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Montag, 31. März 2025
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Europa allein und die Ukraine ohne Schutz?

Trump stellt die Militärhilfe für die Ukraine ein

Gestern, am 4. März 2025 wurde bekannt, dass Trump die Militärhilfe für die Ukraine einstellt, bis der ukrainische Präsident Selenskyj den „Fokus auf Frieden“ legt. Das kann man auch als Erpressung bezeichnen. Es ist die befürchtete Fortsetzung jenes bislang einzigartigen Schauspiels vom vorigen Freitag, als im Oval Office des Weißen Hauses in Washington der ukrainische Präsident in einer Live-Übertragung im TV öffentlich gedemütigt wurde.

Dem, was der Weltöffentlichkeit hier in einer bombastischen Inszenierung an Drohungen vorgeführt wurde, folgen nun Taten. Da die Ukraine insbesondere für ihre Luftabwehr existenziell von amerikanischem Gerät abhängig ist, d. h. andernfalls den russischen Luftangriffen und Putins sichtbarer Zerstörungswut ausgeliefert ist, kommt die nicht unerwartete amerikanische Entscheidung einer erzwungenen Kapitulation gleich. Es ist schwer vorstellbar, dass die Europäer diesen Ausfall amerikanischer Unterstützung kurz- oder auch mittelfristig kompensieren können.

Selbst wenn man den Expertenmeinungen über die militärischen Kräfteverhältnisse misstraut, die zwischen (mittel- bis langfristiger) russischer Überlegenheit und daraus resultierenden gigantischen Militäranforderungen der Europäer einerseits und kurzfristig allein von westlichen Waffenlieferungen abhängiger Stärke der Ukraine andererseits schwanken, die dann der Ukraine die Vorteile auf dem Schlachtfeld für anstehende Verhandlungen in Aussicht stellen, bleibt momentan wenig Raum für Optimismus.

Die Ukraine steht mit dem Rücken zur Wand. Selenskyj wird von den USA zum Kotau gezwungen. Da hilft auch noch so viel europäische Solidarität nichts. In Washington ist die Entscheidung gefallen, Trump will seinen „Deal“ mit Putin. Und hier liegt die Crux des Dramas.


Warum braucht Trump seinen Deal auf Kosten der Ukraine?

Trump hatte für den Ukrainekrieg nie Verständnis. Mit ihm hätte es ihn – wie er gebetsmühlenhaft wiederholt – gar nicht erst gegeben. Alles ist die Schuld seines Vorgängers Biden, der auch alle Möglichkeiten der vorzeitigen Beendigung ausschlug und sich von der Ukraine habe vorführen lassen. Trump versprach im Wahlkampf, diesen Krieg innerhalb von 24 Stunden zu beenden. Erstens, weil er der „Kerl“ dafür sei und zweitens mit Putin gut könne. Das war sein erster Fehlschluss, denn eigentlich unterstellte auch er, Putin ginge die Luft aus und sei deshalb an einem baldigen Deal interessiert. Das war aber nicht der Fall. Deshalb wurde es nichts mit den 24 Stunden, auch wenn man sie mehr symbolisch versteht.

Aber Trump musste Putin trotzdem an den Verhandlungstisch bringen. Mit militärischen Mitteln ging das nicht. Dann hätte Trump noch mehr liefern müssen als Biden. Und wie lange? Putin war und ist mitnichten in einer Lage, wo er nach Verhandlungen lechzt. Trump musste also in Ermangelung einer Not Putins, die ihn an den Verhandlungstisch treibt, ihm etwas bieten. Das für Putin wichtigste Eintrittsgeschenk servierte Trump sofort, indem er Putins Forderung erfüllte, er verhandele nur mit den USA und nicht mit den Europäern oder gar der Ukraine. Damit war Putin sogleich da, wo er hin will: Zurück auf die Weltbühne. Der Paria ist einer der großen Drei und die Chinesen sitzen noch nicht einmal mit am Verhandlungstisch.

Aber Trump musste noch weiter in Vorleistung gehen. Seine Paladine kassierten die Rückgabe der Krim, von Russland eroberte und schon rechtlich einverleibte Gebiete im Osten der Ukraine und vor allem die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine. Das gefiel Putin, reicht aber wohl nicht. Das leidige Thema der „Sicherheitsgarantien“ für die Ukraine umschiffte Trump mit einem Akt aus der Mottenkiste des Imperialismus. Er verlangte als Entschädigung für die Waffenlieferungen, damit die Kosten der amerikanischen Steuerzahler kompensiert werden, einen (privilegierten) Zugang der USA zu den kostbaren Rohstoffen, insbesondere den „seltenen Erden“.

Was der amerikanische Steuerzahler davon dann hat, ist eine Frage, die aus patriotischen Gründen wahrscheinlich nicht einmal diese selber stellen. Der Vorteil eines „Rohstoffdeals“ lag für die Ukraine in der darin indirekt angelegten Sicherheitsgarantie. Wenn die USA in der Ukraine Rohstoffe von vitalem nationalem Interesse abbauen, dann ist eine Sicherheit gewährende Begleitung garantiert und zwar eine, die zugleich im Eigennutz der USA liegt. Mehr ist nicht zu erwarten. Das weiß auch Putin. Also ist man mit den USA als Rohstoffeigner und seinen Truppen als Nachbar der Ukraine einem Deal wohlgesonnener.

Aber es scheint Putin nicht gereicht zu haben. Vermutlich verlangt er einen „diskreten“ Regimewechsel in der Ukraine. Trumps Demütigung Selenskyjs erweckte den Anschein, er brauche ihn als Opfer, als den Schuldigen, warum man nicht schnell weiterkommt. Nicht Trumps Fehlkalküle oder sein nicht ausreichender Eindruck auf Putin, sondern der renitente Präsident, der sich nicht benehmen kann, steht dem Ende des „Blutvergießens“, des „Tötens“ und der „Gefahr eines Dritten Weltkrieges“ im Wege. Als ob es das wäre, was Trump umtreibt.

Also muss er weg. Putins absurde Forderung, die „Ukraine von den Nazis in Kiew zu befreien“, ginge durch die Amerikaner in Erfüllung. Mehr Triumpf durch Trump für Putin geht nicht. Was der große „Deal“ dann an Geschäften einfährt, wird man sehen. Politisch jedenfalls ist das Arrangement schon jetzt das von zwei führenden Akteuren der neuen Weltpolitik bewusst herbeigeführte Ende jener internationalen Ordnung, die als „regelbasierte“, dem Völkerrecht verpflichtete Ordnung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges die herrschende Weltordnung war.

Ob sie damit ganz am Ende ist, oder ob es noch verbleibende gewichtige Kräfte gibt, sie gegen die Ambitionen der Weltmächte und ihrer Einteilung der Welt in Einflusssphären zu verteidigen, wird die Zukunft entscheiden. Und dabei könnte Europa dennoch eine möglicherwiese bedeutende Rolle spielen.


Was folgt daraus für uns, für Europa?

Nicht nur für Deutschland, wo die „transatlantische Gemeinschaft“ zu einer quasi-Staatsräson gehört, sondern für Europa insgesamt, hier besonders die osteuropäischen Länder des Baltikums und Polen, die ihre Sicherheit ganz und gar an Amerika gekoppelt haben, bricht eine Welt der Sicherheit zusammen, die man sich nicht dramatisch genug vorstellen kann.

Beklagt wird offiziell das europäische Versagen in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Sie wird nun in Windeseile beschworen. Aber auch sehr einseitig. Es werden unvorstellbare Summen für die erforderlichen Verteidigungsausgaben zur Verfügung gestellt, die einerseits den Eindruck von Handlungsfähigkeit erzeugen sollen, andererseits aber auch Ausdruck von Ohnmacht sind, denn wenn man den worst-case-Szenarien eines gewichtigen Teils der Militärexperten folgt, ist man gegen die russische Militärmacht allein wegen deren Nuklearpotenzial machtlos.

Was also bleibt? Da ist zunächst die Gruppe der ewigen Transatlantiker, die ihre Hoffnung auf die Zeit nach Trump setzen. Für die Ukraine ist das allerdings eine tödliche Zeitrechnung. Für die Zukunft Europas ist sie problematisch, denn für eine dauerhaft stabile Neubelebung einer transatlantischen Sicherheitspartnerschaft fehlt etwas sehr Wesentliches. Es ist das Urvertrauen in die institutionellen Fundamente der USA, die so etwas wie Trump eigentlich ausschlossen. Aber das ist enttäuscht worden und somit irreversibel dahin. Freiwillig wird sich niemand mehr in die Sicherheitszusagen der USA begeben.

Also wird, muss Europa seine Verteidigungsfähigkeit selber organisieren. Ob das auch ein Wettlauf mit der Zeit wird, hängt sehr davon ab, wie man die Revisionsbestrebungen Russlands bezüglich Europas einschätzt. Ist es ein in Stein gemeißeltes Ziel Russlands, eine Revision der postsowjetischen Entwicklung anzustreben, also die Wiederherstellung der Einflusssphären vor der Nato-Osterweiterung Mitte der 1990er Jahre, konkret dem Beitritt der baltischen Staaten und Polens? Gibt es noch oder wieder Chancen in Europa eine gemeinsame Sicherheit mit und nicht nur gegen Russland zu organisieren? Momentan ist das nicht einmal eine „erlaubte“ Frage, aber ist sie deshalb auf alle Ewigkeit auszuschließen?

Europa wird auch darüber nachdenken müssen, wie es seine künftige Stellung in der Welt nun jenseits der beiden Weltmächte USA und Russland definiert. Es ergibt sich eine „Äquidistanz“ zu beiden (früher in der BRD war das eine politische Todsünde) ohne ideologische Ausrichtung. Sie ermöglicht einen stärkeren Blick auf mögliche Bündnispartner vor allem im „globalen Süden“ für eine noch haltbare regelbasierte Weltordnung, die sich mehr den großen globalen Herausforderungen der Menschheit zuwendet, als den geopolitischen Machtkämpfen der Weltmächte, deren Einheit mit China auch noch nicht gesichert ist.

Dass Europa in einer tiefen sicherheitspolitischen Krise steckt, ist auch eine große Chance, über neue und ganz andere Möglichkeiten und Perspektiven nachzudenken, als nur über die einer unabdingbaren Kriegstüchtigkeit.

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