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Gottliebs Geister

Heute Abend beginnt Jom Kippur

1878, im Jahr vor seinem frühen Tod, malt ein 22-Jähriger ein Bild, das heute als das weltweit häufigst reproduzierte Kunstwerk mit jüdischer Thematik gilt. Wer war Maurycy Gottlieb, der junge Schöpfer? Wer und was versteckt sich hinter den Figuren auf seinem berühmten Gemälde „Juden in der Synagoge am Jom Kippur“? 

Krakau, 19. Juli 1879. Der polnische Historienmaler Jan Matejko an seine Frau: „[…] es kam mir vor, als würde ich träumen, ich drehte die [Trauer-]Karte [für Maurycy Gottlieb] in alle Richtungen, als wollte ich eine Erklärung für den Fehler finden. […] Ich ging zum ersten Mal in meinem Leben zu einer jüdischen Beerdigung – ich sah dort seinen Vater, den alten Gottlieb; der arme Kerl konnte nicht weinen, er war wie betäubt; er dankte mir für die Freundschaft zu seinem Sohn […]. Es war erschreckend, diesen Mann anzusehen. Ein Regen mit Donner, wie ich ihn schon lange nicht mehr kannte, beendete die traurige Zeremonie […].“

Der 23 Jahre junge Maler Maurycy Gottlieb war zwei Tage zuvor gestorben, wenige Stunden nachdem ihm ein eitriges Geschwür aus dem Hals operiert worden war. Er hatte sich trotz einer starken Erkältung nicht behandeln lassen und war erst ins Krankenhaus gebracht worden, als er (vermutlich infolge einer Angina pectoris) kaum noch atmen konnte. Übrig geblieben sind um die 300 vollendete und unvollendete Bilder, die er in dem kurzen Zeitraum von sechs Jahren gemalt hatte, und von denen „Juden in der Synagoge am Jom Kippur“ heute das am häufigsten reproduzierte Kunstwerk mit jüdischer Thematik überhaupt ist.

Maurycy (Mojżesz, Moses, Moritz) Dawid Gottlieb wurde am 28. Februar 1856 in der galizischen Kleinstadt Drohobycz, 100 Kilometer südlich von Lemberg (Lviv) geboren, damals Österreich-Ungarn, heute Ukraine, und Geburtsort etlicher bekannter jüdischer Künstler wie Ephraim Moses Lilien, Bruno Schulz und Elisabeth Bergner. Sein Vater Izaak (Itzik) Szymon Gottlieb, Besitzer einer Ölraffinerie in Drohobycz, kam beruflich viel in großen Städten herum und ließ seine zwölf Kinder deutsch- und polnischsprachig und im Geist der Haskala, der jüdischen Aufklärung, erziehen – gottgläubig und modern-integrativ zugleich. Die Hälfte hatten polnische Namen (Marcin, Jadwiga, Filip, Leopold etc.), vier Söhne wurden Maler, einer Anwalt, eine Tochter Lehrerin, und schon Maurycy, seinen ersten Sohn, schickte er nach dem Cheder mit sieben Jahren auf eine Grundschule der katholischen Basilianer. Der Kleine war jedoch ein schlechter Schüler, der sich ausschließlich für Geschichte und Zeichnen interessierte. Er musste auf eine Mittelschule in Drohobycz wechseln und anschließend auf ein deutsches Gymnasium in Lemberg. Sensibel, romantisch und melancholisch veranlagt, kam der Junge weder hier noch da klar; das Regime war streng, die Mitschüler beschimpften ihn als Juden und schließlich flog er von der Schule, weil er seiner Leidenschaft gefrönt und die Karikatur eines Lehrers gezeichnet hatte.

Aber Vater Gottlieb hatte das ungewöhnliche Talent des Jungen erkannt. Jüdisches Bilderverbot hin, Bilderverbot her – er bezahlte ihm privaten Zeichenunterricht beim Landschafts- und Porträtmaler Michał Godlewski und schon mit 15 Jahren nahm ihn die Wiener Akademie der bildenden Künste als Schüler auf. Maurycy besuchte die Fakultät für Historienmalerei, verschlang wie viele seiner Generation die „Geschichte der Juden“ von Heinrich Graetz und dann sah er 1873 in der großen Weltausstellung in Wien die Werke, die ihn wirklich entzündeten. Vor allem war es das patriotisch-romantisch-tragisches Bild „Rejtan“ von Jan Matejko über die schicksalshafte Sejm-Sitzung, auf der die erste Teilung Polens beschlossen worden war. So wollte er auch malen! Zumal er das Schicksal der Polen dem der Juden nicht unähnlich fand „Ich bin Pole und Jude und möchte, so Gott will, für beide arbeiten“ – schrieb Maurycy an einen Freund, und seinen Vater bat er darum, bei Matejko in Krakau studieren zu dürfen.

Dem Großmeister gefielen seine Arbeiten und so wechselte Gottlieb von Wien als jüngster Schüler an die Schule der Schönen Künste in Krakau. Durch Matejko wurde die Geschichte Polens zu Gottliebs Geschichte, der sich nun auch selbst im Habitus eines polnischen Adligen malte. Doch, er hatte „allzu voreilig geglaubt, die Mauer, die mich von allen anderen Völkern trennte, sei gefallen, die ganze Welt stehe mir offen, ich sei ein Bruder und Freund der gesamten Menschheit (…)“.  Denn seine Kommilitonen erinnerten ihn schmerzhaft und unmissverständlich daran, dass er nicht ihresgleichen war. Die judenfeindliche Stimmung in Krakau führte nicht nur dazu, dass Gottlieb das jüdische Volk fortan in einem romantischen Licht darstellte, sondern auch dazu, dass er nach Wien zurückkehrte. Dort waren die Professoren allerdings wenig begeistert von seinem neuen Matejko-Stil und schon nach ein paar Monaten bat er Matejko um ein Empfehlungsschreiben für die Akademie der Bildenden Künste in München. Er wurde angenommen, studierte bei Karl von Piloty und Alexander Wagner und entdeckte in der Pinakothek Rembrandt (und dessen positiven Juden-Darstellungen) für sich. Gottlieb begann Bilder mit jüdischen Motiven im Rembrandt-Stil zu malen – eine jüdische Hochzeit, einen Tora-Schreiber, ein Selbstporträt als Ahasver, den Freidenker Uriel Da Costa, der von der jüdischen Gemeinde wegen seiner ketzerischen Ansichten geächtet und so gedemütigt wurde, dass er schließlich Selbstmord beging, und „Shylock und Jessica“, auf dem sich der alte Shylock aus Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“ liebevoll von seiner Tochter verabschiedet. Mit diesem (verschollenen) Bild gewann er die Goldmedaille der Akademie, es machte ihn bekannt und wurde in diversen Ausstellungen gezeigt.

Ende 1876 kehrte Gottlieb zum dritten Mal nach Wien zurück. Hier lehrte ein weiterer seiner Lieblingsmaler: Hans Markart, und hier geschah das wichtigste Ereignis in seinem Leben: Er traf die gebildete, schöne Laura Rosenfeld, verliebte sich unsterblich und machte ihr einen Heiratsantrag, den sie auch annahm. Gottlieb war überglücklich, er schrieb ihr innigliche Briefe und verewigte sie auf zig Bildern. Doch er pendelte auch weiter ruhelos zwischen Wien, Drohobycz, Krakau und Budapest hin und her, und die Antworten der Angebeteten wurden immer knapper und kühler. Schließlich löste Laura die Verlobung wieder auf; sie hatte sich in einen anderen verliebt. Gottlieb war am Boden zerstört. Er versuchte, Laura zu vergessen, stürzte sich in die Arbeit und malte das monumentale, mysteriöse Bild, das sich heute auf jedem zweiten Beitrag zu Jom Kippur, auf Tassen, Postkarten, T-Shirts und Buchumschlägen wiederfindet.

Was sehen wir da? Den Innenraum einer Synagoge mit Buntglasfenstern, wie sie in Drohobycz ausgesehen haben mag. Vorn eine pyramidenförmige Komposition aus neun männlichen Figuren, die Tradition und Spiritualität vermitteln (wobei die Tora-Rolle auch den „zehnten Mann“ symbolisieren könnte – den Geist als Grundlage für die Materie); über ihnen eine für diese Zeit ungewöhnlich offene Frauengalerie und zehn weltlich-zeitgenössisch wirkende Frauenfiguren. In zweien von ihnen erkennen wir Gottliebs (Ex-)Verlobte Laura wieder – links von der Säule mit einem Gebetbuch in der Hand, und rechts davon, wie sie sich zu ihrer Mutter vorbeugt. Dann haben wir rechts neben der Säule noch Gottliebs Mutter Felicja neben seiner Lieblingsschwester und Vertrauten Anna, die einzige Person auf dem Bild, die dem Betrachter direkt in die Augen schaut, während alle anderen Personen in sich hinein zu blicken scheinen.

Maurycy selbst finden wir gleich dreimal auf dem Bild: Unten links als kleinen Jungen in einem altertümlichen orientalischen Gewand, mit einer Davidstern-Kette und seinen Initialen M.G. in hebräischen Buchstaben. Unten rechts liest er als Teenager im Bar-Mizwa-Alter mit seinem Vater in einem Buch. Und zentral in der Mitte des Bildes steht er, den Kopf in die Hand gestützt, als der junge Mann, der er zu dieser Zeit war, mit derselben Halskette wie sein kleines Ich, aber hier in einem exotischen bunt-gestreiften Mantel, der eigentlich nicht zu Jom Kippur passt, wo für gewöhnlich weiße Kleidung getragen wird. Indirekt hat sich Gottlieb aber noch ein viertes Mal auf dem Bild verewigt, nämlich als Toter. Der Tora-Mantel im Vordergrund trägt die Inschrift: „Keter Tora / Gestiftet / zum Gedenken an / die Seele unseres verstorbenen Lehrers Mosche Gottlieb seligen Angedenkens / im Jahr 5638 [1878]“

Gottlieb hat das Bild etwa zehn Monate vor seinem Tod beendet und die irritierende Inschrift hat verständlicherweise viel Aufsehen erregt. Dem Schriftsteller Natan Samueli, der schrieb, Gottlieb habe sie auf Wunsch seines Vaters entfernt, kurz vor seinem Tod aber wieder angebracht, antwortete Maurycy auf die Frage, warum er die Konterfeis Verstorbener und eine Inschrift zu seinem eigenen Gedenken in das Bild eingearbeitet habe: „[…] ich kann es mir auch nicht erklären. Aber als ich das Bild malte, kam ein unerklärlicher Geist zu mir […] Meine Verwandten, die schon lange gestorben sind, schauen mich mit ihren toten Augen an, als wollten sie mich anflehen: ‚Mach uns wieder lebendig!‘ […] Und ich zeichnete einige von ihnen aus der Erinnerung und einige von alten Familienfotos […] und wie diese Toten wurde mir plötzlich klar, dass auch ich nicht ewig leben werde, und dass ich bald zu dem Boden zurückkehren werde, von dem ich gekommen bin. Und dann lenkte plötzlich eine unsichtbare Hand meinen Stift – und ich stand vor dieser Inschrift und war verwirrt wie jemand, der zu Lebzeiten seinen Grabstein sieht.“

Am Buß- und Versöhnungstag Jom Kippur wird auch das Buch des Lebens versiegelt, das Schicksal aller Lebenden für das kommende Jahr entschieden und der Toten gedacht. Vielleicht war es also eine Art unbewusste Todessehnsucht, so, wie die „Familienaufstellung“ auf dem Bild Gottliebs eigenen Lebensweg widerspiegelt, seine Zerrissenheit zwischen Polnisch- und Jüdisch-Sein, sein Außenseitertum in beiden Welten, vielleicht auch Schuldgefühle. Als Gymnasiast hatte er nämlich ein Erlebnis, das er später als seine „erste Sünde“ bezeichnete. Zur Überraschung seiner christlichen Lehrer und Mitschüler und um sich nicht von ihnen zu unterscheiden, war er am Jom Kippur, dem heiligsten Tag des jüdischen Jahres, mit seinem Skizzenbuch in der Schule erschienen und hatte gezeichnet, während seine Familie den Tag in der Synagoge verbracht hat. „Später an diesem Tag kam ich mit einem schrecklichen Schuldgefühl nach Hause, das mein Gewissen überflutete. Als man mich fragte, wo ich gewesen sei, wurde ich zuerst rot, dann blass, und meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich wusste keine Antwort.“

Gottliebs melancholische Komposition zeigt eine jüdische Welt, die durch die Säkularisierung, aber auch durch die Anfeindungen von außen zu „bröckeln“ beginnt, zugleich aber gehören Frauen für ihn selbstverständlich zu seiner Welt und stellt er die Tora-Rolle trotzig in die Mitte wie eine zentrale Säule der jüdischen Existenz, und wenn man genau hinsieht, erkennt man rechts an der roten Wand über dem halbwüchsigen Maurycy-Moses noch einen Vers aus dem 4. Buch Mose: „Wenn die (Bundes-)Lade aufbrach, so sprach Mose: Stehe auf, Herr, dass deine Feinde sich zerstreuen, und deine Hasser vor dir fliehen! Und wenn sie ruhte, so sprach er: Kehre wieder, Herr, zu den Myriaden der Tausenden Israels!“

Durch seine Aufsehen erregenden Bilder, die nach Integration und Selbstbehauptung zugleich schreien, wurde der liberale Politiker, Kunstliebhaber und Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wiens, Ignaz Kuranda, auf Gottlieb aufmerksam. Der porträtierte auch ihn und gestand ihm, es sei sein Traum, Rom zu sehen. Kuranda ermöglichte ihm den Studienaufenthalt in Italien, und der nun 22-Jährige war fasziniert von den vielen Kunstwerken, die ihn dort umgaben. Er skizzierte Motive im Ghetto von Rom und begann einen Zyklus zum Leben Jesu, der bei ihm mit Schläfenlocken und Tallit als ganz normaler Mensch/Jude daherkommt.

Maurycy wollte gern länger in Rom bleiben. Aber Izaak Gottlieb, der nach einem Großbrand seiner Fabrik kurz vor dem Bankrott stand, konnte seinem Sohn kein Geld mehr schicken und die Gemeinde in Drohobycz hatte seine Bitte um Unterstützung mit der Begründung abgelehnt, sie würde ihr Geld lieber „für Maurer als für Maler“ ausgeben. Doch dann kam im Dezember sein früherer Lehrer Jan Matejko nach Rom und die gesamte polnische Exil-Gemeinde eilte herbei, um den Meister zu sehen. Es gab ein großes Bankett zu seinem Ehren und hier umarmte und küsste Matejko seinen Lieblingsschüler Gottlieb in aller Öffentlichkeit, nannte ihn den größten polnisch-jüdischen Maler, und bot ihm an, ein Atelier an der Kunstschule in Krakau zu übernehmen.

Das konnte und wollte Maurycy Gottlieb, der davon träumte, zur polnischen Gesellschaft zu gehören, ohne seine jüdische Identität aufgeben zu müssen, nicht ablehnen. Das erste Bild, das er nach seiner Rückkehr nach Krakau Anfang 1879 malte (es ist verschollen), hatte so auch gleich die Legende von Kazimierz III. und seiner jüdische Geliebten Esterka zum Thema, die ihn 1264 dazu veranlasst haben soll, die Charta von Boleslaw zu unterzeichnen, die Juden Aufenthaltsrecht in Polen gewährte und die dazu führte, dass vor allem wegen der Pest verfolgte deutsche Juden in großer Zahl gen Osten zogen (und so die Väter und Mütter des aschkenasischen Judentums wurden).

Der junge Maler, der wie getrieben, ein Bild nach dem anderen begann, dachte zwar immer noch an Laura Rosenfeld, doch er verliebte sich wieder, in eine ähnlich schöne junge Frau mit ähnlichem Namen: (Karolina) Lola Rosengarten. Nachdem er mit ihr und ihrem Vater Ferien in Truskawez und Lemberg gemacht hatte, war er entschlossen, nun Lola zu heiraten. Anfang Juli 1879 fuhr er in Begleitung Lolas und ihres Vaters nach Wien. Doch als er dort hörte, dass Laura gerade den Berliner Bankier Leo Henschel geheiratet hatte, reiste Gottlieb überstürzt und allein wieder ab. Zurück in Krakau, soll er dann ziellos durch die nächtlichen Straßen gelaufen und sich die Erkältung eingefangen haben, die schließlich zu seinem Tod geführt hat…

Über diese Todesumstände wird viel spekuliert. Gottliebs Ex-Verlobte (sie wurde später eine bekannte Sozialarbeiterin und Autorin, war in der Feminismus- und Menschenrechtsbewegung aktiv und ist 1944 in Auschwitz ermordet worden) behauptete damals zumindest in ihren Tagebüchern, der Maler habe sich „wegen ihr umgebracht“. Doch es lässt sich wohl nicht mehr endgültig klären, ob sich der zu Depressionen neigende Gottlieb tatsächlich mit Absicht dem kalten Regenwetter ausgesetzt hat, weil er nach Lauras Heirat nicht mehr leben wollte, oder ob er seine Erkrankung nicht ernstgenommen und einfach nur zu spät ärztlich behandelt worden ist.

Jan Matejko beendete den Bericht an seine Frau über die Beerdigung seines Schülers und Jüngers mit dem Satz: „Es ist so schade um ihn, abgesehen von seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten war er ein Mann voller edler Taten und einer Natur, die jeden, der ihn kannte, mit seiner Freundlichkeit und Selbstlosigkeit in seinen Bann zog.“
Im Nachruf des Medizinhistorikers und Politikers Prof. Józef Oettinger heißt es (übersetzt), Maurycy war ein „Morgenstern für dieses Land und insbesondere für seine Stammesgenossen“ , er „liebte seinen Stamm und sein Heimatland nicht nur mit seinem Herzen, sondern auch mit seinem Pinsel und umgab sie mit einem wunderbaren Charme“ ; seine Kunst beherberge „die Blüte der menschlichen und sozialen Wertschätzung“ .

Feststeht, dass Maurycy Gottliebs Bilder ganz wesentlich zur Popularisierung der gegenständlichen Kunst in der jüdischen Community beigetragen haben – ob mit den orientalischen Motiven wie „Sklavenmarkt in Kairo“ oder „Vertreibung der Mauren aus Granada“, ob mit den biblischen wie „Judith und Holofernes“, mit Salome, Recha oder Shulamit, ob mit seinen Porträts jüdischer Prominenter oder eben mit den „Juden am Jom Kippur“. Nach seinem Tod wuchs die Schar seiner Verehrer immer weiter an und 1892 sammelten einige von ihnen Geld für einen Granitobelisken, der heute noch über seinem Grab auf dem Friedhof in der Ulica Miodowa steht und die Inschrift trägt (übersetzt): „Maurycy Gottlieb… Poet – Maler. Mit Farben schrieb er erhabene Lieder / Für die Brüder, die er liebte / Der Tod riss ihn zu früh aus der Welt. / Die Welt hat sein Andenken bewahrt. 

Aber wie das so ist mit dem „Andenken“ und der „menschlichen Wertschätzung“. In den 1970er-Jahren hing in einer Dauerausstellung des Beit-Hatfutsot-Museums in Tel Aviv über mehrere Jahre lang eine Kopie von Gottliebs berühmtesten Gemälde, auf der die Frauen übermalt und durch einen Kronenleuchter ersetzt worden waren, da sich die Museumsleitung trotz heftiger Proteste von Feministinnen geweigert hat, in die Ausstellungsgestaltung des Museumsgründers Abba Kovner einzugreifen, der ein Problem damit hatte, dass Frauen die Trägerinnen des Wandels in den osteuropäischen Gemeinden waren und lieber ein nostalgisch verklärtes Bild der dortigen Verhältnisse zeigen wollte:)

Judith Kessler
Judith Kessler
Judith Kessler ist Sozialwissenschaftlerin, Redakteurin und Autorin mit den Schwerpunkten jüdische Migration, Gegenwartskultur und Biografieforschung.
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