Warum eigentlich nicht Kriegspartei werden?

Ein paar Fragen zur Ukrainepolitik nicht nur der „Grünen“

Als Außenministerin Baerbock der Satz entfleuchte, „wir“ befänden uns im „Krieg mit Russland“, musste die semantische Sprachfeuerwehr nicht unerhebliche Löscharbeiten verrichten. Aber vielleicht war der Versprecher ein Versprechen. Keine Partei, nicht einmal die CDU, bei der FDP muss man Frau Strack-Zimmermann nicht als Teil fürs Ganz nehmen, identifizieren sich mit der ukrainischen Sache und ihrem Kriegsziel so sehr wie die Grünen. Die Parole „Die Ukraine muss siegen!“ findet in den Grünen ihren Bannerträger.

Die Kriegsziele, die die Ukraine formuliert, Abzug aller russischen Truppen aus der Ukraine, und das heißt aus allen okkupierten Gebieten, also der Ukraine vor der Krimannexion, haben alles Recht auf ihrer Seite. Nun ist es aber leider so, dass Recht haben und Recht bekommen nicht das gleiche sind. Im zwischenstaatlichen Verkehr ist das schlimmstenfalls eine Frage von Krieg und Frieden. Damit wird daraus, vorausgesetzt man wird nicht zum Michael Kohlhaas der internationalen Politik, eine Frage der Verhältnismäßigkeit der Mittel, also eine sehr schwierige Güterabwägung.

Vor dieser Herausforderung befindet sich die westliche Unterstützergemeinschaft insgesamt und die Frage, wie man dem Recht zum Durchbruch verhilft, wird angesichts der Lage auf dem Schlachtfeld, wo über das „Gottesurteil“ des Rechts derzeit entschieden wird, immer drängender. Das Gute daran ist, dass die Ukraine bislang nicht untergegangen ist, das Schlechte daran ist, dass gemessene an ihren proklamierten Zielen die Sache – vorsichtig formuliert – noch offen ist.

Militärisch droht ein langfristiger Zermürbungs- oder Erschöpfungskrieg. Würde man der Ukraine sofort die Waffenlieferungen entziehen und sie an den Verhandlungstisch zwingen, wie das dem von Wagenknechte und Schwarzer initiierten „Manifest für den Frieden“ unterstellt wird, wäre das eine Niederlage für die Ukraine. Aber die Kritiker haben außer Glaube und Hoffnung, also immer mehr und „schwerere“ Waffen brächten eine Wende zum Besseren, d.h. lediglich eine bessere Verhandlungsposition für die Ukraine, auch nichts im Gepäck.

Momentan sind wir Zuschauer eines Mikado-Spiels, wer sich zuerst bewegt und um Verhandlungen „bittet“ ist Verlierer und zu solchen „auffordert“ Gewinner. Einvernehmliche Lösungen zu finden, wird, je länger der Krieg dauert und je intensiver er mit Verlusten geführt wird, angesichts der erfolgten Investitionen täglich schwieriger, weil bei steigenden Kosten auch die Erfolge bzw. Gewinne größer sein müssen. Das ist die bittere Lehre aus dem Ersten Weltkrieg. Dabei wird es nicht um „Friedensverhandlungen“, sondern maximal um „Waffenstillstandsverhandlungen“ gehen, die dann bestenfalls ein dauerhaftes Einfrieren des Konfliktes erbringen.

Wer einen langwierigen Erschöpfungskrieg mit unabsehbaren Verlusten an Menschenleben und gigantischen materiellen Kosten entgehen will, der muss – wie Herfried Münkler es im neuesten SPIEGEL 9/23 für den Westen kategorisch formuliert hat – „politische Risiken“ eingehen. Die Schlussfolgerung daraus bleibt offen, aber aus der Sicht der Grünen und ihres medialen Umfeldes bietet sich eine sehr naheliegende, geradezu zwingende Konsequenz ihrer Verlautbarungen an. Der militärisch entscheidende Input des Westens wäre die Überwindung des Mantras von der Nicht-Kriegspartei. Warum eigentlich wird der Westen nicht offen Kriegspartei, da man sich doch sowieso – siehe Baerbocks Patzer – im Krieg mit Russland befindet? Und denkt man all die in der Parole vom Sieg der Ukraine implizierten Ziele gegenüber Russland mit, dann wird davon ohne eine militärische Niederlage des Kremls auf Dauer nichts Realität. Im Kern geht es schon um das, was der US-Verteidigungsminister noch etwas wolkig umschrieb, als er das Kriegsziel formulierte, so etwas dürfe Russland nie wieder machen können.

Was von führenden Grünen in letzter Zeit häufiger zur Entwarnung betont wird, erleichtert diesen Schritt erheblich. Die Angst vor einer Eskalation zum Atomkrieg entspringe den Narrativen Putins, ihm allein nützte sie auch und überhaupt sei Angst prinzipiell ein schlechter Ratgeber und im speziellen Falle nicht angebracht, weil – und hier wird es dann manchmal seltsam – Putin dann so irrational doch nicht sei.

Diese in sich brüchige und problematische Argumentationskette kann man sich jetzt dank der Chinesen ersparen. Was immer man an finsteren Absichten in das 12 Punkte umfassende „Friedenspapier“ der Führung Chinas hineinliest, herauslesen lassen sich zwei deutliche Botschaften an Chinas engsten Verbündeten, Putins Russland. Keine Angriffe auf Atomkraftwerke und kein Einsatz von Atomwaffen bzw. Drohung damit. Diesen unkalkulierbaren Kollateralschäden möchte sich das neureiche China nicht ausgesetzt sehen.

Damit würde der zentrale Grund, das Risiko einer nuklearen Eskalation, für das Dogma „Nicht-Kriegspartei-werden“ entfallen. Was also hindert uns noch diesen letzten, entscheidenden Schritt zu wagen? Die Macht kommt erzwungenermaßen momentan leider aus den Gewehrläufen, das haben einige Altmaoisten, die sich hier besonders hervortun, offensichtlich nicht vergessen und wenn wir dann dieses ekelige autokratische Regime Putins hinter uns haben, dann kommen die Chinesen dran. Ist das auf Stammtischniveau das grüne Weltbild?

Man könnte es auch als Zynismus bezeichnen, die Ukraine zum Fronstaat der westlichen Welt zu erheben, der Freiheit, der Demokratie und all der Attribute, die man noch aus den Ideologieabteilungen zur Zeit des Kalten Krieges kennt, mit Waffen zu beliefern und dann für „uns“ kämpfen zu lassen, weil unsere unmittelbare Teilnahme den Weltuntergang implizieren könnte. Sie verteidigen ihre und damit auch unsere Werte (was wir hier mal unkommentiert durchgehen lassen), dann sieht das zwar auch nach einem „Stellvertreterkrieg“ aus, aber wenn in der Ukraine unsere Freiheit vor unserer Haustür, noch außerhalb unseres Territoriums verteidigt wird, weil – wie uns kundige Experten versichern – wir bei einem Sieg Putins als nächster Gang auf seiner Speisekarte stünden, dann wäre es doch wohl an der Zeit, nun Flagge zu zeigen.

Also, wenn das so ist, dann hilft doch eigentlich nur noch eines oder wie man früher sagte: Sattelt die Hühner, die Russen kommen! Die ernsthafte Frage, ob diese Forderung nicht auf uns zukommt, stellt sich allein deshalb, weil sie die Konsequenz bestimmter Annahmen, Forderungen und Ziele ist. Diesen Verweis auf Konsequenzen werden die Vertreter und Vertreterinnen einer „harten“ Linie wahrscheinlich als eine moralische Erpressung empört zurückweisen. Heißt helfen auch Bereitschaft zum Sterben? Das ist hier die Frage.

Wir haben eine Berufsarmee, keine Wehrpflichtigen werden in den Krieg einrücken. Das familiäre Risiko der unmittelbaren Betroffenheit ist kalkulierbar. Aber dennoch ist es wohl realistisch, dass sich zwischen konsequenter Kriegsrisikobereitschaft bestimmter Kreise auch in der sich liberal dünkenden Medienwelt und der Bevölkerung in Deutschland dann doch ein paar Welten auftun. Andererseits ist es aber auch legitim, diejenigen, die gegenwärtig mit markigen Worten für mutige Entschiedenheit plädieren, mal zu fragen, ob sie auch bereit wären, die Konsequenzen ihrer Verlautbarungen zu tragen. Eine noch so berechtigte moralische Empörung ist und darf kein Ersatz für verantwortungsbewusste Politik sein, wenn sie nicht in der Erkenntnis enden soll: Der Wahn ist kurz, die Reu‘ ist lang!

Letztlich kranken all diese Debatten daran, dass sie Antworten auf das unmittelbare Geschehen sein mögen, aber für den eigentlichen Kern des Krieges wenig bringen. Wenn es zu dem dauerhaften Patt auf dem Schlachtfeld kommt wie allgemein prognostiziert wird, dann ist das im Lichte der jüngsten Erfahrungen für die USA kein dauerhaft erträglicher Zustand. Wir wurden Zeugen starker Einstiege und kläglicher Ausstiege. Wenn die moralisch aufgeladene Anfangseuphorie, man nehme den Irakkrieg und Afghanistan als Demonstrationsobjekte, nicht schnell messbare Erfolge bringt, die Mühen der Ebene sogar in ein Tal der Tränen münden, dann ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten auch schnell am Ende. Unentschieden ist Niederlage, wo es nur Gewinner oder Verlierer gibt.

Es wird also nach mehr oder weniger bekannten Muster verlaufen. Die USA liefern die Waffen, die Europäer die Putztruppen, um die Schäden zu beseitigen. Bodentruppen wird Amerika in die Ukraine nicht schicken. Man wird Material liefern, das auch bezahlt werden muss und die unmittelbare Verantwortung wird irgendwann an die zuständige geopolitische Umgebung, an Europa delegiert. Aber Europa gibt es nicht, jedenfalls nicht dafür. Das erklärt den Ruf nach Führung, der entgegen der Vergangenheitserfahrungen ausgerechnet an Deutschland ergeht. Ein Zeichen besonderer Liebe und Zuneigung sollten wir darin nicht vermuten. Ein Blick in die wichtigen Statistiken, genauer das Bruttosozialprodukt gibt mehr Aufschluss über Führungswünsche.

Die Ukraine ist gemessen an der angepeilten Auseinandersetzung mit China für die USA ein Nebenkriegsschauplatz, nützlich als dauerhafte Schwächung und ablenkende Beschäftigung für Russland, dem strategischen Partner Chinas. Wichtiger wird für die USA, dass die Europäer vermittelt über die Nato weltweit an der Seite der USA im Kampf gegen China stehen. Da ist die offenkundige sicherheitspolitische Abhängigkeit von der USA mehr als hilfreich. Das wird sich schon zeigen, wenn es um den Aufbau von Wirtschaftssanktionen gegen das Reich der Mitte geht.

Der Ukrainekrieg ist zwar die dringendste und naheliegendste Herausforderung, aber auch Teil eines größeren „Spiels“ um die Neuordnung der Welt. Ob Europas und Amerikas Interessen da die gleichen sind, wird durch die momentane situationsbedingte Eintracht eher verdeckt als beantwortet. Es wird Zeit, dass über die richtige Antwort auf diese Frage intensiver diskutiert wird.

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