Weidel im TV bei Miosga: eine Lehrstunde
Der Auftritt der „Kanzlerkandidatin“ Alice Weidel von der AfD am Sonntagabend, dem 2. Februar 2025, in der ARD bei „Karen Miosga“ war eine Lehrstunde in Politik. Nicht nur die Chuzpe und Arroganz, mit der sie alle kritischen Fragen abwies und die offene Verachtung gegenüber anderen zeigte einen Menschen, dem wie ein emotionaler Kühlschrank offensichtlich jegliche Empathie abgeht und dessen hasserfüllten Ausfälle einem das Grausen lehren.
„Re-Mi-Gration“ und „Alle Windräder niederreißen“, hatte sie auf dem AfD-Parteitag mit einem angsteinflößenden Gesichtsausdruck geschrien. Auf die Frage, ob sie denn ernsthaft aus der gesamten Windenergie aussteigen wolle, relativierte sie den Satz zur „Symbolik“. Das Ende der Windenergie komme von selbst, wenn diese nicht mehr subventioniert werde, sondern dem Marktwettbewerb überführt werde. Wie unter diesen Bedingungen dann Atomkraftwerke ökonomisch rentabel überleben oder gar wieder hergestellt werden sollen, bleibt ein Rätsel, das Weidel nicht zu lösen bereit ist, weil das alles das Versagen der „Altparteien“ sei, die Deutschland ruiniert und in den wirtschaftlichen Abgrund geritten hätten.
Hilfreich war ihr Auftritt insbesondere in dem Politikfeld, das bislang viel zu wenig beachtet wurde: Die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Letzteres blieb leider auch hier außen vor. Karen Miosga hatte den Schwerpunkt auf die Wirtschaftspolitik gelegt und sich dazu mit Frau Müller vom Verband der Automobilindustrie (CDU-Mitglied und frühere Vertraute von Angela Merkel) und dem unvermeidlichen Robin Alexander als Diskutanten geholt. Was den stellvertretenden Chefredakteur der Tageszeitung Die Welt aus dem Springer Verlag und Talkshow-Dauergast „wirtschaftspolitische Kompetenz“ verleiht, bleibt zwar rätselhaft. Aber immerhin entlockte er Alice Weidel, nicht mehr aus der EU und dem Euro-Verbund austreten zu wollen, weil sich auch das krisenbedingt in Bälde von selbst erledige, denn der Euro werde kollabieren. Somit sei die EU perspektivisch weder ökonomisch noch politisch von großer Relevanz.
Noch aufschlussreicher war eine andere Aussage von Weidel. Sie bezeichnete die AfD als eine liberal-konservative Partei, die eine entschiedene Verfechterin der freien Marktwirtshaft sei. Hier liegt nicht nur ein Punkt, wo eine enorme Schnittmenge zur CDU (die zur FDP ist weniger interessant) erkennbar ist und einen Weg zu einem bislang wenig beleuchteten Kern der AfD weist. Wie verträgt sich ein radikaler Wirtschaftsliberalismus mit autoritären, antidemokratischen politischen Zielen?
Blickt man mit dieser Frage in die Geschichte und Gegenwart, lautet die Antwort: sehr wohl und aktuell höchst erfolgreich. Unter dem Label „libertärer Autoritarismus“ feiert er gegenwärtig seine Erfolge in Argentinien und nun auch noch bedeutungsvoller in den USA in dem Gespann Trump und Musk. Neu ist die Kombination nicht. Die ideologischen Vorläufer reichen in die 1930er Jahre als Antwort auf die damalige Weltwirtschaftskrise zurück. Sie lüften auch das Geheimnis, wie es Weidel, die das ja nicht aus historischer Unwissenheit sagte, fertigbrachte, aus Hitler einen Kommunisten zu machen. Hitler beging laut Weidel zwei Verbrechen, er verstaatlichte Unternehmen (wenn, dann für die Kriegswirtschaft, müsste man hinzufügen) und erhob hohe Steuern.
Entwaffnend ist an dieser Neuordnung der politischen Ideologien ist, wie leicht und schnell man bei Weidel zum Kommunisten wird. Beiläufig verortete sie Sonntagabend den erzliberalen polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk mal eben zum „Linken“. Sie beklagt dagegen, es sei gelungen, Hitler als einen „Rechten“ und „Konservativen“ darzustellen. Wenn man letzteres noch bestreiten kann, so ist umgekehrt unstrittig, dass der deutsche Konservatismus auf Grund seiner Affinität zum Dritten Reich nicht unschuldig und unbeschadet aus dieser Epoche herausgekommen ist. Aber das ist Frau Weidel für ihre Geschichtsklitterung auch völlig egal. Vielleicht ist das ein Grund für den Wunsch, diesen Teil der Geschichte endlich hinter sich zu lassen. Jenseits der AfD herrscht in der politischen Unterscheidbarkeit offensichtlich die Nacht, in der alle Katzen grau sind.
Das Problem ist nur, dass hier im Geschichtsdiskurs insgesamt etwas sehr Wesentliches ausblendet wird. Das Verhältnis des Wirtschaftsliberalismus zu autokratischen, diktatorischen und faschistischen/nationalsozialistischen Regimen ist historisch betrachtet kein Feindliches. Eher im Gegenteil: Maßgebliche Vordenker des Wirtschaftsliberalismus, die immer noch zu den Säulenheiligen der freien Marktwirtschaft zählen, wie beispielsweise Wilhelm Röpke und Friedrich August von Hayek, sahen in der Demokratie eine gefährliche systemwidrige Beeinträchtigung der freien Entfaltung der sich selbst regulierenden Kräfte des Marktes. Um solchen Störgrößen marktwidriger Sozialansprüche einen Riegel vorzuschieben, nahm man eine Begrenzung und sogar eine Aussetzung der Demokratie billigend in Kauf. So von Hayek beispielhaft im Falle der chilenischen Militärdiktatur unter Pinochet. Röpke war da schon längst verstorben. Wir werden auf diese immer wichtiger werdende Problematik des Verhältnisses von Wirtschaftsliberalismus zum Nationalsozialismus und zu autoritären Regimen in einem eigenen Beitrag noch genauer eingehen.
Die AfD schwankt programmatisch immer noch (und manche meinen immer mehr) zwischen einem „libertären Autoritarismus“, dessen Kern ein radikaler Wirtschaftsliberalismus ist und einem „völkischen“ Flügel, der die Wirtschaftspolitik und insbesondere auch die Sozialpolitik nationalen Integrationsimperativen unterordnet. Höcke ist primär kein Wirtschaftsliberaler. Das ist einer der Gründe, warum wesentliche Elemente der Sozialpolitik programmatisch immer noch nicht geklärt sind.
Ein weiteres kritisches Einfallstor wird für die AfD ihre außenpolitische Positionierung. Dabei sind die weltpolitischen Rahmenbedingungen für sie optimal. Nicht nur Putin und Xi Ping legen die Axt an die bisherige „liberale Weltordnung“, sondern auch unsere westliche Führungsmacht räumt unter Trump in atemberaubender Geschwindigkeit Amerikas Rolle als Hüter dieser Ordnung endgültig ab und sprengt mit seinen imperialen Ansprüchen auf Gebietsrevisionen, Vertreibungen etc. sämtliche Prinzipien des bislang geltenden Völkerrechts und internationaler Spielregeln.
Aber was als absolut gesetztes nationales Interesse für die USA gilt, das gilt dann auch für alle anderen. Wobei es im Falle Deutschlands neue Freiheiten, aber auch Probleme gibt. Wie kann eine Mittelmacht wie Deutschland in verschärften Konkurrenzkämpfen welche nationalen Interessen durchsetzen, ohne dabei auf Europa als hilfreichen Partner setzen zu können. An welche Seite der „Großmächte“ lehnt die AfD sich an? Trump oder Putin? Beide oder dazwischen? Da die EU als machtpolitische Option für die AfD entfällt, steht das „neue“ Deutschland ziemlich allein da und die spannende Frage wird sein, zu welche der Antipoden wird sich die neudeutsche Rechte begeben? Welche Ideen wird sie uns als „nationales Interesse“ noch servieren angesichts der munteren Infragestellung von Grenzen und Staatlichkeiten durch den amerikanischen Präsidenten, die sich auch als Einladung zu einem großen „Revisionismus“ interpretieren lassen. Spekulativ gefragt: Wann schaltet sich die AfD mit der Forderung nach einer Revision der deutschen Ostgrenzen in diesen Prozess ein? Was mit Gaza möglich ist, warum sollte das nicht auch woanders gehen? Frage wäre allerdings, mit wem gegen wen?
Hoffentlich ist diese Spekulation weit überzogen. Aber wir leben in einer Welt, wo gerade ziemlich viel von dem auf dem Prüfstand steht, was gestern noch als unverrückbar erschien. Und eine verschärfte innenpolitische Krise ist als Folge einer nicht auszuschließenden tiefgreifenderen Wirtschaftskrise mit weitreichenden Veränderungen der politischen Kräfteverhältnisse kein abstraktes, theoretisches Gedankenspiel mehr. Man muss, um auf der Höhe der Zeit zu sein, wahrscheinlich mittlerweile auch Undenkbares denken. Die anstehende Bundestagswahl ist insofern ein Testfall dafür, wieweit die Einbrüche in die „Front der Demokraten“ (wo sich noch zeigen wird, wer dazu gehören wird) reichen.