Dienstag, 24. September 2024

Ein Sieg ohne Gewinn? Zur Landtagswahl in Brandenburg

Ein Sieg ohne Gewinn?
Zur Landtagswahl in Brandenburg

Das war knapp. Mit einem fulminanten Schlussspurt gelang es der angeschlagenen SPD in ihrem Stammland Brandenburg – seit der Wiedervereinigung stellt sie hier die Ministerpräsidenten – die AfD vom ersten Platz zu verdrängen. Im Juli führte die AfD noch mit 23 zu 19 Prozent vor der SPD bei den Umfragen. Dann setzte der äußerst populäre Ministerpräsident Dietmar Woidke alles auf „seine“ Karte. Sollte die SPD nicht stärkste Partei werden, d.h. die AfD auf Platz zwei verweisen, werde er sein Amt als Ministerpräsident niederlegen. (Sein Direktmandat verlor er pikanterweise um sieben Stimmen an die AfD.)

Um dieses Ziel zu erreichen verzichtete er auf Wahlkampfunterstützung aus Berlin und dem Kanzleramt. Ob das entscheidender war als die Befürchtung vieler, die AfD könnte auch hier zur stärksten Partei werden, lässt sich letztlich zwar nicht klar beantworten, aber sicher ist, dass aus der Berliner Ampel für die SPD mehr Gegen- als Rückenwind kam.

Woidkes SPD schaffte mit der Popularität ihres Spitzenmannes eine Steigerung der Stimmen von 19 auf fast 31 Prozent und verwies die AfD mit 29,2 Prozent auf den zweiten Platz. Das kann man als einen Riesenerfolg werten. Aber dazu gehört auch die Nennung des Preises. Woidkes Wahlsieg beruht nicht auf einer Schwächung der AfD, denn die wuchs in diesem polarisierenden Endspurt ebenfalls. Anfangs mehr als die SPD, aber dann kam in den letzten Wochen die nicht zwingend zu erwartende Wende.

Was die SPD gewann, ging außer den üppigen Nichtwählerstimmengewinnen zu Lasten der der bisherigen Koalitionspartner in Brandenburg, nicht allein der Ampelpartner in Berlin. So ist einer der großen Verlierer dieser Wahl die CDU, die mit 12,1 Prozent eines ihrer schlechtesten Landtagswahlergebnisse in einem Bundesland nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt einfuhr. Da ein drohender Absturz der CDU kein demoskopisches Geheimnis war, erklärt das wohl die plötzliche Eile von Friedrich Merz, sich schon vor dieser Wahl zum Kanzlerkandidaten der Union auszurufen, was am Montag nach diesem Debakel wohl weniger klar gewesen wäre.

Aber Merz und seine CDU muss aus dieser Schlappe eine wesentliche Erkenntnis mitnehmen, die ihren derzeitigen Umfragehoch auf Bundesebene Dellen verpasst. Sie profitiert von dem desaströsen Zustand der Berliner Ampel und dem desolaten Ansehen des Kanzlers, der nach dem momentanen Stand der Dinge kaum die Gefahr versprüht, eine an Woidke anknüpfende Aufholjagd auf Bundesebene starten zu können. Er ist genauso unbeliebt wie sein Herausforderer Merz.

Die CDU wird mit Blick auf die Asyl- und Zuwanderungsdebatte an der Erkenntnis nicht vorbeikommen, dass man die AfD nicht dadurch „halbiert“, dieses hat Merz als sein Ziel ausgegeben, indem man ihre Themen so „ernst“ nimmt, dass man sie komplett kopiert. Da bewahrheitet sich die längst vertraute Erkenntnis, dass Originale glaubwürdiger sind als die Kopie.

Die Sieg Woidkes über die AfD beruht einerseits auf Stimmenzuwachs der SPD aus dem Nichtwählerreservoir. Die Wahlbeteiligung stieg von 61,3 auf 72,9 Prozent und da fiel für die SPD relativ viel ab. Allerdings auch für die BSW und AfD. Andererseits gingen die Stimmengewinne auch auf Kosten der anderen Parteien. Neben der CDU sind die ganz großen Verlierer die Grünen, die 6,7 Prozentpunkte verloren, mehr als halbiert wurden und damit unter die fünf Prozentmarke fielen und nicht mehr im Landtag sind. Gleiches passierte der einst starken Linke, die 7,7 Prozentpunkte einbüßte und bei 3,0 endete.

Mit den Stimmenzuwächsen starben der SPD zugleich die potenziellen Koalitionspartner weg. Womit sie vor einem Dilemma steht, denn die bisherige Rot-Schwarz-Grüne Regierung ist faktisch abgewählt und die neuen Mehrheitsverhältnisse sind vergleichbar kompliziert wie in Thüringen. Zudem verfügt die AfD in Brandenburg über eine Sperrminorität, denn alle Entscheidungen, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern, hängen nun am Verhalten der AfD.

Da auch SPD und CDU gemeinsam um einen Sitz eine Mehrheit im Parlament verfehlen, bleibt der SPD rein arithmetisch betrachtet eigentlich nur der Biss in den sauren Apfel, mit dem BSW zu koalieren. Und das könnte sehr teuer werden, wie für die CDU in Thüringen. Schlimmstenfalls drohen hier Zustände der Unregierbarkeit, denn das BSW zeigt kein Interesse daran, als Nothelfer in eine Allparteienkoalition zwecks Verhinderung der AfD einzugehen. Die CDU in Brandenburg hat schon das Gesprächsangebot Woidkes zurückgewiesen.

Wenn der Trend dahin geht, dass die politische und soziale Mitte der Gesellschaft so ausgedünnt wird, dass nur noch eine Allparteienkoalition die AfD in Schach halten kann und dadurch das BSW zum Zünglein an der Waage aufsteigt, geht die uns noch vertraute parlamentarische Demokratie ihrem Untergang entgegen.

Den Untergang der FDP wird man bei ihrem derzeitigen Zustand kaum beklagen müssen. Sie schwingt sich auf Bundesebene gerade mit Ultimaten auf, die Ampel so unter Druck zu setzen, dass sie zerbricht oder rausgeworfen wird, was allerdings die Möglichkeit des endgültigen Endes bedeuten könnte. Als Mehrheitsbeschaffer für die Union ist sie nicht mehr von strategischem Interesse, denn alle für sie relevanten Inhalte kann die FDP-Klientel auch bei der Merz-Union abrufen. Die FDP ist für die Union eher gefährlich, denn sie könnte ein Wählersegment abschöpfen, das dann durch eine an der Fünfprozenthürde scheiternden FDP versenkt würde oder sie so stark machen würde, dass sie der Union Assoziationen an die Ampel bescheren wird.

Auch wenn Brandenburg und die anderen Ostbundesländer nicht die gesamte Republik abbilden, es gibt ein paar beängstigende Entwicklungstrends, die sich hier ankündigen. Dazu gehört das Wahlverhalten der Jungwähler. Mit einem Zuwachs von 13 Prozentpunkten liegt hier die AfD mit 31 Prozent vor der SPD mit 19, die immerhin einen Zuwachs von 7 Prozent verbuchen kann. Dass die AfD daraus schon ableitet, sie sei deshalb auch die Partei der Zukunft, unterschlägt die Rasanz, wie sich nachweislich Stimmungen ändern können. vor fünf Jahren lag in diesem Wählersegment noch die Zukunft der Grünen, die aber in diesem Wählerteil 21 Prozent verlor und auf sechs Prozent abstürzt.

Bei den Arbeitern kann die AfD mit 40 zu 24 Prozentpunkten gegenüber der SPD auftrumpfen. Bezeichnend ist auch die Skala der wichtigsten Themen in der Gesamtwählerschaft, die am meisten Sorgen bereite: Kriminalität steht mit 73 (ein Plus von 15) und der Bedrohung durch den Islam mit 70 (ein Plus von 16) Prozentpunkten weit oben. Schutz des Klimas sinkt um 13 Punkte auf 56 und nimmt nun einen der hinteren Plätze der „größten Sorgen“ der Gegenwart ein. Interessant und beängstigend zugleich ist, wie schnell sich hier alles ändert.

Dass der Spitzenkandidat der AfD kurz vor der Wahl forderte, alle Asylbewerber und Flüchtlinge aus der Ukraine von öffentlichen Veranstaltungen wie Volksfesten auszuschließen, wird hier ohne öffentliche Empörung mit Zustimmung quittiert. Es steht nunmehr fest, dass die AfD nicht trotz, sondern offenkundig auch wegen solcher unglaublichen Forderungen gewählt wird. Die AfD-Wähler sind keine Patienten, denen man zum rechten Weg zurück verhelfen kann, sie sind politische Gegner und teilweise auch mehr, denn sie selbst definieren sich in Teilen als „Feinde des Systems“, womit die Demokratie gemeint ist.

Das wirft Fragen auf, die einer gängigen Erklärung für die AfD-Erfolge ihre Plausibilität entziehen. Es geht hier nicht um Benachteiligte welcher Art auch immer, nicht um Ost gegen West, es geht um Ost gegen Ost wie auch im Westen gegen gänzlich andere Wertorientierungen, die man nicht ernst nehmen sollte in dem Sinne, dass man Verständnis   für die aufbringt, sondern die es zu bekämpfen gilt. Dazu sollte man allerdings die leichtfertig genutzte Nazi-Keule nicht schwingen.

Die Herausforderung besteht darin, den Parolen der AfD über den Zustand der – für sie dem Untergang geweihten – Republik, der von den Unionsparteien leichtfertig befeuerte wird, nicht nur Realitäten entgegenzuhalten. Brandenburg hat sich in ökonomischer Hinsicht zwar zu einem Boomland gemausert, aber das hat die AfD-Anhänger in ihren Untergangsphantasien nicht interessiert. Wir stehen hier vor einem bislang unerprobten Kampf, denn wir leben in einer Welt, wo die gemeinsam geteilten „Wahrheiten“, u.z. in der Wahrnehmung der Realität wie der angestrebten Ziele, nicht nur zu einer knappen Ressource werden, sondern zu einer tiefen Spaltung der Gesellschaft in jeglicher Hinsicht führen. Wir leben schlicht nicht mehr in der gleichen Welt. Welche Welt wir eigentlich wollen, verlangt von uns Klarheit und entschiedenes Engagement, um nicht nur abstrakt Denkbares, sondern Dinge zu verhindern, die konkret angekündigt werden.

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