Was folgt aus Trumps Wiederwahl für die deutsche und europäische Außenpolitik?
Dass die Welt im Umbruch ist, ökonomisch wie politisch ist mittlerweile common sense. Aber wohin die Reise geht und wer mit wem für was streitet, ist noch unklar. Die Einteilung der Konfliktgegner, der Allianzen und, um es auf den belasteten Begriff zu bringen, wer Freund und Feind bleibt oder wird, ist im Fluss.
Der Kalte Krieg hatte seine in jeder Hinsicht klare, übersichtliche stabile Weltordnung. Ideologisch stand die freie Welt des Westens für die Demokratie und individuelle Menschenrechte gegen die Welt des kommunistischen Totalitarismus. Dass der Antikommunismus dabei das entscheidende Kriterium war, erkennt man daran, dass auf der Seite der Freiheit auch eine stattliche Ansammlung mehr oder weniger grausamer Diktaturen, meistens Militärdiktaturen, auftauchten. Machtmäßig war die Welt in zwei Blöcke mit jeweils einer führenden atomaren Supermacht geteilt.
Diese machtpolitische wie ideologische Teilung der Welt zerfiel mit dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums. Getragen von der ökonomischen Globalisierung nach westlichen Standards, glaubte man sich danach auf dem endgültigen Weg zu „Einer Welt“. Die „liberale Demokratie“, die nun dominante politische Wortschöpfung, sollte im Verbund mit dem endgültigen Sieg des Kapitalismus als Wirtschaftsordnung das Ende der ewigen Suche nach der besten aller möglichen Sozialordnungen einläuten.
Wie wir heute wissen, war das eine gigantische Illusion. Die Globalisierung gilt mittlerweile als gescheitert, der Kapitalismus entdeckt die Nation wieder und zwar ausgerechnet in seiner immer noch mächtigsten Heimstätte, in den USA, die einst die Globalisierung befeuerten. Die Einheit der Welt löst sich in neue Machtblöcke auf und teilt sich politisch-ideologisch in eine Quasi-Renaissance des Ost-West-Konfliktes, der sich militärisch allerdings auch in die Richtung zu heißen Kriegen bewegt.
Vor allem die ideologische Formierung änderte sich. Der einen Seite der „liberalen Demokratien“ und deren Verteidigung der „regelbasierten Weltordnung des Rechts“ steht eine Phalanx revisionistischer „autokratischer Mächte“ mit einem ökonomisch aufstrebendem China und einer Atomsupermacht Russland an der Spitze gegenüber, die eine in Einflusszonen geteilte Welt von Großmächten anstreben. Dieses neue Weltnarrativ des Westens war das Ergebnis einer unerwarteten Einigkeit in der kriselnden Nato durch den Ukrainekrieg. Putins Überfall auf die Ukraine hatte das Bündnis aus seiner Sinnkrise befreit und eine neue Daseinsberechtigung verliehen. Die Wiedergeburt „des Westens“ basierte allerdings auf einer folgenschweren Annahme: Trumps Präsidentschaft im Musterland der neuzeitlichen Demokratie war ein historischer Betriebsunfall, der unter Biden zurückgenommen wurde. Die im letzten Wahlergebnis eindrucksvolle Wiederholung dieses Betriebsunfalls ändert die Grundlagen fundamental.
Die neuen Konfliktlinien der internationalen Politik
Der wiedergewählte Rechtsausleger, von seinen sonstigen justiziablen Taten sehen wir hier ab, der selbst für einen weniger emphatischen Begriff der „liberalen Demokratie“ eine Beleidigung darstellt und dessen Vorstellung einer internationalen Ordnung unter dem Label „America first“ mit dem, was normativ bislang unter dem Westen firmiert, nichts mehr gemeinsam hat, stellt das gesamte bisherige faktische und ideologische Weltordnungsgefüge in Frage.
Wie müssen sich Europa und Deutschland nun in dem großen Kampf der „liberalen Demokratien gegen die Autokraten der Welt“ einordnen? Ist China global der ideologische Hauptfeind, der uns mit seinen Menschenrechtsverletzungen an die Seite und unter die Führung der Trump-USA zwingt? Oder müssen wir mit einer auf den südpazifischen Raum ausgedehnten Nato gegen Xis Weltmachtambitionen und einen rein ökonomisch nicht besiegbaren Konkurrenten antreten und unseren Militärhaushalt dafür zusätzlich erhöhen? Da es an dieser Front wohl kaum um die Rettung bzw. Durchsetzung westlicher „Werte“ geht, stellt sich vielmehr die Frage, welche Interessen hat Deutschland bzw. Europa in diesem Spiel? Mit dem Verweis auf die westliche Wertegemeinschaft lässt sich das nicht mehr beantworten.
Dies umso mehr, weil die „westliche Wertegemeinschaft“ nicht nur äußere Feinde hat, sondern diese in ihr selbst Platz ergreifen. Die so genannten Autokratien vermehren ihren Einfluss in der EU wie in der Nato. Ungarn, Italien und einige kleinere Länder sowie bald auch Österreich sind die stärksten „fellow traveller“ der anderen Seite und sie werden erweitert durch von Rechtsparteien bedrohte Demokratien in Europas Westen, denn die Rechtsentwicklung ist primär kein Ostproblem in der EU. Vorteilhaft ist lediglich, dass die Rechten in Europa noch keine einheitliche Ausrichtung gefunden haben, wie sie auf die veränderte Weltlage reagieren sollen. Fest steht nur, der äußere Gegner sitzt verstärkt im Innern. Warum das so ist, darüber wird unter Demokraten mehr oder weniger rat- und hilflos räsoniert.
Dabei wächst die Gefahr dramatisch. Trump demonstriert im Verbund mit seinem Sonderbeauftragten Elon Musk schon vor seinem Amtsantritt, was er (nicht nur) mit Europa vorhat. Der amerikanische Marsch in die „illiberale autoritäre Demokratie“ (oder wie auch immer das angestrebte Gebilde zu nennen ist) ist weltweites Vorbild für eine neue Ordnung eines Kapitalismus ohne (zu viel) Demokratie und mit einer imperialen Außenpolitik, die nicht mehr einem „allgemeinem Weltinteresse“ verpflichtet ist, sondern allein amerikanischen Wirtschaftsinteressen.
Wer darin nicht die Zukunft Europas sieht, muss sich nicht nur die Frage beantworten: Wie schützen wir uns weiterhin vor Putin, sondern wie schützen wir uns auch vor unserem mächtigsten Verbündeten? Braucht Europa Trumps militärische Hilfe gegen Russland? Etliche Szenarien gehen in eine Richtung, dass Putins umfangreiches Aufrüstungsprogramm auf eine militärische Konfrontationsfähigkeit gegen die Nato in Europa ausgerichtet ist.
Aber was sind Putins langfristigen politischen Ziele, die das erfordern? Wie kann Europa sich dagegen eigenständig zur Wehr setzen, ohne seine Ökonomien zu ruinieren? Sind die Europäer letztlich aus militärischer Schwäche auch um einen hohen politischen Preis auf Trumps Amerika als ultimative Schutzmacht so angewiesen, dass sie ihm woanders Gefolgschaft leisten müssen? Ist der Preis dieser Unterstützung die Ausdehnung der Nato auf den südpazifischen Raum? Und noch einmal: Da es hier nicht um Werte geht, ist die entscheidende Frage, welche vitalen Interessen Europas tangiert China eigentlich?
Die Frage ist aber auch, wie sieht Trumps Amerika Putins Russland? Wird das mit konzentriertem amerikanischem Blick auf China zu einem Nebengleis, das man den Europäern „arbeitsteilig“ als „Regionalkonflikt“ überlässt? Das scheint zwar die wahrscheinlichste Lösung zu werden, aber kann Europa aus eigener Kraft Russland dauerhaft militärisch Paroli bieten? Das betrifft nicht nur den schon erwähnten ökonomischen Preis der Aufrüstung, sondern auch das viel bedeutendere Politikum der Uneinigkeit in der EU, speziell in dieser Frage.
Auf Europa und Deutschland kommen also sehr turbulente, konfliktreiche Zeiten zu, und wegweisende Entscheidungen stehen an, die den schon besetzten Begriff der „Zeitenwende“ überbieten werden. Es ist interessant, dass in dem laufenden Wahlkampf mehr über Migrationsfragen als über die unmittelbar vor der zeitlichen Haustür stehenden politischen Herausforderungen der wiederholten Präsidentschaft Trumps, die das gesamte bisherigen politische Koordinatensystem in Frage stellt, debattiert wird. Als Scholz im Namen Europas Trumps unverschämten Grönland-Drohungen mit dem Verweis auf Putins Überfall auf die Ukraine zurückwies, blitzte wenigstens mal ein Funken Problembewusstseins auf.
Aber welche politischen, strategischen Antworten haben wir, die Parteien, die EU auf die veränderte Weltkonstellation? Ein wie auch immer geartetes „Weiter so“ wird es nicht geben. Wenn oben dazu beredtes Schweigen herrscht, sollten wir von unten die erforderlichen Debatten aufnehmen, damit wir gegen Verführungen gewappnet sind. Erspart werden sie uns ohnehin nicht.