Donnerstag, 2. Mai 2024

Bremer Brücke: ein Stück aus Osnabrück

Tradition, Zeitzeugen und eine Riesentorte

Osnabrück ist in vielerlei Hinsicht eine besondere Stadt. Wo sonst liegt Moskau in der Wüste? Und wo sonst vermutet man in der Nähe der „Bremer“ Straße und einer nach „Bremen“ genannten Eisenbahnbrücke einen Urquell Osnabrücker Heimatgefühls? Am 22. Mai wurde die „VfL-Kampfbahn Bremer Brücke“ exakt 90 Jahre alt. Grund genug, um diesen Ehrentag mit Zeitzeugen und Riesentorte zu feiern.

Vor dem Anpfiff einer Talkrunde mit Zeitzeug*innen erfüllte ein kulinarischer Blickfang das Eingangsfoyer der Nordtribüne. Es handelte sich um eine „Brücke“, deren Spielfeld und Tribünen mit Hilfe von Biskuit, Mürbeteig, lockerer Creme und Marzipan zusammengefügt worden waren und eine prächtige Geburtstagstorte bildeten. Bis zum Ende der Talkrunde mussten süßhungrige Fans warten, bis VfL-Präsi Holger Elixmann mitsamt Schneidemesser und kundiger Hilfe für einen behutsamen Abriss des schmackhaften Stadions sorgte. Berni Lanfer, Leiter des VfL-Museums, der alles bis zum Ende arrangiert hatte, durfte sich zufrieden zeigen.

 

Holger Elixmann beim Anstich der Riesentorte - Foto WallensteinHolger Elixmann beim Anstich der Riesentorte - Foto Wallenstein

Anpfiff um 19:33 Uhr

Pünktlich um 19:33 war es soweit, dass an jene Geburtsstunde am 22. Mai 1933 erinnert werden konnte, die als Eröffnungsfeier für die „Kampfbahn Bremer Brücke“ in die Geschichte einging. Unter der Moderation von Kalla Wefel und Heiko Schulze kamen Menschen zu Wort, die jeweils ein gutes Stück VfL- und Stadiongeschichte verkörpern.


Aufräumen mit einer Legende

Noch vor dem eigentlichen Runde räumten die beiden Moderatoren mit einer Legende auf. Obwohl man aufgrund der Einweihungsfeier am 22. Mai 1933 und der damaligen kernigen Nazi-Reden heutzutage den Eindruck haben könnte, das damalige Stadion des VfL-Vorläufers SC Rapid sei eine nationalsozialistische Schöpfung gewesen, war in Wahrheit das Gegenteil der Fall. Heiko Schulze:

„Der Bau des Stadions erfolgte noch in der Weimarer Republik und mit jeder Menge Eigenarbeit und Selbsthilfe, auch mit Assistenz der Stadt und der Klöckner-Werke. Entscheidend war, dass damals das Arbeitsamt in der Alten Poststraße die Beschäftigungsmaßnahmen des sogenannten Freiwilligen Arbeitsdienstes genehmigt hat. Junge Arbeitslose konnten sich damit ein Zubrot zu ihrer kärglichen Arbeitslosenunterstützung verdienen. Bewilligt hat dies am Ende der sozialdemokratische Arbeitsamtsdirektor Heinrich Groos. Der wiederum wurde von den Nazis 1933 fristlos entlassen und 1944 im KZ Neuengamme umgebracht. Es war also alles ein Ergebnis von demokratisch beschlossenem Gesetz, Selbstbestimmung und Eigeninitiative – und deshalb das genaue Gegenteil von Führerkult und Gehorsam.“

Vom Werdegang eines Osnabrücker Arbeitsamtsdirektors, der im KZ umkam

Heinrich Groos und der ihm gewidmete Stolperstein am Kollegienwall - Archiv ORHeinrich Groos und der ihm gewidmete Stolperstein am Kollegienwall - Archiv OR

 

Zeitzeug*innen kommen zu Wort

Ingrid Haferkamp, die als Teenager mit dem Bauchladen an der BB aktiv war

Wesentlich humorvoller und anekdotischer ging es in der Folgezeit zu. Ingrid Haferkamp, Tochter des mit vier Einsätzen häufigsten VfL-Nationalspielers Hannes Haferkamp (1921-1974) berichtigte faktenreich aus dem Innenleben der damaligen Fußballerfamilie. Der „Fritz Walter des Nordens“ war insbesondere in den frühen 50er-Jahren in aller Munde. Allein eine schwere TBC-Erkrankung verhinderte anno 1954, dass der Osnabrücker Balltechniker ins WM-Aufgebot 1954 berufen wurde. Facettenreich erzählte seine Tochter Ingrid vom Zigaretten-, Drops-,  Pfefferminz- und Eisverkauf im Stadion, für den die Familie Haferkamp bis in die späten 70er-Jahre hinein verantwortlich war und für ständige Nachlieferungen der im Stadionrund getragenen Bauchläden zuständig war.

VfL- Legende Walter Wiethe

Walter Wiethe (Jahrgang 1940, 233 Punktspiele Publikumsliebling der Fünfziger-, Sechziger- und frühen Siebzigerjahre) gab so manche Anekdote zum Besten. Etwa die Erlebnisse erfolgreicher wie geschlagener Kicker, sobald sie nach Spielabpfiff inmitten eines Publikumsspaliers den Weg zu Not-Waschräumen in der Kreuzschule antreten mussten.

„Da hat mancher von uns schon mal einen heftigen Klaps auf den Rücken oder gar Tritt ins Hinterteil bekommen, wenn es nicht so toll gelaufen ist“, wusste der Alt-VfLer zu berichten.

Stadionsprecher-Legende Horst Friedlein (Jahrgang 1940), Mikro-Chef von 1973 bis 1997, berichtete dem staunenden Publikum von Bemühungen vom Lautsprecher aus, um Emotionen einzudämmen und ein Mindestmaß an Sachlichkeit zu bewahren. Eine Anekdote betraf Trainer-Legende Otto Rehagel, der sich auch nach dem Abpfiff lautstark und fast schon spektakulär über eine dezente Zurückweisung des Stadionsprechers beschwerte.

Friedel Hoppe (Jahrgang 1949) erzählte ausgiebig vom Alltag eines langjährigen Jugendtrainers, aus dessen Fußballschule dem VfL immer wieder neue Talente zuflossen. Zusätzlich konnte Hoppe, zwischen 1987 und 1990 immer wieder auch Interimstrainer der Profi-Mannschaft, einschlägig von Erkundungsfahrten berichten, um allerorten mit kundigem Blick für den Kicker-Nachwuchs zu sorgen.


Finale im Live-Ticker

Dass Fußball nicht nur durch Tradition, sondern zugleich von aktueller Hochspannung lebt, konnten die Zuhörenden gegen Ende der geschichtsträchtigen Runde live erleben. Die beiden Moderatoren ließen es sehr gern zu, dass immer wieder Zwischenstände des Dresdner Gastspiels beim SV Meppen bis hin zum euphorisch bejubelten 4:1 gegen den VfL-Aufstiegskonkurrenten durchgegeben wurden. Dass am Ende aus vielen Kehlen, getreu dem Steigerlied des Bergbaus, „Wir steigen auf!“ gesungen wurde, sorgte im Finale sogar ein wenig für echte Stadionstimmung.

Kurzum: Wer weiterhin den einmaligen Mehrklang aus Tradition und brisanter Spielspannung erleben will, dürfte auch zukünftig willkommener Gast im Rund der Bremer Brücke sein.


Bildunterschrift:
Die Viererbande in der Mitte von links nach rechts: Friedel Hoppe, Heiko Schulze, Kalla Wefel und Horst Friedlein 
Alle aktuellen Fotos in diesem Artikel: Foto Wallenstein

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