Wortmann wortwörtlich: Landtagswahl in Sachsen-Anhalt ein Triumph der Mitte?

Keine Experimente …

Die gestrige Landtagswahl in Sachsen-Anhalt war der letzte echte Stimmungstest vor der Bundestagswahl. Nun folgen nur noch Umfragen. Er brachte mit dem klaren Sieg der CDU, der sicherlich viel mit der Person Reiner Haseloff zu tun hat, eine Überraschung, aber sonst nichts Neues. Er bestätigte, was sich seit längerer Zeit abzeichnet: Es gibt keine Wechselstimmung, sondern Sehnsucht nach Vertrautem, Beständigem und keinen Veränderungen, gewählt werden vor allem Personen, die diese Eigenschaften – schon im Amt – verkörpern.

Das zeichnete sich bereits bei den letzten Landtagswahlen zuvor ab. In Sachsen-Anhalt gelang einem ganz und gar nicht auffälligen Politiker ein grandioser Coup. Bei einem prognostizierten Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und AfD schaffte er es, einem eher inhaltsarmen und müden Wahlkampf auf der Zielgeraden Sachzwang einzuflößen und große Wählerressourcen aus allen anderen demokratischen Parteien für sich zu mobilisieren, um die Schmach abzuwenden, dass die AfD zur stärksten Kraft in Sachsen-Anhalt wird. Damit ersparte er seiner eigenen Partei auf Landes- wie Bundesebene eine gefürchtete Zerreißprobe über den Umgang mit der AfD. Kurios daran ist, dass Haseloff in einem Landesverband, in dem es starke Sympathien für eine Kooperation mit der AfD gab – und gibt – zur personifizierten „Brandmauer“ gegenüber der AfD aufsteigen konnte. Hilfreich war dabei, man erinnert sich gerade noch, dass er seinen designierten Nachfolger Stallknecht wegen dessen Liebäugeleien mit der AfD aus der Regierung warf. Die Zuspitzung Haseloff oder AfD ermöglichte ihm einen triumphalen Sieg mit einem unerwarteten Stimmungszuwachs von sieben Prozent, der allen anderen Parteien nicht gut bekommen ist, denn sie mussten außer der FDP Federn lassen oder Erwartungen begraben wie die Grünen.

Haseloff verfügt nicht nur über mehrere Koalitionsmöglichkeiten, beendet für die Union lästige Abgrenzungsdebatten und trotz des stark an seine Person gebundenen Erfolgs verpasst er dem ihm ähnlichen Laschet einen vielleicht wegweisenden Schub für den Bundestagswahlkampf. Die CDU kann wieder gewinnen, die Mitte ist stabil und wenn die innere Einheit nach außen gesichert ist, werden Programme zweitrangig. Die Union steht geeint da für den nächsten Zug ins Kanzleramt, wie wir siegen ist unwichtig, nur dass wir siegen zählt. Das fehlende Programm wird durch Diskreditierung des Gegners ersetzt. Da die SPD das mangels Masse nicht mehr ist, wird die „Rote-Socken-Kampagne“ und das Schreckgespenst Rot-rot-grün durch die Grünen als Wohlstands- und Freiheitsgefährder ersetzt. Mit eigenen Programmen hat die CDU noch nie Wahlen gewonnen.

Da die CDU in Sachsen-Anhalt ohne Übertreibung als sehr konservativ eingestuft  werden kann, hat sie eine AfD in Schach gehalten, die so weit im rechtsradikalen Flügel-Lager steht, dass sie vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Sachsen-Anhalt  ist nun ein Bundesland, das mit sechzig Prozent konservativ bis extrem konservativ gewählt hat. Gleichwohl lehrt die Wahl auch, dass die AfD zwar leicht gerupft, aber nicht in die politische Bedeutungslosigkeit dezimiert wurde. Sie erfährt die Grenzen ihres Wachstums und wird sich ihren internen Flügelkämpfen widmen, aber sie stabilisiert sich auf hohem Niveau und blockiert Mehrheitsbildungen jenseits der Union.

Mit Ausnahme der FDP, die nun wieder in den Landtag zurückkehrt, aber auch keinen dem Bundestrend vergleichbaren Höhenflug erlebt, sind alle anderen Parteien die großen Verlierer. Die „Linke“ hat ihren Status als einstige Volkspartei des Ostens vollends verloren, ein Drittel ist ihnen gegenüber der Wahl 2016 und die Hälfte seit 2011 abhandengekommen. Linke wie Grüne sind offensichtlich Großstadtparteien, die hier in einer extrem ländlich dominierten Struktur keine Chance haben. Dreiviertel der Bevölkerung lebt infrastrukturell abgehängt auf dem Lande, in einem Bundesland mit der höchsten Abwanderung von  einem Viertel gegenüber 1990 und einer dementsprechenden Altersstruktur.

Von diesen demografischen und sozialstrukturellen Besonderheiten abgesehen, die einfache Übertragungen auf den Bund verbieten, zeigt das Ergebnis aber für die Grünen auch deren entscheidende strategische Schwachstellen, die eine Bremse ihrer Höhenflüge sind. Sie sind eine urbane Milieupartei und eignen sich damit zugleich als optimales Abschreckungsmittel. Die Grünen polarisieren durch ihre Inhalte und liegen schon damit quer zu dem offenkundigen Harmoniebedürfnis einer Mehrheit. Umfragen in Sachsen-Anhalt zeigen, dass der größte Teil des Wahlvolkes die Grünen nicht einmal mehr in einer Koalitionsregierung sehen möchte.

Auf Bundesebene wird das bei Union und FDP den Kampf gegen die grüne „Doppelmoral“ und „Verbotspartei“ kräftig beflügeln. Hier blüht das optimale Ablenkungsmanöver für eigene programmatische Leere, denn wie der Klimawandel nach dem Urteil des BverfG nun generationengerecht erreicht werden soll, wird bei ihnen außer durch „Anreize“ und „technologische Innovation“ tunlichst verschwiegen. Die Grünen werden für ihre Ehrlichkeit bestraft, denn sie sind die einzige Partei, die offen sagt, dass man die notwendigen Ziele ohne Eingriffe in unsere Lebensweise und ohne Verhaltensänderungen nicht  erreichen kann. Aber genau an dieser Stelle, ob es um Inlandsflüge, Benzinpreise oder Verkehrswende geht, endet das ökologische Gewissen der nun wieder triumphierenden saturierten Mitte.

Am schlimmsten erwischt hat es die SPD, der zwar gute Regierungsarbeit in Magdeburg bescheinigt wird, aber nachdem sie vor fünf Jahren (der „Flüchtlingskrisenwahl“) schon die Hälfte ihrer Stimmen verlor, steigt sie nun in die Zone der Einstelligkeit ab. Sie ist in dem zugespitzten Wahlkampf schlicht untergegangen und bestätigt den Bundestrend,  dass ihre erfolgreiche Sacharbeit keine Wählerstimmen einbringt. Ob das nur am Kanzlerkandidaten liegt, bleibt vorerst ein Geheimnis.

Dennoch fällt der SPD möglicherweise eine Schlüsselstellung zu, wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen. Sie ist zwar nicht die Gestalterin, die sich ihre Koalitionspartner aussucht, sondern mutiert zum kleinen Zünglein an der Waage. Zwar fällt Haseloff die Entscheidung zu, welche Koalition er wählt, aber da es mehrere Optionen gibt, liegt es auch an der SPD, ob sie – im gewünschten Tausch der Konservativen von Grün auf FDP – ein Signal für die Bundestagswahl sendet. Da eine Einstimmenmehrheitskoaliton aus CDU und SPD in Sachsen-Anhalt als wenig wahrscheinlich anzusehen ist, liegt es bei der SPD, ob sie in einer „Deutschland-Koalition“ mit Union und FDP als soziales Feigenblatt verenden will oder mit den Grünen wenigstens noch an einem Projekt gebremsten Fortschritts mitwerkeln möchte.

 

 

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