Freitag, 23. Februar 2024

Osnabrücker Gewerkschaften gestalten 1. Mai mit großer Beteiligung junger Leute

„Ungebrochen solidarisch!“

„Ungebrochen solidarisch“ lautete das Motto der diesjährigen Maikundgebungen der DGB-Gewerkschaften. Gehör verschafften sich dabei nicht nur rund 850 Teilnehmende. Es waren in diesem Jahr vor allem junge Kolleginnen und Kollegen, die allesamt nicht nur dem langen Demonstrationszug, sondern auch dem folgenden Familienfest vor dem Gewerkschaftshause am August-Bebel-Platz ihren Stempel aufdrückten.

(Zur Geschichte des 1. Mai sowie zum aktuellen Mai-Motto hatte die OR bereits in jüngster Zeit einen ausführlichen Bericht präsentiert.)


Auftakt mit zentralen Botschaften

Begonnen hatte alles in bewährter Tradition: DGB-Kreisvorsitzende Nicole Verlage begrüßte den sich allmählich formierenden Demonstrationszug am Standort jenes früheren Gewerkschaftshauses am Kollegienwall, dass die Nationalsozialisten vor gut 90 Jahren, am 11. März 1933 erstürmten und dadurch seinerzeit die gewaltsame Zerschlagung der Osnabrücker Arbeiterbewegung einleiteten. „Das, was damals passiert ist, fordert uns alle angesichts immer wiederkehrender rechter Gefahren zur permanenten Wachsamkeit auf. Nie wieder darf sich das, was vor 90 Jahren auch in Osnabrück passiert ist, wiederholen.“

Anja Bensinger-Stolze von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), früher langjährige Lehrerin in einer Hamburger Brennpunkt-Schule, brachte als Hauptrednerin die zentralen gewerkschaftlichen Positionen für das laufende Jahr auf den Punkt: Gewerkschaftlich miterkämpfte Entlastungen angesichts drastischer Energiepreissteigerungen, auch per Arbeitskampf erstrittene tarifliche Verbesserungen wie bei Post und öffentlichem Dienst, Streikbereitschaft auch in weiteren Wirtschaftsbereichen, aktiver Einsatz für ein neues Tarifvertragsgesetz, um tariflose Beschäftigungsverhältnisse zumindest massiv zu reduzieren. Auch die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro und das Bürgergeld seien ohne gewerkschaftliche Aktivitäten nicht möglich gewesen. Auf der anderen Seite bliebe ungemein viel zu tun, beispielsweise benötigte Deutschland umgehend ein großes Sondervermögen für Bildung und Ausbildung, um beispielsweise die teilweise katastrophale Unterfinanzierung des Schulwesens anzugehen. Die Rednerin wörtlich:

„Gemeinsam setzen wir am Tag der Arbeit ein sichtbares Zeichen für eine gerechte und friedliche Zukunft, für einen starken Sozialstaat und eine leistungsfähige öffentliche Daseinsvorsorge. Gemeinsam sind wir ungebrochen solidarisch! Superreiche müssen endlich mehr Steuern zahlen; Menschen mit hohem Vermögen müssen eine Abgabe erbringen für die historischen Herausforderungen unserer Gesellschaft. Wir fordern die Wiedereinführung der Vermögensteuer. Es darf nicht sein, dass die Hauptlasten der Krise den Beschäftigten aufgebürdet werden, während sich die Reichen aus der Verantwortung stehlen.“

Nicht minder werden sich auch Gewerkschafterinnen und Gewerkschaften vehement für ein Ende des von Russland entfachten Ukraine-Krieges einsetzen und internationale Solidarität mit Gewerkschaften wie politisch Verfolgten in aller Welt praktizieren. „Das Asylrecht ist und bleibt ein Menschenrecht!“, unterstrich die GEW-Kollegin.


Kämpferische Botschaften aus Jugend-Sicht

Erfrischende eigene Akzente setzte Laura Jessen, die für das Osnabrücker Jugendbündnis sprach, in dem gewerkschaftliche Organisationen ebenso vertreten sind wie Jungsozialist*innen, Grüne Jugend und Linksjugend. Jessen griff bewusst die Ur-Tradition des Maifeiertages auf, der bereits 1889 für den weltweiten Kampf um den Achtstundentag geschaffen worden war. Der Beitrag verdient es aus Sicht der OR-Redaktion, besonders hervorgehoben zu werden. Laura Jessen sagte wörtlich:

Laura Jessen vom Jugendbündnis

„Ich muss es einmal so deutlich sagen: Die Kacke ist am Dampfen. Krieg in Europa, Energiekrise, Klimawandel, hohe Inflation und die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Keine politische Maßnahme greift weit genug, um uns diese Angst zu nehmen.

Und wäre das nicht schon schlimm genug, wartet auf uns eine Arbeitswelt, in der wir ständig erreichbar sein müssen. Überstunden und Wochenendarbeit zum Normalzustand gehören. Burnout und Depressionen zu häufigsten Krankheiten gehören. Auf uns wartet ein Mindestlohn, mit dem sich Rechnungen und Mieten nicht bezahlen lassen.

Vor 137 Jahren gingen unsere Kolleg*innen das erste Mal auf die Straße und streikten. Ein 12-Stunden-Tag, unfassbar niedrige Löhne und katastrophale Arbeitsbedingungen waren damals der Standard. Arbeitnehmer*innenrechte gab es nicht. Alles musste erst erstreikt und erstritten werden.

Die Kritik heute am letzten großen flächendeckenden Streik wirkt da wie blanker Hohn. Und an dieser Stelle: Ungebrochene Solidarität mit allen Streikenden, überall auf der Welt!
Ich bin der Meinung, 28 Stunden Arbeit pro Woche müssen zum Leben reichen. Es ermöglicht uns eine ausgewogene Work-Life-Balance, höhere Produktivität und vor allem bessere Gesundheit. Wenn geringe Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen für einige oder viele Menschen abschreckend sind, bestimmte Berufe zu erlernen oder anzunehmen, dann ist das weder unsere Schuld, noch ein Grund dafür, die Arbeit auf dem Rücken der wenigen Kolleg*innen zu verteilen und uns dafür ausbeuten zu lassen.

Es ist unsere Schuld, wenn wir nicht auf die Straße gehen und für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne streiken. Die Lösung liegt also auf der Straße und in unserer Hand! Ohne uns steht alles still. Wir stehen zusammen in diesem Streik und vor allem: Ungebrochen solidarisch!“


Familienfest im besten Sinne

Während des folgenden Demonstrationszuges, der sich vom Kollegienwall über Neumarkt-Neuer Graben bis zum Zielpunkt Gewerkschaftshaus am August-Bebel-Platz bewegte, fielen besonders mit Fahnen und Transparenten erkennbare Blocks junger Menschen auf, die eine Vielzahl gewerkschaftlicher, politischer wie zivilgesellschaftlicher Aktivitäten widerspiegelten. Unübersehbar waren die gleichen Gruppierungen auch während des folgenden Familienfestes vor dem Gewerkschaftshaus, das einmal mehr Alt und Jung, teilweise zu harmonischen Wiedersehenstreffen, teilweise auch zum neuen Kennenlernen und zur Planung künftiger Aktivitäten, zusammenführte. DGB-Sekretär Olaf Cramm zeigte sich resümierend sehr zufrieden mit der diesjährigen Maifeier:

„Es herrschte überall eine tolle Stimmung. Uns ist es im wahrsten Sinne des Wortes gelungen, ein echtes gewerkschaftliches Familienfest hinzubekommen. Ich kann mich an keinen anderen  gewerkschaftlichen 1. Mai in dieser Stadt erinnern, bei dem sich so viele junge Leute beteiligt und die ihre Aktivitäten in ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen mit so viel Zuspruch vorgestellt haben.“

Alt und Jung
Demo Wall
SPD-Block
Auftaktfoto 1. Mai

alle Fotos: OR/Michael Wallenstein

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