Vom Ausflugstipp zur Rock-Oase
Ein Schweizerhaus in Osnabrück? Wer vermuten würde, hinter dem Traditionsnamen verberge sich eine steinerne Filiale der Alpenrepublik oder gar eine Fabrik, in der Löcher in riesige Schweizer Käse gebohrt werden, irrt sich gewaltig. Als „Schweiz“ wurden in Deutschland nämlich besonders schöne Landstriche bezeichnet – man denke als die „Holsteinische Schweiz“. Als schöner Ort unweit der Stadtgrenzen galt auch die Baulichkeit samt Ambiente jenseits der Rheiner Landstraße. Wandernde Familien und verliebte Paare gelangten über die Routen Dütetal, Haken- und Heger Holz zum Fachwerk des „Schweizerhauses“, um sich da auszuruhen, Kaffee zu trinken, Kuchen oder ein Schinkenbrot zu verspeisen.
Gut 80 Jahre Gasthaus-Leben waren dem breiten Fachwerkhaus mit seinen großen Fenstern beschieden. Das Schweizerhaus stand von 1907 bis 1988 an der Rheiner Landstraße, die vor 1943 noch Lengericher Straße geheißen hatte. Bauherr Fritz Feldmann war es, der das breite Gebäude samt „Gartenwirtschaft“ erbaute und über viele Jahrzehnte betrieb.
Erst 1927 sollte die Osnabrücker Straßenbahn die erbetenen Gäste fast direkt vor die Haustür bringen. Bis dahin holte Gastwirt Feldmann seine Kundschaft zuweilen sogar höchstpersönlich vom Tram-Endhaltepunkt im Straßenbahndepot Lotter Straße, nicht selten auch vom Heger Tor ab und kutschierte den gut gefüllten Pferde-Omnibus in seine Gastlichkeit. Abgeholten wie Wandernden dürfte einst der dichtende Walter Schaefer aus der Seele gesprochen haben: „Es stand damals am Kirchenkampe/ die allerletzte Straßenlampe,/ denn hier war einst die Stadt zu Ende./ Durch Gärten und durch Waldgelände/ führte ein Sandweg geradeaus/ bis hin direkt zum Schweizerhaus.“
Fritz Feldmann beschränkte seine Aktivitäten nicht auf Schreibtisch, Tresen oder Kutschbock: Im rückwärtigen Garten, da, wo heute die Mehrfamilienhäuser Rheiner Landstraße 142 bis 144 stehen, lud er irgendwann in das „Erste Osnabrücker Licht- & Luft-Bad“ ein. 1800 Quadratmeter dienten spärlich bekleideten, offensichtlich streng nach Geschlecht getrennten Sonnenhungrigen als Bratstation, Vornehmeren auch zum Sehen und Gesehenwerden. Andere nutzten den imposanten Biergarten für flüssige Nahrung, Speisen und Geselligkeit.
Sein Gebäude selbst erweiterte Fritz Feldmann schon 1908 um eine erste Veranda. Es folgten weitere Anbauten wie der obligatorische große Saal und Schießstände im Garten. Nichts lief ohne Multiplikatoren, die für feste Stammkundschaft sorgten: ein Musikverein, Jägerschaft und Bürgerschützen aßen, tranken und tanzten. Im Zweiten Weltkrieg war es mit der Herrlichkeit zum Teil aber vorbei: Die Hitler-Wehrmacht beschlagnahmte einen deutlich erkennbaren Teil des Hauskomplexes.
Wenige Jahre nach Kriegsende knüpfte das Schweizerhaus an alte Traditionen an. Klönschnack, Speisen, Feiern, Tanz und Unterhaltung bestimmten das Wochenprogramm. Spektakuläre Seifenkistenrennen fanden ebenso statt wie der erste Sportpresseball vor oder im Schweizerhaus.
Vom Schweizerhaus zum Hyde Park: Hort der Aufmüpfigen?
Mit dem Wechsel von Generationen und neuen Freizeitvorlieben änderte sich die Situation des Hauses seit den 1970er-Jahren aber gewaltig. Das klassische Publikum blieb irgendwann weg. Dafür war das Haus plötzlich unter einem völlig neuen Namen bei der Jugendszene in aller Munde: 1976 wurde die Begegnungsstätte und Diskothek „Hyde Park“ ein Geheimtipp für eher aufmüpfige und langhaarige junge Leute aus dem ganzen nordwestdeutschen Raum.
Für viele galt der Treff als Ersatz für das verhinderte Selbstverwaltete Jugendzentrum. Angenehm waren Spielecken, günstige Tassen Tee und das Sitzen in weichen Sofas ohne jeden Verzehrzwang. Böswillige Ältere vermuteten jedoch schnell Verfassungsfeinde und Drogensüchtige. Nicht wenige Anwohnende beschwerten sich gegen das nicht leise Musikprogramm – und vor allem gegen die ausgedehnten Besuchszeiten. Jahrelang trotzten Nutzende, ebenso die Betreiberin Conny Overbeck, mit jeweiligen Mitteln dem öffentlich angedrohten Aus. Juristische Auseinandersetzungen zogen sich bis 1983 hin. Die Stadt, inzwischen regierte im Rat eine CDU-FDP-Ratsmehrheit, ließ den Bau schließlich gewaltsam räumen. Erstaunt rieb sich eines Abends das bundesdeutsche Tagesschau-Publikum die Augen, als über „Punker-Krawalle in Osnabrück“ berichtet wurde.
In Wahrheit war es auch durch bestimmte Polizeikräfte zu völlig unnötiger Gewalt mit vielen Verletzten gekommen, die oft ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten. Der Osnabrücker SPD-Vorstand forderte demonstrativ den Rücktritt des Polizeipräsidenten.
Nach Ende des Schweizerhauses als „Hyde Park“ sollte der Gebäudekomplex noch lange als marode Baulichkeit am Straßenrand stehen. Die Stadt erwarb schließlich das Erbbaurecht auf dem Grundstück, während der „Hyde Park“ unter der Regie Conny Overbecks zum Fürstenauer Weg umgezogen war. Der Treffpunkt dort war zunächst ein echtes Zirkuszelt. Es folgte ein Massivbau, der in den folgenden Jahrzehnten wieder zum kultigen Treffpunkt nachwachsender Generationen wurde. 1988 wurde die heruntergekommene Bausubstanz des ehemaligen Schweizerhauses unter der Regie der Stadt schließlich abgetragen. Aus groß angekündigten Baumaßnahmen auf dem Gelände wurde allerdings wenig: Inmitten des Wildwuchses auf dem Gelände können Archäologen noch immense Gesteinsreste der alten Baulichkeit vorfinden.