Sonntag, 3. November 2024

Die AfD muss demokratisch bekämpft werden

Die AfD muss demokratisch bekämpft werden

Wir erlebten in den letzten Wochen in der Summe die wohl größte flächendeckende Demonstrationswelle in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Millionen demonstrieren gegen diejenigen, die sich für das Volk halten und zeigen ihnen, dass sie jedenfalls (noch) nicht die Mehrheit sind. Das allerdings beeindruckt diese Volksvertreter nicht, denn für sie ist das Volk keine Frage der Arithmetik, sondern der Substanz. Zwei Sorten Volk ringen gegeneinander: Demos oder Ethnos, das ist hier die Frage! Gegen die sich bunt nennende Mehrheit steht ein angeblich vom Aussterben bedrohtes Urvolk, dass mit der Androhung von Zwangsaussiedlungen um seine „völkische“ Reinheit kämpft.  

Das ist der Kern der AfD. Und damit muss man die konfrontieren, die der AfD mit ihrer Stimme mehr als zwanzig Prozent Zuspruch signalisieren und in einigen Bundesländern sogar zur politischen Macht verhelfen könnten. Man sollte diese Wählerschaft nicht mit den multiplen Identitäten von Fußballprofis verwechseln, die von einem Verein zum nächsten wandern und jedes Mal nur dafür alles geben. Wahrscheinblich befinden sich die anderen Parteien auf einem Holzweg, wenn sie darin wetteifern, wie man eine vermeintlich irregeführte Menge der AfD wieder abspenstig machen kann.

Das nimmt riskante Züge an, wenn zu der pflichtgemäßen Ablehnung und Distanzierung von deren politischen Unrat sich das Verständnis für die angeblich vernachlässigten Sorgen und Nöte der Bürger gesellen. Jenseits der Schuldzuweisungen, wer für das Entstehen der „berechtigten Sorgen“ verantwortlich ist, lauert die Versuchung, Themen und Probleme zu bespielen, die der rechte Volkszorn mit der Attitüde auftischt, man wolle ja nur endlich mal das sagen, was eigentlich Sache sei. Die flinken Themenbesetzer der alten und neu entstehenden Parteien kapern aber nicht das feindliche Schiff, sie verstärken schon mit partieller Übernahme der Semantik nur dessen Seetauglichkeit. Denn sie haben die „Themen“ gesetzt auf die es offensichtlich ankommt.

Geht es bei dem Lieblings- und Hauptantriebsthema Migration „nur“ um die Nutzung der Sporthalle vor Ort, die zum Flüchtlingslager umfunktioniert wird, was aus Sportlersicht keine Freude bereitet? Hört man genauer hin, sind das populäre Auslöser, die in einer weiter gehenden Form den Weg ins rechte Eck ebnen. Wer seine Sportstätte nutzen möchte, muss deshalb nicht die Flüchtigen als Fremde zum Problem an sich erheben, das zur Gefährdung der Identität des gesamten politischen Gemeinwesens deklariert wird. Das ist aber die Karriere dieses Themas, das die AfD hemmungslos dramatisiert und dafür schon seit langem nicht nur konservativen Beifall einheimst, sondern sich auch in andere politische Lager einnistet.

Dass hier „Brandmauern“ einbrechen und einbrechen werden, ist absehbar. Wahlanalytiker und Sozialforscher dürfen sich bestätigt fühlen, denn dass es in fast allen westlichen Ländern etwa ein Fünftel der Bevölkerung mit autoritären, antidemokratischen, illiberalen und rassistischen Einstellungen gibt, ist seit langem bekannt und ist außer in Deutschland längst offensichtliche Tatsache in Parteiform. Bei den Nachbarn starben nicht nur die christlich-konservativen Volksparteien aus, die sozialdemokratischen gleich mit. In Deutschland dauerte und dauert es etwas länger.

Leider ist es wohl realistischer davon auszugehen, dass es sich bei diesem Fünftel nicht um eine vorübergehend fehlgeleitete Meute handelt, die man mit erfolgreicher Politik wieder zurück ins Boot holen kann, jedenfalls nicht in ein Boot mit alten Inhalten, sondern höchstens um den Preis des Kopierens von Inhalten, die man gestern noch bekämpfte. Und behaftet mit dem Risiko, dass Originale immer besser sind als Kopien und „Konservatismus“ sich eher als Camouflage für eine neue Rechte mit durchaus alten Ideologien entpuppt. Nicht kurzlebige Themenübernahmen, sondern Lösungen für die großen Herausforderungen der Gegenwart und absehbaren Zukunft sind erforderlich.

Aber hier zeigt sich immer deutlicher ein Defizit anderer Art. In einer von Krisen, der Erschütterung von Selbstverständlichkeiten geprägten Situation, ist das dominante Politikangebot eines pragmatischen „Weiter so“ kein Erfolg versprechendes Angebot mehr. Es ist kein Zufall, dass das Wort „Narrativ“ solch eine Karriere erfährt. Ideologien sind passé. Aber Pragmatismus steht für nichts, außer der Verwaltung eines Status quo, der aber dummerweise kriselt und damit unter steigenden Legitimationsdruck steht. Da dünkt es sensibleren Politikern, dass es an einer mehr oder weniger großen „Erzählung“ mangele, wohin die Reise gehen soll. Genauer betrachtet ist dies die Leerstelle, die die Rechte mit ihrem Müll zu füllen bereitsteht.

Aber diese Leere lässt sich von den „etablierten“ Parteien nicht so einfach füllen. Ihr eingeübter Pragmatismus macht sie zwar untereinander koalitionsfähig, aber auch immer weniger unterscheidbar. Zugleich reichen ihre „Gemeinsamkeiten“ für die Lösung wahrhaft großer Probleme nicht einmal aus. Neue Versuchsballons politischer Spezialangebote für immer weiter ausdifferenzierte Gesellschaftsteile, wie Wagenknechts Bündnis oder die „Werteunion“ werden die Leerstellen nicht füllen, sondern angeln in trüben Gewässern des „Protestes“ jeglicher Art. Damit fehlt es an echten zukunftsweisenden Alternativen zu einer Alternative, die keine ist. Wo all das fehlt, greift man zu Dämonisierungen, die Gefahr laufen, ihre historischen Vorbilder zu verharmlosen.

Vor allem fehlt den demokratischen Parteien eine kritische und selbstkritische Bestandaufnahme über den Zustand und die Fehlentwicklungen der westlichen Demokratien.  Wer die Frage nach den Gründen der Krise und der Delegitimierung der liberalen Demokratie gar nicht erst stellt, wird auch keine Lösungen finden. Der Aufstieg der Rechtsparteien ist ein Symptom und verschärft die Krise der liberalen Demokratien, aber er ist nicht die Ursache, sondern vielmehr die Folge von Fehlentwicklungen früherer Jahrzehnte, die einst als große Erfolge gefeiert wurden. Die zum Ziel der Weltgeschichte deklarierte Globalisierung ging einher mit (gewünschten) Souveränitätsverlusten der Staaten und die gingen auch zu Lasten der Demokratie, damit erschien die liberale Demokratie immer mehr als eine gezielte juristische Einhegung zur Entmachtung der Volkssouveränität.

Der Gipfel der Ratlosigkeit der Mehrheitsgesellschaft, dem „unaufhaltsamen“ Aufstieg der AfD zu begegnen, ist die Forderung ihres Verbots. Man müsse mit der Stärke des Rechts gegen die Feinde der Demokratie vorgehen und damit den Rechtsstaat verteidigen. Die Stärke des Rechts, also ein Verbot der AfD wird zur Hauptwaffe, der Rechtsstaat zum Bollwerk und zum letzten Rettungsanker der Demokratie. Richtig ist daran nur, dass im Rahmen des Rechtsstaats die AfD auf ganz legalem Wege mit etwas Geschick mehr umsetzen kann, als die Demokratie verträgt.

Aber die AfD mit einem Verbot zu erledigen, ist allein schon angesichts ihrer Ausbreitung reichlich naiv. Hinzu käme kontraproduktiv der Märtyrereffekt. Ein Verbot wäre kein Zeichen der Stärke des Rechts, sondern Ausdruck der politischen Kapitulation vor einer Herausforderung, die auf demokratischen Weg nur politisch zu führen ist.

Die Demokratie kann zwar den (liberalen) Rechtsstaat verteidigen oder gar retten, aber nicht der Rechtsstaat die Demokratie. Das muss der Souverän schon selber machen. Und deshalb ist mehr direktes politisches Engagement mit Ausdauer und Leidenschaft fürs Ganze (und nicht nur für die eigenen Interessen) mehr denn je erforderlich.

 

 

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