Freitag, 26. April 2024

Wortmann wortwörtlich: Von der schönsten Nebensache zum Geschäftsmodell

Prof. Dr. Rolf Wortmann
Eine politische Ökonomie des Fußballs

Gleich zu Beginn des 20. April 2021 – kurz nach Mitternacht – wurde die Öffentlichkeit darüber informiert, dass zwölf europäische Fußballclubs der gehobenen Kategorie aus England, Spanien und Italien eine „Super League“ gründen wollen, um die ohnehin schon berstende Geldmaschine Profifußball auf eine neue Stufe zu bringen. Wie? Was ist neu daran? Hängt nicht schon längst diese einst herrlichste Nebensache der Welt nur noch am Geldhahn? Zeigt nicht vor Ort „unser VfL“ anschaulich, wie sehr alles vom Gelde abhängt? Der VfL hat keine Sponsoren, die es ihm ermöglichen, Spieler einzukaufen, die ihm Zweitligatauglichkeit verleihen. Man muss auf dem Spielermarkt bei knapper Kasse einkaufen, was übrigbleibt und auf verborgene Talente spekulieren.

Dieser Spielermarkt trägt zwar durchaus Züge eines modernen Sklavenmarktes, aber der Respekt gegenüber den historischen Vorbildern im alten Rom, den Gladiatoren, verlangt es zu erwähnen, dass sie nicht mehr mit dem Einsatz ihres Leben kämpfen müssen. Wenn man nur die Profis im Lichte sieht, dann leben sie je nach Marktwert nicht nur in goldenen Ketten, sondern stellen mit ihren schwindelerregenden Einkommen auch das Leistungsprinzip in Frage, weil hier nur noch der Marktwert über die „gerechte“ Entlohnung entscheidet. Für die im Dunkeln kann solch ein Lebensabschnitt als Profifußballer in der  Lebensbilanz auch weniger glänzend ausfallen.

Nun regt sich über diesen Coup der Super League, die dann die bisherige Champions-League um einen exklusiv gesetzten Club fester Mitgliede ablösen oder ergänzen soll, helle Empörung, die in ihrer Heuchelei selbst wieder empörend ist. Selbst wenn das Projekt schon vor dem Start scheitert, ist es aufschlussreich. Was die einen damit auf die vorläufig absolute Spitze treiben, haben die Empörer von der UEFA – und die benachbarte FIFA bitte nicht vergessen – selber in mehr oder weniger kleinen Schritten selber systematisch in die Wege geleitet: die totale Kommerzialisierung des Fußballs letztlich über die TV-Rechte. Diese Tendenz gilt zwar für den Sport insgesamt, aber in Europa hat sie wegen seiner Beliebtheit als Massensport den Fußball in den letzten Jahrzehnten in einer Weise erfasst, die nur vergleichbar ist mit den Vorbildern in den USA,  wo – kulturell bedingt – andere Sportarten Vorbilder sind, die „Big Money“ seit langem euphorisieren. Insofern ist es vielleicht kein Zufall, dass die neue „Super League“ von der amerikanischen Großbank JPMorgan getragen werden soll.

Vom Sponsoring zum Geschäftsmodell

Man könnte also zu dem Schluss kommen, hier wird der Wahnsinn nur weiter und vielleicht auf eine vorläufige Spitze getrieben. Das nach Profit lechzende Geld bedient aber letztlich ein zahlungsbereites Massenpublikum, das diesen Zirkus überhaupt erst ermöglicht, damit weltweite TV-Übertragungen (aber zu welcher Tages- und Nachtzeit?) den erwarteten Profit abwerfen. Die empörten Opfer der Kulturverfalls sind zugleich auch die Mittäter. Die Macht des schon Gewohnten, dass nicht nur Fußballer wie Werbeträger auf zwei Beinen durch die Gegend laufen, könnte den Blick dafür verstellen, was sich hier als Neues abspielt. Dass Fußballvereine finanzkräftige Sponsoren brauchen, die das aus Marketinggründen oder auch anderen Vorteilen betreiben, ist seit langem Usus. Dass aus Vereinen Kapitalgesellschaften ausgegliedert werden für die Abwicklung der Kommerzialisierung ist auch längst vollzogen, dass diese auch die Form einer Aktiengesellschaft, also eines Unternehmens annehmen, auch das ist nicht neu. Neuer ist dagegen eher, was man mit Blick auf die zwölf Superclubs sehen kann, dass Unternehmer sich Clubs kaufen und wie ein Unternehmen betreiben. Vom Sponsoring zum Geschäftsmodell lautet die Entwicklung. Sport, vor allem natürlich Massensportarten, wird zu einem zunehmend interessanten Investitionsfeld für nach Rentabilität suchendem Kapital.

Die ökonomischen Triebfedern der Kommerzialisierung

Und diese Entwicklung folgt einer globalen ökonomischen Triebfeder. Die globalisierte Ökonomie hat keinesfalls dazu geführt, dass wir alle in einem Boot sitzen und in diesem gemeinsam steigen, wenn sich das tragende Wasser hebt. Die Wohlstandseffekte sind weltweit extrem ungleich verteilt. Nicht einzelne Länder sind Gewinner oder Verlierer, sondern die Kluft von Gewinner und Verlierern der Globalisierung zieht sich quer durch alle Länder – wenn auch unterschiedlich stark. In armen Ländern gibt es Inseln des neuen Reichtums, in reichen Ländern wachsende Wüsten neuer Armut. Wir begegnen heute weltweit dem Phänomen von Superreichen, deren Reichtum gerade noch in Milliarden gezählt wird, sich aber allmählich in Richtung Billionen bewegt. Dort befinden sich schon jetzt global agierende Akteure des entfesselten Finanzkapitalismus, die das Geld einer zu den Gewinnern zählenden globalen Mittelschicht gewinnbringend anlegen sollen und müssen. Nun gehört es zu den Besonderheiten dieser Finanzmärkte, dass sie allen Mahnungen der Finanzkrise von 2008 zum Trotz weiterhin ihr Eigenleben führen. Vereinfacht könnte man die paradoxe Situation auf folgenden Mechanismus bringen: Es gibt einfach zu viel händeringend nach profitabler Anlage suchendes Geld, das in die Güterproduktion, auch Realwirtschaft genannt, sich nicht hinreichend rentabel anlegen lässt, weil kurioserweise diejenigen, die noch Bedarf an solchen Gütern haben, zu den Losern gehören, die sie nicht kaufen können. Ihnen fehlt es nicht an Bedarf, aber an kaufkräftiger Nachfrage, da die Lohnkosten zwecks Profitsteigerung  so erfolgreich gedrückt werden konnten, dass nun gesamtwirtschaftlich zu wenig kaufkräftige Nachfrage entsteht.

Eine, in Einkommenszuwächsen gemessen, sich prächtig entwickelnde Mittelschicht fragt zwar verstärkt langlebige Konsumgüter nach, die allerdings immer schneller Sättigungsgrenzen erfahren. Mehr als ein SUV pro Kopf in der Familie ist denn doch nicht beglückend. Um das über den Konsum hinausgehende Einkommen in der höheren Mittelschicht konkurrieren neben immer weiter gefassten Dienstleistern für alle denkbaren Lebenslagen spezielle Finanzdienstleister, die das Geld für den Anleger arbeiten lassen, was deren Reichtum weiter wachsen lässt. Nach  den Lehrbüchern wandert das ersparte Geld vermittels Banken oder vergleichbaren Kreditinstituten als Kredite an Unternehmungen, die es in die Produktion von Gütern investieren. Da sich hier aber offensichtlich mehr ansammelt als an Krediten für die Realwirtschaft nachgefragt wird, hat die Liberalisierung der Finanzmärkte quasi kasinoartige Formen der Geldvermehrung ohne den Umweg über die herkömmliche Wertschöpfung eröffnet. Wem dieser Weg in die Finanzspekulationssphäre zu riskant ist, investiert momentan vielleicht in Betongold mit ihren eigenen Gefahren von Blasen.

Die Ökonomisierung von Lebenswelten und Privatisierung des Öffentlichen

Für unsere Sphäre ist eine weitere Variante der rentierlichen Geldanlage von Interesse, die selten Aufmerksamkeit erregt. Bei der Suche nach profitablen Investments standen seit den 1980er Jahren – mit dem Beginn des Siegeszuges des Neoliberalismus – vor allem die Privatisierungen öffentlicher Güter im Zentrum. Privat vor Staat lautete die Devise, weil private gewinnorientierte Akteure über Märkte vermittelt mehr Effektivität und Effizienz garantieren. Was immer nach Gewinn roch, wurde mehr oder weniger erfolgreich privatisiert. In einem Land mehr, im anderen je nach politischer Kultur weniger.

Aber damit nicht genug. Das zur Verwertung verdammte und wachsende Kapital rinnt wie das von der Schwerkraft angezogene Wasser in jede Ritze der Gesellschaft und verwandelt das dort Geschaffene in Waren. Neue Anlagesphären entdeckten findige Köpfe nun in Lebensbereichen, die bislang der Profitabilität aus kulturellen oder sozialen Gründen versperrt waren wie beispielsweise die Bildung, Gesundheit und eben auch der Sport. „Was man (bislang) für Geld nicht kaufen kann“ oder konnte, so analysierte es der amerikanische Philosoph Michael Sandel in seinem gleichnamigen Weltbestseller, widmet sich als Geschäftsmodell diesen öffentlichen Gütern und verwandelt sie in ordinäre Waren. Aber mit diesem Formwandel verändert sich – und darauf hat Sandel in seinem lesenswerten Buch hingewiesen –  auch deren Charakter und gesellschaftliche Funktion. Was man umgangssprachlich Kommerzialisierung und  aus Anlegersicht ein neues Geschäftsmodell nennt, das ist die durch den genannten ökonomischen Prozess angetriebene Durchkapitalisierung der Gesellschaft, wo sich alles in eine Ware-Geld-Beziehung verwandelt und sich die Akteure primär als Produzenten und Konsumenten begegnen.

Für liberale Marktwirte ist das die perfekte Gesellschaft, denn wo die Bereicherungstriebe der menschlichen Natur sich frei entfalten können, da herrscht das wahre Paradies der Freiheit und des Wohlstandes für alle. Gegen Wohnungsnot hilft dann – wie man unlängst  anlässlich der Kassierung der Mietendeckelung durch das Bundesverfassungsgericht in einem Kommentar des großen NOZ-Ökonomen Michael Claasen wieder lesen konnte – nur profitabler Wohnungsbau. Also weg mit Bürokratie, d.h. Bauauflagen, Mietpreisregulierung und sonstige Eingriffe in den Markt sind schädlich für die Bauherren und damit auch für die Mieter. Privatisierung zwecks Gewinnerzielung plus allgemeine Verbetriebswirtschaftlichung hat seit längerem auch das Gesundheitssystem erfasst. Durch die Pandemie sind deren Folgen nun verstärkt ins allgemeine Bewusstsein gerückt worden, was hoffentlich nicht folgenlos bleibt. Immer häufiger hört man nun, es sei pervers und eigentlich Wahnsinn, Gesundheit und Krankheit zu einer Ware und einem gewinnorientierten Geschäftsmodell zu machen. Was diese ökonomistische Logik anrichten kann, wird hier nun plötzlich offenkundig. Aber der Trend zur weiteren gewinnorientierten Eroberung von ehemals ökonomiefernen Lebensbereichen schreitet still und leise voran. Nur manchmal es es zu viel, und dann fällt der qualitative Sprung in eine neue Sphäre doch noch auf. So im Falle der Super League.

Um damit zum Ausgangspunkt zurück zu kommen: Der Sport, und hier allen voran der Fußball, ist in dieser Verwertungslogik ein weiteres gesellschaftliches Brachland, dass sich nach sehr erfolgreicher Eroberung für die Kapitalverwertung nun für weitere Feldzüge anbietet. Der sportliche Wettbewerbssinn reduziert sich auf einen Wettbewerb derer, die sich mit ausreichendem Kapital ausgestattet in einen Kreis einkaufen, der selbst keinem Wettbewerbszugang mehr unterliegt. Wer drin ist, ist drin. Es sei denn, er wird zahlungsunfähig. Dass weltweit eingenommene Geld wird nach internen Wettbewerb der Mannschaften verteilt und da es solche enormen Geldmengen sind, ist klar, dass hier nur  die absolute Elite des Weltfußballs zu horrenden Preisen spielt. Spätestens hier sind die Gladiatoren Mittäter und keine Sklaven mehr, wenngleich die Vereine sie wie solche vertragsgemäß halten können.

Aber das Ganze funktioniert natürlich letztlich nur, weil es weltweit genügend Kosumenten gibt, die diese Geldmaschine erst in Gang bringen. Wer das nun beklagt, muss sich allerdings auch fragen, ob es nicht sportlicher wäre, sein Herz wieder den Amateurclubs vor der eigenen Haustür zu schenken.

 

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