Lesung und Gespräch mit dem ILEX-Kreis im Augustaschacht

„Widerstand im Osnabrück der NS-Zeit“
Bericht von Lesung und Gespräch mit dem ILEX-Kreis in Kooperation mit den Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht

Das Politiklexikon der Bundeszentrale für politische Bildung definiert „Widerstand“ als „ein soziales Handeln, das sich gegen eine als […] nicht legitim empfundene Herrschaft und die in ihrem Rahmen ausgeübte Macht richtet, denen Gehorsam verweigert wird.“ Der Verfasser des Artikels betont, dass „Widerstand“ ein ganzes Spektrum an Tätigkeiten umfasst. Von gewaltvoller zu gewaltloser Opposition; von geplanten Umsturzversuchen zur Verweigerung regimetreuer Aktivitäten; von großen Hilfsaktionen bis zur Verbreitung von Flugblättern. Wir merken: „Widerstand“ ist vieles. Er ist kollektiv und individuell, er ist laut und leise, er äußert sich spontan und tritt organisiert auf, „sein Ziel ist jedoch immer, die gute […] Ordnung wiederherzustellen.“ Und ungeachtet der Form, war und ist die Erreichung dieses Ziels stets mit der Gefährdung des eigenen Lebens verbunden.

Wenn hier in Deutschland von „nicht legitim empfundener Herrschaft“ oder „Widerstand“ gesprochen wird, folgen Gedanken an die Zeit des Nationalsozialismus auf dem Fuße. Die Bilanz zum „Widerstand“ fällt auf Seiten der breiten Bevölkerung dann zumeist kurz und ernüchternd aus. Nach konkreten Persönlichkeiten gefragt kommen Graf Stauffenberg und die Geschwister Scholl in den Sinn, vereinzelt fallen vielleicht auch Namen wie Dietrich Bonhoeffer oder Georg Elser. Dann erschöpft sich das Wissen in den meisten Fällen bereits. Nach Widerstand auf lokaler Ebene gefragt, stellen Anwohner zumeist die spontane, aber auch entlarvende Frage: „Gab es den hier?“ Am Ende bleiben die Beteiligten vor allem mit der betrüblichen Erkenntnis zurück, dass in erster Linie Regimetreue, Anpassung und Folgebereitschaft den Alltag der NS-Zeit prägten. Umso eifriger und verzweifelter suchen einige Städte und Gemeinden daher weiterhin nach „ihren Helden“. Nach „den Guten“ aus ihrer Mitte, den couragierten Persönlichkeiten, die in einer Zeit des wieder erstarkenden Rechtsextremismus als Vorbilder und Identifikationsfiguren fungieren können. Und die, so sicherlich der insgeheime Wunsch (zu) vieler, eine „entlastende“ Funktion erfüllen können. Die es den Menschen erlauben können, sich mit der Nation und ihrer Geschichte etwas „versöhnen“ zu können.

In Osnabrück meinte man vor einigen Jahren eben diese Person in Hans-Georg Calmeyer gefunden zu haben. Dieser war als „Gerechter unter den Völkern“ bereits ein über die Grenzen hinaus bekannter Sohn der Stadt. Umso schockierender erschien vielen Osnabrückern der angesichts der für ihn geplanten Ehrung (die Umbenennung der in den Jahren 1932 bis 1945 als NSDAP-Parteizentrale genutzten „Villa Schlikker“ in „Hans-Calmeyer-Haus“) einsetzende Proteststurm. Besonders engagiert traten dabei die MitgliederInnen des Osnabrücker ILEX-Kreises hervor. Die Gruppe ortsansässiger HistorikerInnen prangerte die im Rahmen der Suche nach einem „Leuchtturm“ für die Friedensstadt[1] gezeigte Ignoranz gegenüber bereits lange zuvor erhobenen Einwänden zu Calmeyers Rolle als NS-Funktionär an. Um aus Osnabrück einen Ort lebendiger Erinnerungskultur zu machen, forderten sie von der Stadt, sich von falscher Heroisierung zu verabschieden, um der Erforschung „echten Widerstandes“ Raum zu bieten. Und dass ein solcher in Osnabrück auch tatsächlich existierte, konnten die MitgliederInnen des ILEX-Kreises eindrucksvoll beweisen.


Lesung aus dem Sammelband: „Kämpfen gegen das Vergessen“

Die ersten zu Papier gebrachten Früchte der jahrelangen Forschungsarbeit konnten nun bereits wiederholt der Öffentlichkeit präsentiert werden, zuletzt am 2. März 2024 in den Räumlichkeiten der Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht. Dort stellten die AutorInnen Hartmut Böhm, Martina Sellmeyer, Heiko Schulze und Dieter Przygode ihrem Publikum Kurzfassungen ausgewählter Beiträge aus ihrem Sammelband vor. „Widerstand im Osnabrück der NS-Zeit“ versammelt 36 Einzelbiographien von Osnabrückerinnen und Osnabrückern, die sich auf unterschiedliche Art und Weise dem NS-System widersetzten, sich politisch engagierten und Diskriminierung im Alltag entgegentraten. Und im Anschluss konnte unter der Führung der AutorInnen sogar noch ein Blick in die zugehörige Sonderausstellung „Parolen im Koffer“ geworfen werden.

Schon durch die dargebotenen punktuellen Einblicke konnten die AutorInnen eindrücklich darlegen, wie vielfältig der Widerstand in Osnabrück ausgesehen hatte: von der Informationsbeschaffung und -verbreitung, von Flugblättern und Parolen über politisches Engagement und situative Zivilcourage. Unter den dargestellten Persönlichkeiten finden sich Hausfrauen und Priester, Arbeiter und Gewerkschafter, jüdische und politische Aktivisten. Und die überwiegende Mehrheit gehörte, wie die AutorInnen nachdrücklich betonten, zu jenen, die bereits lange vor der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten entschiedene Gegner von Rechtsextremismus und Demokratie-Feindlichkeit waren. Die die mutigen Schritte der Regime-Gegnerschaft nicht erst im Kontext des Zweiten Weltkriegs von bequemen Funktionärsposten aus tätigten, sondern sich Terror und Faschismus von Anfang in den Weg stellten und diesen Einsatz oftmals mit dem Leben bezahlten. Und deren Namen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, bis heute in Osnabrück so gut wie vergessen sind.

Mit seinem Buch wollte der ILEX-Kreis jedoch keinesfalls einer blinden Heroisierung Vorschub leisten, wollten gerade nicht jenes entlastende Identifikationsangebot schaffen, nach dem sich große Teile unserer Bevölkerung sehnen. Denn eine lebendige Erinnerungskultur, die nachhaltige demokratische Kompetenzen vermittelt, darf niemals der Verschleierung historischer Tatsachen dienen. Um den Nationalsozialismus vollständig zu verstehen, ist es wichtig, das gesamte Spektrum menschlichen Verhaltens zu betrachten, von couragiertem Widerstand, zu Opportunismus und bereitwilliger Vollstreckungsbereitschaft. Denn auch dies zeigen die im Buch vorgestellten Einzelschicksale noch einmal schmerzlich auf: wie wenige Menschen es doch im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung waren, die sich offen dem NS-Terror widersetzt haben. Doch setzen genau diese Einsichten die Impulse, die wir in der heutigen Zeit benötigen. Die uns lehren, aufmerksamer zu sein: „Wo existieren gefährliche Entwicklungen? Und wie kann eine wehrhafte Demokratie auf diese reagieren?“ Die facettenreich dargestellten Einzelschicksale geben wohlmöglich Antworten auf diese Fragen. Vielleicht auch nur als Beleg dafür, dass in Osnabrück kritischer auf die Ehrung gewisser Personen geblickt werden muss.  Und dass es keineswegs der Hervorhebung eines Hans Calmeyers bedarf, um der Nachwelt ein „anderes“, ein inspirierendes Osnabrück zu präsentieren. Wie Heiko Schulze abschließend treffend bemerkte: „es gibt nie den hundertprozentig guten Menschen. Aber es gibt viele, die nah dran sind. Das ist unser Ansatz.“


„Eine lebendige, breit getragene Erinnerungskultur“: Aufruf zur Partizipation

Und dieser Ansatz soll weiter verfolgt werden. Denn die Erforschung des Osnabrücker Widerstandes in der NS-Zeit ist mit diesem Buch keineswegs abgeschlossen. Im Anhang des Werkes finden sich die Namen weiterer 70 Persönlichkeiten, deren Biografien und Wirken der Aufarbeitung harren. Auch der Widerstand im Osnabrücker Umland stellt noch eine Wissenslücke dar. Diese zu schließen, ist eine gemeinsame Aufgabe. Die MitgliederInnen des IlEX-Kreises begrüßen daher jede Unterstützung.


Weitere Hinweise

Die begleitende Sonderausstellung „Parolen aus dem Koffer“ in den Räumen der Gedenkstätte Gestapokeller in Hasbergen kann noch bis zum 10. März besucht werden.

Dazu lädt der ILEX-Kreis am Samstag, den 09. März zu einem weiteren Punkt des Begleitprogrammes ein. In einer ca. zweistündigen historischen Radtour durch Osnabrück führen die AutorInnen zu verschiedenen Originalschauplätzen des Osnabrücker Widerstandes. Treffpunkt ist um 11 Uhr vor der ehemaligen „Villa Schlikker“. Die Teilnahme ist kostenlos, mitzubringen ist lediglich ein Fahrrad.

Das Werk „Widerstand im Osnabrück der NS-Zeit. 36 Biografien mutiger Menschen“ ist für 24,40 im Handel erhältlich.


Literaturverzeichnis

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