Osnabrücker:innen rufen auf, Annette Niermann zur Oberbürgermeisterin zu wählen
Heiko Schulze:
Hallo Dieter, wir treffen uns hier gemeinsam beim Dodesheider Kaffee Lohmann, um Dich zu fragen: Was hat Dich bewogen, den Wahlaufruf für Annette Niermann mit ins Leben zu rufen und so viele Bürgerinnen und Bürger zur Unterstützung für Annette Niermann zu mobilisieren?
Dieter Otten:
Ich habe Katharina Pötter in mehreren Wahlkampfveranstaltungen kennen gelernt. Sie ist mir dabei als eine fähige Vertreterin der Verwaltung aufgefallen. Aber: Grundsätzlich halte ich es für problematisch, wenn die Spitze einer Verwaltung aus dem eigenen Haus kommt. In der Kommunalpolitik ist das besonders gravierend. Schon Max Weber hat vor 100 Jahren darauf hingewiesen, dass die Bürokratie sich so der politischen Kontrolle zu entziehen versucht. Das Ergebnis, sagte er, ist fast immer Stillstand. Eine Politikerin, die das verkörpert, auch wenn sie es mit jugendlichem Charme tut, dürfen wir in dieser hochbrisanten Klima-Zeit auf gar keinen Fall an die Spitze der Stadt wählen. Das wäre Griesert 2.0. Das hat mich bedenklich gemacht. Aber es hat mich nicht verärgert.
Heiko Schulze:
Und was hat Dich denn besonders verärgert?
Dieter Otten:
Richtig verärgert hat mich die Kampagne von Frau Pötter und der Jungen Union, direkt nach dem 12. September. Die CDU hat eine krachende Niederlage erlitten. Frau Pötter hingegen hat in der Wahl zur Oberbürgermeisterin gut abgeschnitten. Ich hatte gedacht, dass man nun einen offenen bürgerschaftlichen Dialog um das Amt des Oberbürgermeisters führen würde. Aber so ist es nicht. Offenbar herrscht nach 12 % Verlusten Panik in der Osnabrücker CDU. Sie scheinen Angst zu haben, mit der Oberbürgermeisterinnenwahl am 26. September die nächste Ohrfeige zu bekommen, von der Bundestagswahl ganz zu schwiegen. Und da brechen offenbar die Dämme.
Heiko Schulze:
So ist Wahlkampf eben, könnte man sagen. Wieso muss und sollte man sich denn darüber aufregen?
Dieter Otten:
Fremdverstehen kann man das. Aber politisch nicht tolerieren. Für Frau Pötter mit dem Satz zu werben, sie sei Osnabrückerin, klingt harmlos, ist aber nicht harmlos gemeint. Dazu muss man nur lesen, was die Osnabrücker Junge Union dazu liefert. Sie behauptet platt, nur eine Osnabrückerin sei in der Lage, die Stadt angemessen zu regieren. Das ist natürlich blanker Unsinn! Logischerweise ist sogar sehr gut möglich, dass ein OB, der nicht aus Osnabrück kommt, die Stadt besser führen könnte als ein Einheimischer! Das wissen diese Leute natürlich auch. Sie wollen halt nur Ressentiments schüren. Annette Niermann wird gar unterstellt, sie würde nicht die richtige Einstellung zu Osnabrück habe, weil sie aus Bad Iburg stammt und dort wegen ihrer pflegebedürftigen Mutter vorerst wohnen bleiben muss. Wir reden hier von Bad Iburg, direkt vor den Toren der Stadt. Das ist kein kleines Karo. Das ist schlicht blöd und ärgerlich!
Heiko Schulze:
Du vertrittst ja unter dem Begriff Mezzopolis ein anderes Verständnis von Stadt und Region. Was sagst du aus dieser Sicht dazu?
Dieter Otten:
Mezzopolis nenne ich eine mittelgroße Metropole, die aus einer kleineren Großstadt und den umliegenden soziologisch, kulturell und ökonomisch mit ihr verbundenen Kommunen besteht. Osnabrück ist ein besonders gutes Beispiel dafür. Der real existierende Raum Osnabrücks umfasst ein urbanes Gebiet von Städten und Kommunen mit rund 600.000 Einwohnern, von Melle bis Ibbenbüren und von Bramsche bis Lengerich. Osnabrück als urbanes System liegt in zwei Landkreisen – Osnabrück/Steinfurt – und in zwei Bundesländern, was die Sache ziemlich irre macht. Die soziologische, kulturelle und ökonomische Stadt fällt nicht mit den Grenzen der Stadt Osnabrück als Gebietskörperschaft zusammen.
Heiko Schulze:
In anderen Stadtteilen könnten wir sogar die Landesgrenzen mehrmals passieren, ohne die Stadt zu verlassen.
Dieter Otten:
Richtig. Ist das nicht paradox? Osnabrück ist mehr als sein politisches Gehäuse. Wenn wir hier weiter in den Kategorien der Gebietskörperschaft denken, kommen wir nicht weiter. Aber der Raum muss zur Mezzopole werden, wenn wir die Aufgaben der Klimaneutralität und des Klimaschutzes in der Zukunft stemmen sollen. Das geht nur, wenn die urbanen Kräfte und die urbanen Verhältnisse wieder übereinstimmen.
Heiko Schulze:
Wie soll die Quadratur des Kreises denn gelingen, nachdem du selbst eben beschrieben hast, wie vertrackt die Lage ist?
Dieter Otten:
Siehst du, darum ist die Kampagne von Frau Pötter so ärgerlich. Auf keinen Fall brauchen wir in dieser Lage Politikerinnen oder Politiker, die urbanem Osnabrück-Chauvinismus oder städtischem Kolonialismus, sprich Eingemeindung, das Wort reden. Wir brauchen eine neue urbane Konstitution auf der Basis einer städtischen Kooperation auf Augenhöhe. Deshalb ist es jetzt das richtige Signal, Annette Niermann, die bisherige Bürgermeisterin von Bad Iburg, zur Oberbürgermeisterin von Osnabrück zu wählen.
Heiko Schulze:
Aber das allein ist ja noch keine Lösung…
Dieter Otten:
Im Ernst jetzt, ich stelle mir die Lösung als »interkommunale Union« vor. Ich versteh darunter, dass Osnabrück und alle umgebenden Kommunen eng zusammen arbeiten, statt sich Konkurrenz zu machen! Wir brauchen dafür einen interkommunalen Rahmen, einen konstitutionellen Vertrag, der dafür sorgt, dass wir eine interkommunale Union bilden und die einzelnen Kommunen umsetzen, was diese Union beschließt. Dazu gehören ein demokratisches Gremium und eine gemeinsame interkommunale Leitung. Wer Schwierigkeiten hat, sich das vorzustellender, soll sich mal den Aufbau der EU anschauen. Zusammenwachsen aber, das werden die Kommunen in einer solchen Union nur, wenn sie gemeinsame Infrastruktur-Anstrengungen unternehmen! Der öffentliche Nahverkehr mit einer solarbetrieben Metro auf der +1 Ebene sollte da an erste Stelle stehen! Das macht aus lose verbundenen Kommunen eine urbane Einheit!
Heiko Schulze:
Klingt nach dem futuristischen SUN GLIDER Projekt…
Dieter Otten:
SUN GLIDER? Noch nie von gehört … (lächelt)