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Freitag, 9. Mai 2025
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Der Eiertanz der CDU oder der Fall einer Brandmauer

Gedanken nach der Voigt-Wahl in Thüringen

„Freitag der 13.“ gilt eigentlich als Unglückstag. Für die Thüringer CDU war es ein Glückstag. Ihr Kandidat Mario Voigt wurde ohne eigene parlamentarische Mehrheit im ersten Wahlgang zum Ministerpräsidenten gewählt. Obwohl seine Dreierkoalition mit der SPD und dem BSW nicht einmal für eine eigene Mehrheit reichte.

Um die von Verfassungsschutz als rechtsradikal eingestufte Höcke-AfD in Schach zu halten, brauchte Voigt mindestens die Stimme seines langjährigen Amtsvorgängers Ramelow von der Linkspartei, des einzig erprobten dauerhaften Ministerpräsidenten in einer Minderheitsregierung.

Mario Voigt bekam mehr als dessen Stimme aus der Fraktion der Linkspartei. Dadurch wurde Voigt die peinliche Wiederholung erspart, die Thüringen schon einmal durch die Wahl eines FDPlers mit Hilfe der AfD in einen schlechten Ruf einbrachte. So wurde seine Wahl nicht nur für die Linkspartei und für Thüringen durch Ausschluss der AfD zum Glückstag, sondern darüber hinaus auch für die politische Kultur Deutschlands.

Für Voigt und die gesamte CDU plus CSU war und ist diese Wahl ein Drahtseilakt, denn mit der „Tolerierung“ durch die Linke und deren „staatsmännisches“ Verhalten ist man zwar einer formellen Koalition gerade noch entkommen, aber das ersatzweise vereinbarte „Parlamentarische Pflichtenheft“ ist davon auch nicht gerade Lichtjahre entfernt. Es enthält Vereinbarungen über regelmäßige Konsultationen und Absprachen bei Gesetzesvorhaben, denn die Linkspartei war nicht nur für die Wahl Voigts unabdingbar, sie wird für jedes Gesetzgebungsverfahren diese Rolle einnehmen. Um die AfD in diesem merkwürdigen Bundesland aus der Regierung zu halten, bedarf es schon einer Allparteienkoalition.

Das bringt die Linkspartei einerseits in eine komfortable Rolle des mehr oder weniger heimlichen Mitregenten, denn ohne sie geht nichts mehr, außer die Regierung stützt sich auf die Stimmen der AfD als Mehrheitsbeschaffer. Die Schattenseite dieser Rolle als Vetomacht ist allerdings, dass die Linke zugleich auch die Oppositionsrolle übernehmen muss, wenn sie die nicht komplett der AfD überlassen will. Das dürfte dann ein Drahtseilakt für die Linke werden, wobei sie darauf bauen und hoffen darf, mit Bodo Ramelow für dieses schwierige Unternehmen den wohl fähigsten Politiker Deutschlands zu haben.

Politisch gelingt der Linken mit ihrem Coup in Thüringen eigentlich ein Befreiungsschlag. Sie entkommt jener Schmuddelecke als ewige „Nachfolgepartei der SED“, für deren Untaten in Haftung genommen zu werden und von der selbsternannten „Partei der Mitte“ dafür abschreckungsfähig des Totalitarismus bezichtigt zu werden. Aber was für die Linke eine Entlastung, mehr noch der Beginn der „Politikfähigkeit“ bedeutet, ohne dadurch mit der für das parlamentarische Überleben im Bund erforderlichen Stimmenernte als Belohnung rechnen zu dürfen, bringt den Nutznießer CDU in ideologische Turbulenzen.

Für die Bundes-Union, deren Ausschließeritis etwa gegenüber den Grünen durch Bayerns Ableger CSU schon ans Krankhafte grenzt und sie in eine Selbstisolation bei der Suche nach einem wohl unabdingbaren Koalitionspartner im Bund bringt, denn von einer absoluten Mehrheit träumen nicht einmal die machttrunkenen im Konrad-Adenauer-Haus, ist Voigts Wahl, vorsichtig ausgedrückt: ambivalent. Denn hier wird eine „Brandmauer“ nicht nur zur ungeliebten SED-Nachfolgerpartei geschliffen, es wird das „Hufeisen-Konstrukt“ zerstört. Die CDU/CSU lebt in dem – vielleicht anmaßenden – Selbstverständnis, die „Partei der demokratischen Mitte“ in Deutschland zu sein, dem Stabilitätsanker schlechthin, der die Republik zu dem gemacht hat, was sie heute ist und nicht ist.

Prägend für dieses Bild der Mitte ist vor allem das, wogegen sie sich wendet und was nicht dazu gehört. Das sind zugleich die beiden Ränder rechts wie links, und was zwischen diesen Hufeisenflügeln ist, das ist die Mitte. Da dieses Hufeisen nach links seit langem reichlich schwächelt, konzentrierte sich die Ablehnung stärker nach rechts, wo die AfD die erste Rechtspartei ist, die sich dort erfolgreich aufbaut und in der Unionswählerschaft fischt, wo nach Franz-Josef Strauß eigentlich nur die Wand stehen sollte. Um die „Brandmauer“ nach rechts zu halten, ist für das Gleichgewicht der Mitte das rechte Pendant (über)lebenswichtig, denn nur so kann das „antitotalitäre“ Credo von „Rechts gleich Links“ aufrechterhalten werden und die Mitte sich selbst finden. Gibt es aber zwischen rechts und links qualitative Unterschiede, gerät dieses Konstrukt in der Mitte durcheinander. Sind die Rechten doch schlimmer als die Linken?

Die Mitte wankt, denn auf andere Ebenen öffnet sie sich genau entgegengesetzt. Einerseits werden von der CSU „Brandmauern“ sogar gegen die Grünen aufgezogen, andererseits werden sie im Europaparlament und auf EU-Ebene von der EVP, zu der auch CDU und CSU gehören, in die andere Richtung geschliffen. Dort flirtet man heftig mit der Neofaschistin Frau Meloni und den anderen rechten Gruppen.

Aber vielleicht zeigt sich auch ein anderes Gesicht der Mitte. Wichtig ist nicht, wie wir herrschen, sondern dass wir herrschen. Das ist die Devise. Und was die Werte und Inhalte angeht, da ist man flexibel und empfänglich für alles, was dem Machterhalt nutzt. Jens Spahn, immerhin kein Hinterbänkler, sondern ein führender CDU-Politiker, hat an der Wertefront Brandmauern eingerissen, die mit seinem Vorschlag, jedem Syrer mit 1000 € die schnelle Rückreise nach Syrien zu erleichtern, an Erbärmlichkeit nicht mehr zu überbieten ist. Was hier im Namen einer sich „christlich“ nennenden Partei an Menschenverachtung in die Welt geblasen wird, ist selbst für die AfD eine Herausforderung.

Die Mitte erodiert, sie irrlichtert – und man darf gespannt sein, wohin sie noch pendelt.

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