Villa im Museumsquartier: neuer Lernort mit aktueller Brisanz

Eröffnung des Forums für Erinnerungskultur und Zeitgeschichte

Osnabrücks besitzt nun auch offiziell einen Lernort für Erinnerungskultur und Zeitgeschichte, in dem die NS-Vergangenheit ebenso eine Rolle spielt wie deutliche Brückenschläge zu aktuellen Gefahren infolge rechtsextremer Wahlerfolge. Rund 200 Menschen im Publikum, prominente Gäste und ein vertiefender Blick auf die Ausstellungsräume setzten Markierungspunkte, die Lust auf mehr vermitteln.

Schlussbetrachtungen. Von links: Alfons Kenkmann, Nils Arne Kässens und Wolfgang Beckermann.
Schlussbetrachtungen. Von links: Alfons Kenkmann, Nils Arne Kässens und Wolfgang Beckermann.

Auftakt mit Prominenz

Nach stets eindrucksvollen musikalischen Einlagen vom „Duo Holophon“, für das Holger Becker Piano spielte und Oliver Schöndube Querflötenklänge wie Gesangsbeilagen beisteuerte, oblag es OB Katharina Pötter, die begrüßenden Worte zu sprechen.

„Angesichts der Wahlen, die gerade hinter uns liegen, kommt die Villa mit ihrem Angebot exakt zur rechten Zeit“, leitete Pötter ihre Ansprache mit deutlichem Blick auf die AfD-Wahlerfolge in Thüringen und Sachsen ein. Großen Dank zollte sie den örtlichen Calmeyer-Biografen, dem verstorbenen früheren SPD-Ratsherrn Peter Niebaum ebenso wie dem CDU-MdB Mathias Middelberg, dessen Einsatz auch bewilligte Bundesmittel für die investiven Maßnahmen zu verdanken seien. Pötters Lob fanden ausdrücklich auch konträre Sichtweisen zur Calmeyer-Debatten wie die in den Niederlanden aufgekommene Kritik, die allesamt zur Spannbreite der nun präsentierten Ausstellungsinhalte beigetragen hätten. Freude löse letztendlich auch das in der Villa beheimatete Café Felka aus, für dessen erfolgreiche Trägerschaft sie ausdrücklich den EXIL-Verein würdigte.

Professor Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, konnte als Festredner zur Hauseröffnung gewonnen werden. Harbarth stellte die Eröffnung bewusst in einen Zusammenhang mit dem 75-jährigen Jubiläum des Grundgesetzes. Letzteres sei im Grunde ein in 146 Artikel gegossener Appell „Nie wieder!“, um dauerhaft ein Wiederaufkommen der nationalsozialistischen Terrorherrschaft zu verhindern. Die Villa sei nun erfreulicherweise ein „Lernort der Demokratie“, die „Eröffnung ein mutiges Signal“.


„Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen“

Professor Thomas Lindenberger, Direktor des Hannah-Ahrendt-Instituts für Totalitarismusforschung und Lehrstuhlinhaber an der TU Dresden, war für einen akzentreichen Festvortrag gewonnen worden.

Er nahm dies zunächst zum Anlass, auf Zeiten hinzuweisen, als noch ein führender SA- und NS-Funktionär wie Heinrich Bennecke (1902-1972) als Historiker die NS-Zeit verharmlosen durfte. Ganz offiziell habe er am Institut für Zeitgeschichte lehren und publizieren können, was „beschämend“ sei.

Später, auch mit der seit rund 20 Jahren ausgeformten Erinnerungskultur entwickelte sich glücklicherweise eine gänzlich andere Sichtweise, die auch vor Widersprüchen und Ungereimtheiten nicht haltmachen sollte. Die heutige Zeit benötige „eine eher untröstliche Geschichte, keine tröstliche“. Primor Levi (1919-1987), italienischer Schriftsteller und Holocaust-Überlebender habe mit Blick auf die faschistischen Zeiten einmal gesagt: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.“ Genau deshalb besitze die Osnabrücker Villa im Museumsquartier fortan ihren wichtigen Stellenwert.

NSDAP-Quartier von 1932 bis 1945: Das "Braune Haus".
NSDAP-Quartier von 1932 bis 1945: Das „Braune Haus“.

Runde für ein Resümee

In der abschließenden Diskussionsrunde moderierte Museumsdirektor Nils Arne Kässens ein Gespräch mit Stadtrat Wolfgang Beckermann und Professor Alfons Kenkmann, der als Beiratsvorsitzender maßgeblich zur nun realisierten Ausstellungskonzeption des Hauses beigetragen hatte.

Beckermann lobte einmal mehr, dass die Villa, auch in unmittelbarer Nachbarschaft zum Felix-Nussbaum-Haus und zur Erinnerungsstätte für die ehemalige Synagoge, nunmehr eine Lücke in Museumsquartier wie örtlicher Erinnerungskultur schließe. Angesichts aktueller Wahlerfolge rechtsextremer Parteien in Europa seien ebenso Antworten nötig wie auf eine Studie der Claims Conference unter jungen Menschen in den Niederlanden, nach der beängstigende 23% der Befragten den Holocaust für einen „Mythos“ oder für „übertrieben“ hielten.

Auch dies unterstreiche die Wichtigkeit der neuen Anlaufstelle, die ja auch viele Interessierte aus den Niederlanden anspreche und Erklärungen in der dortigen Landessprache vorhalte. „Die Villa ist zukünftig ein zentraler Ort der Demokratiebildung.“


Villa als „Rückenwind für unsere Demokratie“

Professor Kenkmann gestand auf die Frage Kässens, was ihn an der Übernahme des Beiratsvorsitzes besonders gereizt habe, einen Mehrklang an Beweggründen: Nachbarschaftsdenken als Münsteraner, ein „kontaminierter Ort“ in Gestalt der Villa als ehemaligem NSDAP-Hauptquartier, die ambivalente historische Figur Calmeyers, die Fülle von Impulsen im Zuge der zivilgesellschaftlichen Debatten zum Haus, letztendlich die Herausforderung, in der Villa biografische Geschichte, Jugendgeschichte, Gedenk- wie Erfahrungsgeschichte gleichsam zu präsentieren.

Zumal Deutschland eine Einwanderungsgesellschaft sei, werde zusätzlich dafür gesorgt, dass auch Aspekte wie Fluchterfahrung und Resilienz eine Rolle spielen. Konkret sei zu fragen: „Was verleitet Menschen dazu, widerstandsfähig zu werden?“ Vor allem junge Menschen sollen angesprochen werden: „Jugendliche sollen sich als Erben der Geschichte fühlen, nicht als ihre Waisen. Die Villa muss zukünftig dem Austausch über Geschichte dienen, um unserer Demokratie genau den Rückenwind zu geben, den sie braucht.“

Den eindrucksvollen Schlusspunkt der Außenveranstaltung setzte die Totenklage zum Gedenken an die Shoa, die, wieder einmal, ungemein eindrucksvoll von Baruch Chauskin, Kantor der örtlichen Jüdischen Gemeinde, vorgetragen wurde.

Denkanstöße zur Wertung Calmeyers.
Denkanstöße zur Wertung Calmeyers.

Ausstellungsimpressionen

Seine ersten Eindrücke aus der Ausstellung innerhalb der Villa hat der Autor dieses Beitrags ja bereits dargestellt. https://os-rundschau.de/os-und-umzu/lokalkultur/villa-im-museumsquartier-oeffnet-am-sonntag/

Niemals schädlich kann es allerdings sein, Eindrücke zu vertiefen und zuweilen neue zu gewinnen. Recht gut kann man sich vorstellen, wie vor allem jüngere Besuchende ohne starkes Vorwissen in den Ausstellungsräumen neugierig werden und sich aktiv an den simulierten Entscheidungsstationen beteiligen. Es ist zu hoffen, dass möglichst viele Lehrerinnen und Lehrer, aber auch sonstige Menschen in Lehrfunktion, sich entscheiden, ihre Lerngruppen in die Villa zu führen. Empfehlenswert ist dies für Vereine und Organisationen, speziell auch für Menschen, die in der Polizei, in Justizbehörden oder in öffentlichen Verwaltungen schwierige Entscheidungen über Menschen treffen müssen.


Calmeyer und weitere Biografien

Betritt man die Calmeyer und der niederländischen Besatzungszeit gewidmeten Flächen, wird durchaus das Bemühen deutlich, den Genannten keineswegs zu heroisieren, wie dies viele Befürworter des vom Stadtrat mit großer Mehrheit verworfenen „Calmeyer-Hauses“ immer wieder versucht haben.

Neben zahlreichen Menschen, deren Rettung Calmeyer unzweifelhaft zu verdanken ist, werden auch Opfer seiner negativen Entscheidungen wie Femma Fleijsman-Swaalep präsentiert, die Calmeyer auf Grundlage der Indizien offenkundig – Grund war ein katholischer Vater – vor der Deportation hätte retten können, dies aber offenbar bewusst unterlassen hat.

Schicksale verfolgter Jüdinnen und Juden werden facettenreich dargestellt.
Schicksale verfolgter Jüdinnen und Juden werden facettenreich dargestellt.
Femma: ein Calmeyer-Opfer kommt zu Wort.
Femma: ein Calmeyer-Opfer kommt zu Wort.
Auch Reilingers Schicksal ist Thema.
Auch Reilingers Schicksal ist Thema.
Ein spielerisches Votum fördert die Meinungsbildung.
Ein spielerisches Votum fördert die Meinungsbildung.

Ebenso erwähnt wird Kurt Reilinger, über dessen Schicksal der Osnabrücker Historiker Karl Kassenbrock sein lesenswertes Buch „NANNO. ONDERDUIKER IM RETTUNGSWIDERSTAND“ und einen Artikel in der OR verfasst hat.

Bei den präsentierten Biografien wäre es allerdings wünschbar gewesen, neben Fritz Szalinski, Josef Burgdorf oder Goswin Stöppelmann auch weitere Persönlichkeiten des von OR und ILEX-Gruppe präsentierten Bandes „Widerstand im Osnabrück der NS-Zeit“ zu präsentieren.

Widerständler Goswin Stöppelmann ist Raum gewährt.
Widerständler Goswin Stöppelmann ist Raum gewährt.

Andererseits sei eingestanden, dass wenig Ausstellungsraum der historischen Komplexität stets enge Grenzen setzt. Das künftige Foren-Programm dürfte ausreichend Gelegenheit geben, auch in dieser Hinsicht weitere Schwerpunkte zu setzen. Denn eines macht den besonderen Vorzug des Hauses aus: Nichts aus der hier präsentierten Reflexion ist für immer in Stein gemeißelt. Es ist ein Gebäude des kritischen Dialogs und der permanenten Weiterentwicklung.


Kritik und Verbesserungsmöglichkeiten

Abgeschlossen werden soll, trotz des rundum positiven Gesamteindrucks, mit einer Schwäche, die insbesondere zwei niederländische Gäste geäußert haben. Beide waren ausgewiesene Calmeyer-Kritiker und Mitinitiatoren der dortigen „Anti-Calmeyer-Haus-Initiative“ in den Niederlanden. Sie hatten sich gern und voller Neugierde auf den Weg zur Hauseröffnung gemacht. Namentlich waren es der renommierte Philosophie-Professor Johannes-Max van Ophuijsen und der bekannte Soziologe Martin Sijes.

Johannes-van Ophuijsen mit OR-Redakteurin mit dem OR-Widerstandsbuch - und Ausstellungs-Guide Anna Asbrock.
Johannes-van Ophuijsen mit dem OR-Widerstandsbuch – und Ausstellungs-Guide wie OR-Redakteurin Anna Asbrock.

Beide schätzten gegenüber dem Autoren des Artikels durchaus das Bemühen, besonders junge Menschen mit einem anspruchsvollen didaktisch-methodischen Konzept anzusprechen.

Harsche Kritik traf allerdings jenes zeitlich kurz gehaltene Eingangsvideo, das Besuchende unmittelbar am Anfang im Gebäude erwartet. Hierin wird Calmeyer symbolisch in einer Menschengruppe gezeigt. Als einziger unter ihnen wird er optisch mit einer Art Scheinwerferlicht bedacht und mit der Etikettierung „Nur wenige leisteten Widerstand oder versuchten, Verfolgte vor ihrer Ermordung zu retten“ versehen. „Da macht man Calmeyer wieder mal zum Helden. Das ist äußerst fragwürdig“, sagte Martin Sijes – was der Autor dieses Beitrags ausdrücklich teilen muss.

Calmeyer im "Rampenlicht".
Calmeyer im „Rampenlicht“.

Eine weitere, sehr erhebliche Schwäche des Films ist die anfängliche Feststellung, dass die Nationalsozialisten „im März 1933 nach demokratischen Wahlen“ zur Macht kamen.

Wahr ist dagegen: Angesichts der schon unter Terror stattgefundenen Reichstagswahl, in der Sozialdemokraten wie Kommunisten in den letzten Wochen keine Aktivitäten mehr erlaubt waren, errang die NSDAP trotzdem nur 43,9 % und gelangte allein durch eine Koalition mit den Deutschnationalen (8%) an die Macht.

Kurzum: Dieses Detail sollte unbedingt korrigiert werden. Das Video im Entree des Hauses besitzt immerhin den Charakter einer dreisprachigen Visitenkarte. Deshalb mag es erlaubt sein, hier die Kritik anzunehmen und filmische Korrekturen anzudenken.

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