Pastor Paul Leo
Kämpfer gegen die hitlertreuen „Deutschen Christen“
Die „Entjudifizierung“ des Christentums, also eigentlich dessen Ersetzung durch eine national-germanische Mythologie, war Programm der NSDAP. Letztlich ging es um die Vernichtung der Kirchen als geistige Machtkonkurrenten. Die Wurzeln derartiger Germanisierungsbestrebungen gehen schon auf die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Um die Rolle des Kirchenkampfes der Nazis, den Mut und die Bedeutung der widerständigen Pastoren verstehen zu können, bedarf es eines Rückblicks auf den ideengeschichtlichen Hintergrund.
Was die Nazis anstrebten und was bis zur Niederlage von Stalingrad vor allem ihnen selbst als erreichbar galt, war die stringente Fortschreibung der „Rassentheorien“. Was sich zunächst als Vulgärdarwinismus zeigte und zum Beispiel im Bayreuther Kreis um Richard Wagner sich zu „modernen“ Theorien der Überlegenheit und im Vergleich zu anderen der höchsten Wertigkeit der „arischen Rasse“ entfaltete, musste früher oder später zu dem selbstherrlichen Plan führen, sich als „Herrenmenschen“ dem Rest der Menschheit – zunächst militärisch – als eben die Mächtigsten voranstellen zu wollen.
Die angestrebte ungeteilte Macht betraf natürlich auch die Religionen, insbesondere die im Abendland dominierenden christlichen Religionen, deren Macht in den Köpfen der Menschen auf Dauer nicht würde hingenommen werden. Das Christentum war eben jüdischen Ursprungs. Damit waren die abendländischen Werte, die Kultur und alles, was die Identität der Gläubigen ausmachten, „verjudet“ und war somit zu vernichten. Aber würde das gelingen, die seit Kaiser Konstantin verbreitete und verankerte christliche Lehre „einfach so“ abzuschaffen?
Was die katholische Kirche anging, hatte man einen mächtigen Gegner. In den 1920er Jahren hatten die deutschen katholischen Bischöfe ihren Gläubigen verboten, die NSDAP zu wählen oder ihr beizutreten. Die Wahlergebnisse in katholisch geprägten Regionen waren vor diesem Hintergrund für die Nazis immer wieder ein Debakel. Und im Januar 1933 hätte die katholische Kirche die Naziherrschaft vielleicht noch brechen können.
Allerdings gab es in Rom Papst Pius den XI.. Nuntius des Heiligen Stuhls in Berlin war der spätere Papst Pius der XII.. Beide besaßen große Sympathien für faschistische Bewegungen. Bereits im Vorfeld des Januar 1933 war klar, dass man den Gegner durch ein lukratives Konkordat würde ruhigstellen können. Die Kirchensteuer und große Privilegien für den Klerus könnten den Weg für eine Zustimmung zum späteren Ermächtigungsgesetz ebnen. Und so kam es auch: Das Verbot, NSDAP zu wählen oder ihr beizutreten, wurde aufgehoben. Der Osnabrücker Bischof Wilhelm Berning gehörte zu den Ersten, die mit dem frisch gewählten kleinen Österreicher in Verhandlungen traten. Aber das ist eine andere Geschichte.
Weltherrschaft geht jedenfalls nur als Alleinherrschaft. Auf dem Weg dahin könnte man das Konkordat als „Nichtangriffspakt“ ansehen, um zunächst einmal an der Front der Religionen und Kirchen Ruhe zu schaffen. Ob es nach einem erfolgreichen Griff nach der Weltmacht fortgegolten hätte, darf mit Skepsis betrachtet werden. Früher oder später hätte man sich des lästigen geistigen Machtkonkurrenten entledigt. Aber die Allmachtansprüche zerplatzten mit dem großen Wendepunkt im 2. Weltkrieg. Wollte man diesen Gedanken weiterverfolgen, käme man vielleicht zu dem absurd anmutenden Ergebnis, dass die Rote Armee den christlichen Glauben vor dem Untergang gerettet hat.
Antisemitismus als lutherische Tradition
Viel offener für Rassismus in der Gestalt von aggressivem Antisemitismus zeigten sich die verschiedenen Strömungen protestantischer Ausrichtung – offensichtlich vor dem Hintergrund der Einstellungen Martin Luthers zum Judentum. Der hatte zu seinen Lebzeiten schon gefordert, man möge die Juden in die Synagogen einsperren und die Gebäude in Brand setzen, um sich dieser „antichristlichen Plage“ zu entledigen.
Schon zu Ende des 19. Jahrhunderts wurde eine zweite, „vollendende Reformation“ gefordert, und zwar dadurch, dass das Alte Testament aus der Glaubensbasis der Christen zu entfernen sei, weil es dort dem Inhalte nach eigentlich nur um jüdische Mythen gehe.
Für die „Entjudung“ des neuen Testamentes gab es zahlreiche Ideen, etwa diejenige, dass Jesus das Kind eines Germanen gewesen sei, der sich den Römern als Legionär in den aufsässigen jüdischen Provinzen im späteren Israel verdingt hätte.
Konkrete Ideen zur „Entjudung“ bzw. „Nordifizierung“ des Christentums hatte schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts der Göttinger Theologieprofessor Paul de Lagarde (1827-1891) entwickelt.
Der hatte zu seinen Lebzeiten bereits dadurch öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, indem er noch vor der Reichsgründung Ideen zur imperialistischen Ausbreitung eines künftigen deutschen Staates entwickelt hatte. Insbesondere forderte er eine Kolonisierung des Ostens wegen der dortigen Getreidefelder und der Rohstoffe. Später bildete dies ein wesentliches Ziel zweier Weltkriege.
Zu einem nicht genauer bekannten Zeitpunkt – wohl um 1870 – legte de Lagarde ein Büchlein mit dem Titel „Nationale Religion“ vor, das 1934 erneut herausgegeben wurde.
Im Vorwort wendet er sich an die Deutschen: Aufgabe sei es nicht, eine nationale Religion zu schaffen – Religionen würden nie erschaffen, sondern stets offenbart -, wohl aber, alles zu tun, was geeignet scheine, einer nationalen Religion den Weg zu bereiten und die Nation für die Aufnahme dieser Religion empfänglich zu machen. Die wiederum – wesentlich unprotestantisch- könne nicht eine ausgebesserte alte sein, wenn Deutschland ein neues Land sein solle, die – wesentlich unkatholisch – nur für Deutschland da sein könne, wenn sie die Seele Deutschlands zu sein bestimmt sei, die – wesentlich nicht liberal – nicht sich nach dem Zeitgeiste, sondern den Zeitgeist nach sich bilden werde. Dies gelte nur, wenn sie sei, was zu sein sie die Aufgabe besitze, „Heimatluft in der Fremde, Gewähr ewigen Lebens in der Zeit, unzerstörbarer Gemeinschaft der Kinder Gottes mitten im Hasse und der Eitelkeit, ein Leben auf Du und Du mit dem allmächtigen Schöpfer und Erlöser, Königsherrlichkeit und Herrschaftsmacht gegenüber allem, was nicht göttlichen Geschlechtes ist.“
(Paul de Lagarde, „Nationale Religion“, Jena 1934, S. 3)
Nicht „human“ wolle man sein, sondern Kinder Gottes, nicht liberal, sondern frei, nicht konservativ, sondern deutsch, nicht gläubig, sondern fromm, nicht Christen, sondern evangelisch, „das Göttliche in jedem von uns leibhaftig leben …“ (vgl. a.a.O.)
Paul Leo, geb. am 09.01.1893 in Göttingen, entstammte einer universitären Bildungsfamilie. Der Vater war Professor der klassischen Philologie, die Mutter weitläufig verwandt mit Felix Mendelssohn-Bartholdy.
Die Eltern waren zwar jüdischer Herkunft und, wie auch schon die Vorfahren einiger Generationen, evangelisch getauft, im praktischen Leben nationalpatriotisch eingestellt, ohne besonders aktiven Bezug zum christlichen Glauben. Paul war von instabiler Gesundheit, das Elternhaus eher national-konservativ und von einer gewissen Kirchenferne.
Nach dem Abitur studierte der Sohn zunächst Geschichte und dann – ebenfalls eher lustlos – Theologie. Erst 1923 habe er, so schrieb er einmal, ein lebendiges persönliches Verhältnis zur Kirche gefunden.
1923 hatte es den Hitler-Putschversuch in München gegeben. Mit von der Partie bei dem Marsch auf die Feldherrenhalle war auch der spätere Osnabrücker Anwalt Hans Calmeyer gewesen. Nach dem Kapp-Putsch war das die erste große politische Erschütterung für die noch junge Weimarer Republik. Die gewaltigen Umwälzungen ab der Novemberrevolution hatten alle, die Politik wie die Religionen, zur Positionierung gezwungen.
1918 war der oberste deutsche Kriegsherr, der Kaiser, desertiert, das System zusammengebrochen, die kaiserliche Armee in reaktionäre Freikorps zerfallen, die Menschen als Folge der Hyperinflation vielfach in verzweifelter Lage. Mächtig wurden revanchistische Strömungen.
1921 wurde die Reichswehr gegründet und in deren Schatten die „Schwarze Reichswehr“, der sich auch Calmeyer anschloss. Deren Ziel war es, mit Waffengewalt Schluss zu machen mit dem „Versailler Diktat“. Das war auch Thema protestantischer Religionen. Langsam formierte sich eine Bewegung, die sich später „Deutsche Christen“ nannte.
Eine Gegenbewegung entstand um den Schweizer Theologen Karl Barth (1886-1968), der bereits 1914 mit der deutschen liberalen Theologie seiner Lehrer gebrochen hatte, weil diese den 1. Weltkrieg unterstützten. Damals hatte er sich als radikal-demokratischer Sozialist verstanden. Seine weitere Laufbahn war von kompromisslosem Pazifismus geprägt.
1921 wurde er an die Universität Göttingen berufen. Es folgten Hochschullehrtätigkeiten in Münster, Bonn und weitere Berufungen an deutsche Universitäten. Um konkrete Politik kümmerte sich Barth zunächst wenig, bekämpfte aber kontinuierlich die christliche Anbiederung an das Bestehende, besonders der deutschen nationalen Kirchenvertreter. In einem viel beachteten Vortrag in Cardiff 1925 mahnte er die Kirche, nicht immer 30 Jahre zu spät Stellung zu wesentlichen politischen Fragen zu nehmen, und nannte als Beispiel den völkischen Nationalismus und den Krieg (vgl. Wikipedia zu Karl Barth).
Zurück zu Paul Leo
In diese Zeit, in den ersten fünf der 1920er Jahre, fiel auch die Hinwendung Paul Leos zur Kirche, – wohl im Sinne der Hinwendung zur Theologie Karl Barths, die ihn später zu einem mutigen Widerstandskämpfer gegen den Hitler Faschismus werden lassen sollte.
1922 nahm Leo seine erste Pastorentätigkeit auf Norderney auf. Dort fiel er durch engagierte Stellungnahmen zu Themen der Zeit auf. Für die „Badezeitung Norderney“ verfasste er eine ganze Reihe von Artikeln, hielt Vorträge und initiierte Gesprächskreise zu Nietzsche, zu Karl Barth und auch zu Karl Marx. Besonders interessiert war er am Thema „Sozialismus“. Entsprechende soziale Umwälzungen hielt er für unumgänglich. Dabei war er der Meinung, dass das Evangelium weitergehende Konzepte zur Verwirklichung der Gleichheit der Menschen habe als der Marxismus.
Möglicherweise hat auch der Osnabrücker Maler Felix Nussbaum die Artikel gelesen und die Vorträge besucht, denn die Familie war – wie auch andere jüdische Familien aus Osnabrück – mehrfach Sommergast auf Norderney. Denn Norderney galt als „judenfreundlich“ – im Gegensatz zu Borkum. Es wird vermutet, dass hinter der Entsendung Paul Leos nach Norderney ein entsprechendes Kalkül des Landeskirchenamtes gestanden haben könnte.
Die Inselbewohner und -gäste dürften mit einem Theologen jüdischer Abstammung kein Problem gehabt haben, während „nebenan“, auf dem „judenfreien“ Borkum, sich ja bereits seit 1920 der spätere Reichsredner der NSDAP Ludwig Münchmeyer vier Jahre später gegen das Verbot des antisemitischen Borkumliedes engagierte.
Nussbaum sah sich damals als Atheist und hatte ohne Zweifel großes Interesse an Theorien des Sozialismus, war doch Gustave Courbet ein exponierter Pazifist in der Zeit der Pariser Commune gewesen. Am deutlichsten legt hierzu das Bild „Ein toller Platz“ die Vermutung eines Zitats nahe. Auf dem Bild ist die Berliner Siegessäule niedergelegt. Das Gleiche hatte Courbet mit der Napoleonischen Siegessäule in Paris veranlasst.
In seinen Vorträgen informierte Leo beispielsweise auch über Adolf Stoecker, pointiert antisemitischer Hofprediger der Hohenzollern, und über Friedrich Naumann, der schon einmal einen „nationalen, sozialen Verein“ gegründet hatte. Religiös folgte der Inselpastor Karl Barth, zusammen mit Rudolf Bultmann (1884-1976) und Friedrich Gogarten(1887-1967), dem Initiator der sogenannten dialektischen Theologie.
Karl Barth wurde später Mitbegründer der bekennenden Kirche, Friedrich Gogarten wandte sich der Bewegung der „Deutschen Christen“ zu.
„Deutsche Christen“, was war das denn?
Den Deutschen Christen ging es um eine „Entjudifizierung“ des Christentums. Einer der Ersten, der solche Ideen entwickelte, war der bereits erwähnte Paul de Lagarde.
„14 Jahrhunderte haben an der christlichen Religion gebaut. Sie ist nicht das Werk einer einzigen Person, nicht das alleinige Werk Jesu, sondern das Ergebnis vieler Bemühungen vieler Menschen und Völker. Sie ist, in gewissem Sinne, negativ ganz sicher vorbereitet durch das Judentum. (…) … die deutschen Herzen „irrten, als sie vorfinden zu dürfen glaubten, was nur ihres eigenen Strebens unbewusst-bewusst gelungener Bau sein muss. Die christliche Religion muss an die Überlieferung der heimatlichen Frömmigkeit anknüpfen und mit ihr zusammenwachsen.“
Ab Seite 35 heißt es weiter:
„Teilt die Mehrzahl … den Glauben der Kirche in Betreff Jesu nicht, so wird sie nur wohl tun, wenn sie die biblische Geschichte des neuen Testaments aus den Schulen entfernt. Es ist verständiger Leute doch kaum würdig, in die Kinder das hinein lehren zu lassen, was sie von Knaben bereits mit Misstrauen angesehen und von Jugendlichen so verworfen wissen wollen, wie sie selbst es verwerfen.“
In der damaligen Zeit gruppierten sich auch die frühen „Rassentheoretiker“ um Richard Wagner zum Bayreuther Kreis. All diesen Strömungen fanden sich dann mit dem 30. Januar 1933 zu den „Deutschen Christen“ zusammen. Es entstand eine innerkirchliche Partei gleichen Namens, die dann auch die kirchlichen Wahlen dominierte.
Das Gegeneinander dieser Strömungen in den protestantischen Kirchen begleitete Paul Leo im Studium und in den ersten Berufsjahren. Er gehörte zu den Mitbegründern der Deinsener Konferenz, einem Kreis von zwölf jüngeren Pastoren, der auch der münsteraner Professor Otto Piper und andere barthianische Professoren angehörten.
Bei diesen Konferenzen freundete Leo sich auch mit dem Osnabrücker Pastor Richard Karwehl an, der ihm später behilflich war, eine Pastorenstelle in der Hasestadt zu finden. Nach einer pastoralen Zwischenstation in Neuhaus/Solling gelang es ihm – wohl auf Fürsprache Richard Karwehls – dann, eine Pastorenstelle bei der Katharinen-Kirchengemeinde zu finden. Verantwortlich war er, nunmehr in der Position des Anstaltspfarrers, für Krankenhaus, Gefängnis, Psychiatrie, Hebammenlehranstalt und Taubstummenanstalt.
1929 heiratete Leo Anna Siegert, die allerdings bereits im Mai 1931, wenige Tage nach der Geburt der ersten Tochter Anna, an Kindbettfieber starb. Dies war ein Schicksalsschlag.
Am 1. April1933 kam es zum ersten reichsweiten Boykotttag gegen die Juden. Wenige Tage später erhielt Leo einen Brief vom Landesbischof Marahrens:
Trotz der politischen Umwälzungen sähe er Leo im Predigtamt vor Gefahren geschützt. Marahrens muss rückblickend wohl, wie die allermeisten der protestantischen Kirchenfunktionäre, als taktierender Opportunist beurteilt werden. Vielleicht gilt auch mehr. Denn viele Äußerungen im Sinne von Bekenntnissen zu Hitler klingen eindeutiger als nur Lippenbekenntnisse:
„Zu dieser Wende der Geschichte sprechen wir ein dankbares Ja. Gott hat sie uns geschenkt, ihm sei die Ehre!“
(Deutscher evangelischer Kirchenausschuss; Kappler/Marahrens/Hesse, 02.04.1933)
oder:
„Wir wiederholen es an dieser Stelle ausdrücklich, dass wir unzählige Male seit dem Anbruch unseres nationalsozialistischen Staates öffentlich und feierlich erklärt haben: Dass wir in Opferbereitschaft und Treue für diesen Staat einzutreten bereit sind. Die Glieder der bekennenden Kirche haben es nicht an Bezeugung in Wort und Tat fehlen lassen, dass sie diesem Staate Kraft des ihm verliehenen Amtes der Obrigkeit mit Ehrerbietung und Einsatzbereitschaft unerbittlich in der Wahrheit gegenüber zu treten ehrlich gewillt sind und für selbstverständlich halten. Es ist also bis auf diese Stunde die Verdächtigung politischer Unzuverlässigkeit unbegründet und, von wo sie auch versucht werden sollte, nachdrücklich und feierlich abzuweisen.“ (Marahrens 19.02.1936)
Mit der Machtübertragung auf Hitler verlor Leo eine pastorale Aufgabe nach der anderen. Zum 1. Oktober 1933 wurde ihm die Stelle im Gefängnis gekündigt. Im August 1935 erteilte ihm der Osnabrücker Oberbürgermeister Gaertner Hausverbot für das damalige Stadtkrankenhaus. Die aushilfsweise Übernahme einer Konfirmandengruppe von St. Marien 1938 scheiterte, weil die Konfirmanden-Eltern diese Lösung boykottierten.
Von den Osnabrücker Pastoren fanden sich demgegenüber elf zu einem Widerstandskreis zusammen, darunter auch der in der Osnabrücker Rundschau bereits gewürdigte Pastor Bodensieck.
Die gegen Juden gerichteten Repressionen im Alltag erschwerten das Leben für den Witwer Leo und seine Tochter in ganz erheblichem Maße. Zu einem großen Konflikt entwickelte sich der in Haste geplante Bau einer evangelischen Kapelle. Die zuständigen Behörden verweigerten die Baugenehmigung bzw. den Bauzuschuss, solange Leo dort Pfarrer sei. Paul Leo wurde von der Gestapo überwacht. Gleichwohl ließ er sich theologisch und menschlich nicht brechen.
Im Geheimen, unterstützt vom Osnabrücker Pastorenkreis, beteiligte er sich weiter an Gesprächskreisen und Ausbildungsseminaren für die heranwachsende Pastorengeneration. Diese Veranstaltungen mussten natürlich im Geheimen stattfinden und somit an wechselnden Orten.
Der hier gezeigte Mut, der Naziideologie entgegenzuwirken, zeigt eine überaus starke Persönlichkeit, die den Pastor in das Licht eines Widerstandskämpfers stellt. Er folgte somit weiterhin der Theologie Karl Barths, und dies nicht nur vom Katheder, sondern mit dem Ziel der praktischen Orientierung der jungen Pastoren gegen den Hitler-Faschismus.
Leo verwaltete auch das Spendenkonto für eine neue Kapelle in Haste, was zu weiteren Anfeindungen gegen ihn führte. Nach der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 wurde er verhaftet. Das Spendenkonto wurde beschlagnahmt. Er wurde in das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar deportiert, wie weitere männliche Osnabrücker Juden. Zuvor war der Pastor vom Landeskirchenamt Hannover in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden.
Bei der nächtlichen Verhaftung hatte er nur einen Schlafanzug getragen. Die zufällig anwesende Haushaltshilfe reichte ihm geistesgegenwärtig noch den Wintermantel. Der blieb für die Zeit in Buchenwald auch für die kalten Nächte die einzige Decke. Später berichtete Paul Leo davon, dass es im KZ kaum etwas zu trinken gegeben hätte, und dass die Gefangenen ihren Durst nur an der Regenrinne hätten stillen können.
Aufgrund der vorläufigen Versetzung in den Ruhestand bezog Pastor Leo ein sehr bescheidenes Ruhegehalt. Doch das griff das „Schwarze Korps“, die Zeitschrift der SS, auf, um ihn bloßzustellen und das Kirchenamt zu attackieren:
Bei dem Juden Paul Leo handele es sich wohl einen besonders Schlauen, der sich bei der Kirche so habe einnisten können, dass der Geldbriefträger jeden Monat das üppige Gehalt, nämlich das Doppelte eines Normalverdieners, an der Schreibstube des Konzentrationslagers abgeliefert habe.
Das traf sachlich gar nicht zu: Leo erhielt kein üppiges Ruhegehalt, und dieses wurde von der Kirchenverwaltung auf ein Postscheckkonto gezahlt. Durch die Vermittlung Otto Pipers konnte dem Pastor in den Niederlanden eine Stelle zugesagt werden. Das beschleunigte die Entlassung aus dem Konzentrationslager. Er konnte zusammen mit seiner Tochter in das Nachbarland ausreisen.
Noch vor der Inhaftierung hatte er Eva, seine spätere zweite Frau, kennen gelernt, die ihm dann auch nach Holland folgte. In den USA wurde ihm dann eine Kirchenlehrerstelle in Aussicht gestellt. Auf dieser Grundlage konnte er erfolgreich ein Visum beantragen.
Eva musste den Umweg über Venezuela nehmen. Die Tochter Anna war eine Zeit lang von einer holländischen Pflegefamilie betreut worden. Sie durfte dann auch zu Vater und Stiefmutter ausreisen.
Mit Eva hatte Paul Leo dann noch zwei weitere Kinder. Das Angebot nach 1945 – das Landeskirchenamt Hannover hatte ihm zögerlich eine neue berufliche Perspektive und eine Entschädigung in Aussicht gestellt, verblieb die Familie in den USA. Dies geschah unter anderem auch deshalb, weil die Kinder sich längst als US-Amerikaner fühlten.
Nach Pastor Paul Leo wurde in Osnabrück eine Straße in Lüstringen-Ost benannt.