitet würden. Man stilisiert sich hier gerne als Opfer.

Schließlich geht die Demonstration los. Erika Folkens rollt voran. Sie ist nicht die einzige Teilnehmerin im Rollstuhl. Aber auch Kinder verteidigen bereits ihre vermeintlich eingeschränkte Freiheit:
„Hände weg von mir und meinen Freunden!“
„Nehmt Politiker statt Kinder als Versuchskaninchen“, fordern die Eltern.

Während 1.800 Menschen ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen, dabei über Hauptverkehrsstraßen marschieren, die für sie abgesperrt werden, und ihren Mitbürgern per Megafon ihre Parolen ins Ohr brüllen, fordern sie Frieden, Freiheit und – Demokratie. Von den rechten Tendenzen in den Telegram-Gruppen, in denen es von Posts von rechtsradikalen Verschwörungstheoretikern nur so wimmelt, ist nichts zu sehen. Kein Wunder: Die Demonstranten wurden schon beim letzten Mal vorab aufgefordert, rechte Symbole und Reichsbürgerabzeichen zu Hause zu lassen.

Foto: Osnabrücker Rundschau

Stattdessen zitieren TeilnehmerInnen  Bertolt Brecht, tragen Symbole der Friedensbewegung und eine Regenbogenfahne, die man auch auf der Gegendemonstration vor einer Woche sehen konnte. Was diese Menschen eint, bleibt diffus. Eltern stellen fest: „Meine Kinder finden Masken doof.“ Das können sicher die meisten Eltern bestätigen. Muss man deswegen demonstrieren gehen? Man muss nicht, aber man darf. Was ist Freiheit? steht auf einem Schild. Auf jeden Fall nehmen die Demonstranten sie ausgiebig in Anspruch, auch wenn auf ihren Plakaten von Diktatur die Rede ist.

Zuletzt klingt „We Shall Overcome“ von Joan Baez aus dem Lautsprecher. Hoffentlich trifft das auch auf die Menschen zu, die dringend einen Platz auf der Intensivstation benötigen, den einige dieser ungeimpften Demonstrant:innen demnächst belegen werden.


Und hier geht es zum beliebten Bilderrätsel „A watt …“

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