Die NOZ und Deutungshoheiten
Sich über die Leit(d)artikel der NOZ zu erregen, ist eigentlich Zeitvergeudung. Aber sie sind Indikatoren für die Verschiebungen des „Zeitgeistes“, den einige NOZ-Kommentatoren für links-grün (versifft?) halten und gegen den sie im Namen einer „Bürgerlichkeit“ (statt „rechts“) für mehr Meinungsvielfalt werben.
Die sieht nun zum wiederholten Male einer der „Oberleitartikler“, der Herr Clasen, bei den öffentlich-rechtlichen Sendern gefährdet. Belege dafür sind Umfragen, die Klage einer das Zwangsgeld der Gebühren wegen mangelnder Meinungsvielfalt nicht zahlen wollende Bayerin vor dem Bundesverwaltungsgericht, die Entlassung der „bürgerlichen“ Moderatorin Julia Ruhs beim NDR und die Abwanderung junger Leute von ARD und ZDF.
Die öffentlich-rechtlichen Medien waren der Privatwirtschaft, insbesondere dem Verband der Zeitungsverleger aus rein wirtschaftlichen Gründen schon immer ein Dorn im Auge. Eigentlich müsste die „ freie Presse“ und die „freien Medien“ auch in die Hände privater Verleger und Betreiber. Dann würde der Markt, also die Leser als Konsumenten darüber entscheiden, was gut und was schlecht ist. Dass das nicht einmal die halbe Wahrheit ist, sondern hier die Eigentümer letztlich entscheiden, was gedruckt bzw. gesendet wird, kann man gegenwärtig sehr eindrucksvoll in den USA, dem vermeintlichen Musterland der Meinungsfreiheit lernen.
Zum konkreten Fall der „bürgerlichen Moderatorin“, die zum Opfer linker Mediendominanz hochgeschrieben wird, ist erwähnenswert, dass die Nachfolgerin in der NDR-Sendung aus dem Hause Springer kommt und dort u.a. bei der BILD-Zeitung gearbeitet hat. Es ist nicht abzunehmen, dass der Wechsel etwas mit „links“ gegen „rechts“ zu tun hat. Es ist ein bezeichnender Unterschied, dass – auch politisch relevante – Personalangelegenheiten bei Privaten privat bleiben, während die Öffentlichen Medien, auch deren Personalpolitik, zu recht ins Visier öffentlicher Kritik geraten. Bei Privaten ist das eben Privatsache.
Dass Herr Clasen nebenbei auch die Interessen seines Arbeitgebers in der Medienlandschaft verteidigt, ist sein gutes Recht ist. Aber bei seinem flammenden Plädoyer für Vielfalt befällt ihn eine gewisse Betriebsblindheit in eigener Sache. Richtet man den Blick auf die Medienlandschaft, die von Privaten beherrscht wird, also die Printmedien und insbesondere die Tageszeitungen, dann verkünden die Konzentrationsprozesse in diesem Bereich etwas ganz anderes. Die NOZ, die hierzulande im Osnabrücker Raum schon seit über fünfzig Jahren faktisch eine Monopolpresse ist, hat sich weit in den norddeutschen Raum ausgedehnt und dabei andere Gazetten „geschluckt“. Diesen Erfolg verdankt sie nicht ihrem Qualitätsjournalismus, sondern dem erfolgreichen Kampf auf dem Anzeigenmarkt. Dass damit auch Meinungsvielfalt auf der Strecke bleibt, ist für Clasen und Co. kein erwähnenswertes Problem. Interessant ist am Rande, dass die Wettbewerbshüter hier nicht einschreiten.
Dass Clasen die Abwanderung vor allem junger Menschen von ARD und ZDF neben den Zwangsgebühren auch im „Vertrauensverlust“ in die Meinungsvielfalt begründet sieht, führt zu der simplen Frage, warum liest kein jüngerer Mensch mehr eine Tageszeitung? Gelten hier andere Motive als bei der Abwanderung von den Öffentlich-Rechtlichen? Die sieht Clasen dann angesichts der steigenden Beliebtheit von Streaming-Diensten (wie lange das hält, ist dann eine andere Frage) an der Grenze der „Sinnhaftigkeit“. Ein sicherlich zu bedauernder anderer Medienkonsum junger Menschen hat erst einmal nichts mit mangelnder Meinungsvielfalt in öffentlich-rechtlichen Medien zu tun. Im übrigen sitzt hier die NOZ partiell im gleichen Opferboot wie ihre öffentlich-rechtlichen Hassobjekte. Das wäre dann allerdings ein dringend erforderlicher Diskurs über den erneuten Strukturwandel der Öffentlichkeit im digitalen Zeitalter und seine kulturellen und politischen Folgen.
Aber darum geht es weder Clasen noch seinem Chefredakteur Ewert. Ihnen geht es bei der Erweiterung des „Meinungsspektrums“ eigentlich um eine Verrückung von Wertmaßstäben. Exemplarisch führt das in der gleichen Ausgabe der NOZ vom 16. Oktober 2025 Chefredakteur Ewert am Beispiel des „Friedensstifters“ Trump im Gaza-Krieg vor und testet, mit welchen Gründen solch ein Politiker doch den Friedensnobelpreis bekommen könnte. Und dafür braucht man eben andere Wertmaßstäbe als die einer „links-grünen Meinungsherrschaft“, deren Bastion angeblich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und Sender sind.