2. Dezember 1931. Die Premiere von „Emil und die Detektive“ im UFA-Palast ist ein „Bombenerfolg“ (Lichtbühne, 3.12.31)

Anderthalb Jahre später landen Erich Kästners Bücher auf dem Scheiterhaufen und 1936 der „Emil“-Film auf dem Index

Die an ihm beteiligten Juden – die Drehbuchautoren Billie (da noch mit „i“) Wilder und Eemeric Pressburger, der Komponist Allan Gray (Josef Zmigrod) und der jüdisch verheiratete Kameramann Werner Brandes – fliehen ins Ausland. Drei der vier Jungs, die die Hauptrollen ergattert hatten, sterben als Soldaten den deutschen „Heldentod“: „Emil“ (Rolf Wenkhaus, links oben) mit 24 jahren in Irland, „Gustav mit der Hupe“ (Hans Joachim Schaufuß, rechts oben) mit 22 und „der kleine Dienstag“ (Hans Albrecht Löhr, unten) mit 20 Jahren in Russland.

Kästner 1947, bei den ersten „Emil“-Theaterproben nach dem Krieg: „Siebzehn Jahre ist es nun her. […] Es war eine schöne Zeit. Obwohl man spürte, dass sie bald sterben werde … die schöne Zeit starb. Und auch mancher der Jungen musste sterben. […] der Krieg brachte sie um. Hans-Albrechts Mutter war auch diesmal im Theater. Wir gaben uns die Hand. Wir sprachen nur ein paar Worte miteinander. Wir dachten an ihren Sohn und an die, die Schuld sind.“

Kästner 1971: „Da der kleine Hans-Albrecht Löhr ein ungewöhnlich liebenswürdiger und aufgeweckter kleiner Junge war, blieb es nicht aus, dass wir uns, trotz des beträchtlichen Altersunterschiedes, anfreundeten und dass wir einander in den Nazijahren immer wieder einmal sahen. Als er in das wehrpflichtige Alter kam, konnte es nicht ausbleiben, dass er dann sehr bald nach Russland kam und dort ist er – wo, weiß ich nicht – gefallen. Jedenfalls ist dieser Hans-Albrecht für mich eine unverlierbare Erinnerung. Allein an diesem einzigen sinnlosen Verlust kann ich ermessen, was, millionenfach multipliziert, Hitler auf dem Gewissen hat.“

Es war ein Déjà-vu. Kästners Gedicht „Primaner in Uniform“ von 1930 erinnert daran, wie schon seine eigene Generation verheizt worden war:

Der Rektor trat, zum Abendbrot,
bekümmert in den Saal.
Der Klassenbruder Kern sei tot.
Das war das erste Mal.

Wir saßen bis zur Nacht im Park
und dachten lange nach.
Kurt Kern, gefallen bei Langemarck,
saß zwischen uns und sprach.

Dann lasen wir wieder Daudet und Vergil
und wurden zu Ostern versetzt.
Dann sagte man uns, daß Heimbold fiel.
Und Rochlitz sei schwer verletzt.

Herr Rektor Jobst war Theolog
für Gott und Vaterland.
Und jedem, der in den Weltkrieg zog,
gab er zuvor die Hand.

Kerns Mutter machte ihm Besuch.
Sie ging vor Kummer krumm.
Und weinte in ihr Taschentuch
vorm Lehrerkollegium.

Der Rochlitz starb im Lazarett.
Und wir begruben ihn dann.
Im Klassenzimmer hing ein Brett
mit den Namen der Toten daran.

Wir saßen oft im Park am Zaun.
Nie wurde mehr gespaßt.
Inzwischen fiel der kleine Braun.
Und Koßmann wurde vergast.

Der Rektor dankte Gott pro Sieg.
Die Lehrer trieben Latein.
Wir hatten Angst vor diesem Krieg.
Und dann zog man uns ein.

Wir hatten Angst. Und hofften gar,
es spräche einer Halt!
Wir waren damals achtzehn Jahr,
und das ist nicht sehr alt.

Wir dachten an Rochlitz, Braun und Kern.
Der Rektor wünschte uns Glück
Und blieb mit Gott und den andern Herrn
gefaßt in der Heimat zurück.

Anmerkung:
Noch heute erinnern sie sich,
dabei ihre Pensionen verzehrend,
gerne der großen Zeit.

Judith Kessler
Judith Kessler
Judith Kessler ist Sozialwissenschaftlerin, Redakteurin und Autorin mit den Schwerpunkten jüdische Migration, Gegenwartskultur und Biografieforschung.
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