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Gedenken auf dem Gertrudenberg

Sonntag, 24. September, 12:00 Uhr:
Bündnis erinnert an NS-Kranken- und Behindertenmorde

Wo immer Rechte und sogenannte Rechtspopulisten die Vergangenheit verklären, sollte nicht nur laut widersprochen, sondern auch an alle Grausamkeiten erinnert werden, die mit Faschismus verbunden sind. „Das Erinnern an die Taten, die Folgen dessen und was uns noch heute aus dieser Historie belastet, sind Teile dieses Gedenkens“, schreibt ein Bündnis aus der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist*innen (VVN-BdA), den OMAS GEGEN RECHTS sowie dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in einer Pressemitteilung. Recht haben sie.

Gemeinsam möchte das Bündnis in Osnabrück öffentlich jener Opfer gedenken, die von den Nazis wegen Krankheit oder körperlicher beziehungsweise geistiger Einschränkungen ermordet worden sind. Innerhalb der rund 300 bislang verlegten Stolpersteine bildet die Gruppe eine besonders hohe Zahl von Opfern des NS-Terrors.


Mordbefehle aus „T4“: historische Hintergründe

Ausgangspunkt des damaligen Massenmordes war ein persönlicher Befehl Adolf Hitlers vom 1.September 1939, adatiert also an jenem Tage, der zugleich der Tag des Kriegbeginns in Gestalt des Überfalls auf Polen war. Hitler diktierte in nahezu zynischer Manier:

„Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbaren Kranken bei kritischer Beurteilung ihres Gesundheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann.“

Wer dem Führer und seinen Gesinnungsgenossen nicht „lebenswert“ erschien, sollte somit „aus der Volksgemeinschaft getilgt“ werden. Verantwortlich für die Durchführung jener Maßnahme war eine Zentrale in der Berliner Tiergartenstraße 4, intern „T4“ genannt. Getreu der Idee einer „Rassenhygiene“ wuchs die Zahl der Opfergruppen bis dahin ohnehin stetig an. Betroffen waren nun durch Hitlers Befehl – zusätzlich zu den schon lange aus politischen Gründen Verfolgten – nicht nur Jüdinnen und Juden, Sinti/Roma oder sogenannte  „Rheinlandbastarde“, also Kinder schwarzer französischer Soldaten, die im Zuge der vorherigen Rheinlandbesetzung nach 1923  mit dunklerer Hautfarbe geboren worden waren. Nun hatten die Nazis auch offiziell eine neu zu ermordende Gruppe definiert: Angesagt war jetzt die „Vernichtung lebensunwerten Lebens„.

Es ging dabei vor allem um Menschen, die in Familien oder andernorts in einer stationären Einrichtung lebten. In Osnabrück war dies die „Provinzial Heil- und Pflegeanstalt“, also das spätere Landeskrankenhaus und heute privatisierte Ameos-Klinikum. Im April 1941 war auch die Osnabrücker Einrichtung gemäß T4-Order zur Ermordung von Patientinnen und Patienten auserkoren worden.

92 weibliche und 156 männliche Personen wurden zunächst nach Eichberg, später ins hessische Hadamar transportiert, das eine von sechs „Tötungsanstalten“ bildete. Allein dort wurden etwa 14.500 Menschen per Gaskammer, tödliche Injektionen, Medikamente sowie Verhungernlassen ums Leben gebracht. Betroffen waren kleine Kinder bis hin zu Erwachsenen. Als Kriterium ihrer Ermordung reichte es den Nazi-Verbrechern, dass sie per Attest als „geistig eingeschränkt“, psychisch krank oder körperlich behindert eingestuft wurden. Familienmitglieder erhielten nach der Ermordung makaber anmutende Briefe, in denen ihnen ein „normales“ Ableben ihrer Liebsten simuliert wurde.

Im August 1941 wurde der Massenmord an diesen Personen allerdings offiziell eingestellt, weil Proteste, unter anderem vom Münsteraner Kardinal Clemens August Graf von Galen, trotz Zensur unüberhörbar geworden  waren. Vor allem ging es den Machthabern darum, möglichst ungestört eine soeben entfachte Kriegsbegeisterung aufrecht zu erhalten. In Wahrheit wurden die Morde jedoch real bis 1945 brutal fortgeführt. Die Gesamtzahl der Ermordeten wird heute auf mindestens rund 300.000 Menschen geschätzt. Dazu kommen 350.000 Opfer einer Zwangssterilisation.

Und die Täterinnen und Täter? Etliche von ihnen machten nach 1945 weiter eine famose Karriere in Adenauer-Deutschland, vor allem als hochdekorierte Mediziner. Angeklagt oder gar bestraft wurden die Allerwenigsten jener Massenmörder.


Das „bescheidene“, aber sehr besondere Mahnmal

Das Mahnmal, in dessen Umfeld die erwähnte Veranstaltung am kommenden Sonntag stattfindet, besitzt eine eigene und sehr besondere Geschichte. Bereits Anfang 1999 war die Idee für einen solchen Gedenkort seitens der Selbsthilfegruppe der örtlichen Psychiatrie-Erfahrenen aufgekommen – und auf Resonanz gestoßen. Es folgte ein Künstler*innenwettbewerb. Eine Expert*innenenkommission wählte schließlich eine Arbeit des Osnabrücker Künstlers Werner Kavermann aus, weil sie, so die damalige Begründung, „in eindrucksvoller und authentischer Weise das angstvolle und zur Vereinzelung drängende Erleben des psychisch kranken Menschen einfängt.“

Betrachtet man Kavermanns Werk, fällt die bewusst bescheiden anmutende, nicht zu groß gehaltene Gestaltung auf. Hiermit wird bewusst Rücksicht auf die im heutigen Ameos behandelten Patient*innen mit eigenen Krisensituationen genommen.

Enthüllt und eingeweiht wurde alles anlässlich des Auschwitz-Gedenktages am 27. Januar 2005. Vor nicht langer Zeit hat das hiesige Fan-Projekt, Anlass war ein durch Corona bedingter virtueller Stolperstein-Gang, ein Video zum Gedenkort produziert, das unverändert aktuell ist und schnell einen Eindruck vom Gedenkort vermittelt. Stolpersteingang des Fanprojekts.


Die jetzige Veranstaltung

Die Veranstaltung findet direkt am Mahnmal beim historischen Kloster am Gertrudenberg (Senator-Wagner-Weg) auf dem Gelände des Ameos-Klinikums statt. Neben kurzen Ansprachen zum Umgang mit körperlich oder geistig eingeschränkten Menschen wird das Gedenken durch ein gemeinsam zu erstellendes Gesteck ausgedrückt.


Foto oben: OR-Archiv

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