Montag, 8. Januar 2024

Kettenschluss für den Frieden

Kettenschluss an der Landesgrenze zu NRW. Foto: Martin Buck

Überfall auf die Ukraine mobilisiert rund 20.000 Menschen
Ein persönlicher Kettenreport

Bevor die Friedenskette schließt, muss erstmal meine Fahrradkette halten. Es sind diese dämlichen Radtouren, auf denen man bei winterlichem Mieselwetter nichts richtig machen kann. Regenhose und Poncho halten zwar den peitschenden Regen ab, produzieren darunter aber nur Schweiß, der nach dem Anhalten nichts als Frösteln verursacht. Aber egal. Ich trete durch.

Immer wieder denke ich anfangs über jene Friedenskette nach, die wir vor rund 20 Jahren gegen den brutalen Angriffskrieg der USA und Großbritanniens gegen den Irak aus dem Boden gestampft hatten. Gegen den massiven Widerstand der im Stadtrat dominierenden CDU- und FDP-Mehrheit hatten wir es hinbekommen, die Reihen zu schließen. Am 29. März 2003 war dies geschehen, bei wunderschönem Fahrradwetter allerdings.

I’m a poor lonesome cowboy on a steel horse I ride …

Mein heutiges Ziel ist Abschnitt 21 der Friedenskette in Richtung Münster. Betrachtet man speziell hier die ausbaufähigen Voranmeldungen, zählt der Abschnitt zu den überschaubar wenigen, die als unterbesetzt gelten. An den allermeisten Abschnitte sieht es prima aus. Auf die Angaben unserer What sApp-Gruppe mit dem langen Namen „Friedenskette OS Ordner und Streckenverantwortliche“ ist Verlass.

Der Abschnitt 21, bezeichnet als „Gasthaus Bäumer Stöppel–Kreuz.Ladberger Str.-Aldruper Damm“, liegt wenige Kilometer vor Ladbergen. Dort, so der Plan, soll die Osnabrücker Friedenskette auf die Münsteraner stoßen. Melora Felsch aus dem Orga-Stab hat mich vor dem Tourstart mit einer roten Ordnerweste und einem Bündel hübsch illustrierter Rollen ausgestattet. Jene mögen, soweit nötig, personelle Lücken überbrücken.

Ich spute mich und trete selbst bei deftigen Höhenmetern kräftig in die Pedale. Schließlich ist das stolze Tragen einer Ordnerweste auch mit der Verantwortung verknüpft, notfalls, was auch immer, ordnen zu müssen, damit die Reihen korrekt aufgereiht sind.

Auf dem Weg paaren sich peitschende Regentropfen mit Anflügen von Pessimismus. Bis Lengerich habe ich noch keinen Menschen am Straßenrand gesichtet, der wie ein Kettenglied wirkt. Naja, es ist ja noch vor 15:00 Uhr. Stehen soll die Kette erst eine Stunde später. Als ich bei „meinem“ Gasthaus Stöppel eintrudele, werde ich spontan optimistischer. Eine beachtlich große Gruppe ist da. Ich verteile sicherheitshalber meine ersten Verbindungsröllchen und verabschiede mich kurzfristig, um neugierig ein paar Kilometer weiter in Richtung Ladbergen zu fahren. Danach bin ich zufrieden, besonders, nachdem ich zum optimalen Vollzug meine restlichen Röllchen, sogar die Ersatz-Ordnerweste an Männer und Frauen gebracht habe.


Szenen eines Lückenschlusses

Ich radle zurück zum Gasthaus Stöppel. Dort beobachte ich die Einzelnen, die nun bedächtig beginnen, Reihen entlang der Bundesstraße zu bilden. Viele zeigen Ukraine-Farben, um ihre Solidarität mit der bestialisch überfallenen Bevölkerung auszudrücken. Sogar mehrere Leute aus den Niederlanden geben sich freundlich zu erkennen. 15:45 Uhr erfolgt für alle das Signal zum Lückenschluss. Dass an diesem Ausnahme-Abschnitt nicht Tausende Hand in Hand stehen, war klar. Aber meine Röllchen, mitgebrachte Bettlaken, Flatterbänder, Schals, ausgedehnte Regenjacken, sogar Wäsche- und Hundeleinen tun wertvolle Dienste. Zugegeben: Irgendwo hinten am Horizont sind tatsächlich Lücken zu erkennen. Aber zumindest auf Sichtweite kann man sich zuwinken und lächelnd die Daumen hochhalten. Woanders, das erfahre ich spätestens bei der Rücktour, sieht man sich Auge in Auge und steht deutlich enger beieinander.

Die Stimmung ist klasse. Mutige stimmen Lieder an. Lockere Sprüche machen die Runde. Solidarität zeigt sich in freundlichen Gesichtern. Nach gut 15 Minuten darf sich alles wieder auflösen. Kurze Zeit später sitze ich wieder im Sattel. In Lengerich-City ist später sogar für kurze Zeit die Sonne zu sehen.

Impressionen am Wege. Foto: OrganisationsteamImpressionen am Wege. Foto: Organisationsteam

Irgendwann halte ich an und bekomme erste Infos, welche alle, die teilgenommen haben, ein wenig stolz machen dürfen: Rund 20.000 Menschen standen in der Kette zwischen beiden Friedensstädten. In Wind und Regen verharrten sie entlang endlos langer Straßen, durch die ich, hin und zurück, heute jeweils rund 30 km gefahren bin. Alle stellten sich, angesichts des Jahrestages von Putins Angriff auf die ukrainische Bevölkerung, zugleich offiziell hinter den Aufruf zur Friedenskette, als „Symbol und Denkanstoß für die Forderung nach Friedensverträgen unter Wahrung der territorialen Souveränität bei allen kriegerischen Auseinandersetzungen auf dieser Welt.“ 

Natürlich bleibt alles angesichts der furchtbaren Tagesmeldungen aus dem Ukraine-Krieg eine wunderschöne Vision. Ebenso das Begehren, „ein Zeichen zu setzen für den Wunsch nach weltweiter Niederlegung der Kriegswaffen, Verhandlungen mit dem Ziel eines dauerhaft friedlichen und demokratischen Zusammenlebens.“

Nur: Kann es wichtigere Ziele geben in einer Welt, in der wenige Regierungschefs alles dafür tun, dass sie aus den Angeln fliegen könnte? Ein Grund mehr, dass auch herrschende Politik sich viel mehr auf die Kraft positiver Visionen stützen muss, denke ich beim Weiterradeln.


Fazit einer Mit-Organisatorin

Als ich wieder zu Hause bin und erst einmal heiß geduscht habe, erreicht mich eine zufriedene Mail von Mit-Organisatorin Melora Felsch, von der ich für die OR ein Resümee erbeten hatte:

„Die Friedenskette von Osnabrück nach Münster war ein voller Erfolg. Allein zwischen Osnabrück und Ladbergen standen mindestens 18.000 Leute für den Frieden, trotz des Wetters. Dies sendet ein starkes Zeichen, dass an die Kriegsopfer in der Ukraine und woanders gedacht wird und wir uns hier wünschen, dass diese Menschen nicht länger unter Krieg und Gewalt leiden müssen. Viele Menschen haben dieser Botschaft Ausdruck verliehen mit selbst gestalteten Spruchbändern. Wir bedanken uns herzlich vom Organisationsteam für die Teilnahme und Unterstützung von allen.“

Alles gesagt, meine ich.

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